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 Wau Holland über Zensur im Internet Nächstes Thema anzeigen
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burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
Beiträge: 6757
Wohnort: Berlin-Neukoelln

BeitragVerfasst am: 13.09.2003, 23:07 Antworten mit ZitatNach oben

From: emp-ViSdP: Wau Holland (emp@NADESHDA.gun.de)
Subject: Meinungsfreiheit und Zensur
Newsgroups: de.org.ccc [Original-Posting] , cl.demokratie.grundrechte, cl.magazine.mik, cl.recht.aktionen, de.soc.zensur

Einschränkung der Grundrechte im Internet
============================= V 0.88 ====

Von Wau Holland
/emp 25.09.1996 - Zensur in Deutschland hat Tradition, u.a. von Kaisers Zeiten über Schwarz-Schilling bis hin zu heutigen privat organisierten Internet-Sperrungen. Früher wurden Zeitungen von der Post nicht transportiert, heute werden Bits von privaten Internet-Dienstleistern nicht transportiert. Beides ist eine Einschränkung von Grundrechten in Deutschland. Dieser Beitrag soll provozieren - nicht zuletzt die BAW [Bundesanwaltschaft].
Zum Text gehört ein Artikel aus der angeblich verbotenen "RADIKAL 154" mit dem Titel "Pressefreiheit - Freiheit für wen?". Eingespeist und verbreitet wird beides aus der BRD ins Internet. Quelle ist der Autor dieses Textes.

Welche Mailbox-Sysomi [system operator] sich genötigt fühlt, diesen Text zu löschen aus Angst vor Zensoren aller, wird ggf. im Dokument der Zeitgeschichte erwähnt - später...
Wau Holland, zur Medienmesse Leipzig, 25.09.96

Die Vorgeschichte

Früher hatte der Kaiser das Monopol auf bezahlte Reklame. In seiner Fürsorge für die Untertanen ordnete der deutsche Kaiser die Herausgabe von "Intelligenzblättern" an und verpflichtete seine Beamten zum Abonnement. Reklame durfte nur in diesen Intelligenzblättern erscheinen. Andere Zeitschriften durfte Reklame erst viel später bringen, das bedurfte eines politischen Kampfes.

Auch die Bestimmung, was eine "Zeitung" ist und was nicht, definierte - damals wie heute - die Obrigkeit. Bei einem Blatt arbeitete damals Karl Marx mit. Amtlicher Beliebtheit erfreute sich diese Zeitung nicht unbedingt. Aber als "Reklameblättchen" konnte der Kaiser die "marxistische" Gazette kaum bezeichnen. Die Obrigkeit ging auch nicht soweit wie bei einem Kölner Blatt, wo ein Schläger für Geld angeheuert wurde, um einen Verantwortlichen ordentlich zu verprügeln; die Quittung ist ein Dokument der Zeitgeschichte.

Zu Zeiten von Marx gab es das Postzeitungs-Vertriebmonopol. Das gab der Post das ausschliessliche Recht, Zeitungen zu verbreiten und war verbunden mit der Pflicht, alle Zeitungen zu verbreiten. Damit hatte ie Post ein Problem. Um die "Pflicht" zur Verteilung einer "marxistischen" Zeitung zu umgehen, fand die Deutsche Post einen eleganten Ausweg: sie verzichtete ein ganz klein wenig auf ihr Monopol. Denn sie durfte ja nicht sagen "Marxistische Zeitungen vertreiben wir nicht". Deshalb "erlaubte" die Post, daß die Zeitung im "zu-Fuß"-Umkreis des Druckortes ausgetragen werden durfte. Für das Austragen durfte kein "Fersengeld", sondern ein "Sohlengeld" gezahlt werden. Das war "neu", denn wegen des Post-Monopols war ein eigenes Austrägersystem eigentlich verboten. Diese an Fußwege gebundene Verbreitungsbeschränkung konnte mit der Eisenbahn umgangen werden. Ein amerikanischer Erfinder im Bereich Elektrotechnik (guess, who) löste das Problem: er betrieb eine Druckerei im Eisenbahnwaggon. Auf der Fahrt redigierte man die gesammelten Neuigkeiten. Beim Halt am Bahnhof wurde die gedruckte Zeitung mit einem mobilen Impressum verkauft. Abgefahren wurde, bevor es Stress gab. So wurden aktuelle News erzeugt und verbreitet mit einem überschaubaren Risiko. Solche Aktivitäten haben amerikanische Freiheitsvorstellungen geprägt - bis heute im Internet.

Denn die technische Entwicklung ging weiter. Die Zeitschrift elrad brachte im Frühjahr 1985 eine Selbstbauserie für Satellitenempfang (Anfang davon nachgedruckt in Hackerbibel 1, S. 124). Die Schweizer Post hat nach dem Motto "wir sind noch gründlicher als die Deutschen" den Satempfang sofort verboten, indirekt. Gegenüber ihren Bürgern behauptete die Schweiz damals, auch zu Zeiten von Gorbatschow sei der Sat-Empfang des sowjetischen Fernsehens in der Schweiz verboten. Denn die über dem Äquator stehenden Satelliten seien Teil einer 72 000 km langen innersowjetischen Fernmeldeverbindung. Abwegig sei die Ansicht, so die Schweizer Regierung, bei dieser im Hoheitsgebiet der UdSSR liegenden Fernmeldeverbindung handele es sich um frei empfangbare Sendungen, die im Rahmen der Meinungsfreiheit nach der Europäischen Menschenrechtskonvention von jedermann empfangen werden dürften.

Der damalige deutsche Postminister Schwarz-Schilling sah das auch so. Das qualifizierte ihn vermutlich, später Vorsitzender im Unterausschuß des Bundestages für Menschenrechte zu werden. Denn damals verweigerte der deutsche Postminister mit Hilfe seiner Bremer Untergebenen sogar einem Fernsehmeister die "Einzelgenehmigung", Sender wie CNN per Satellit zu empfangen. Auf Betreiben der Post ließ ein Gericht sogar dessen Vorführ-Satellitenschüsseln beschlagnahmen.

Es ist natürlich eine Unverschämtheit, zu behaupten, das wäre ein Empfangsverbot oder gar eine Grundrechtsbeschränkung, sondern es war nur ein Verwaltungsakt im Postrecht. Hübsch war die Begründung. Weil der auf dem Dorf bekannte Fernsehmeister öffentlich verkündet hatte, er halte die "Sat-Empfangs-Einzelgenehmigung" für einen großen Quatsch, bot dieser Meinungsmultiplikator aufgrund seines öffentlichen Auftretens nicht die Gewähr, sich zukünftig an Empfangsauflagen der Deutschen Bundespost zu halten. Deshalb sei die Entscheidung, ihm die Sat-Einzelempfangsgenehmigung für den Empfang von CNN usw. zu verweigern, eine "Ermessenssache".

Es gab damals nur eine Zeitschrift in der BRD, die über diesen Fall berichtete: INFOSAT. Und diese Zeitschrift war, amtlich definiert wie bei RADIKAL, keine Zeitschrift. Das jedenfalls behauptete die Post. Im Unterschied zu den Zeiten von Karl Marx argumentierte diesmal die Deutsche Bundespost "ihr seid keine Zeitschrift, sondern ein Reklameblättchen". Infosat mußte deshalb auch kein "Sohlengeld" für das Austragen der Zeitschrift zahlen und eigene Austräger finden, sondern - die damals moderne Variante - "Drucksachengebühr" an die Deutsche Bundespost.

Historische Details, wie etwa das Verbot der Bundespost, die Öffnung des Brandenburger Tors per Satellit zu übertragen, übergehen wir hier; der entsprechende Brief von Rene Anselmo war damals in der INFOSAT abgedruckt und von anderen deutschen Medien freundlichst "übersehen". Später wurde die Infosat dann doch eine "richtige" Zeitschrift. Denn Infosat holte sich eine "Postvertriebsnummer" der DDR im Untergang. Diese Nummern wurde später von Schwarz-Schilling zähneknirschend "pauschal anerkannt".

Inmitten ähnlicher medialer Brüche agiert die Zeitschrift RADIKAL. Der Zugang zur RADIKAL ist dank der Satellitentechnik und eines Urteils des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte frei. Denn unverschlüsselt per Satellit ausgestrahlte Meinungen können frei und ungehindert empfangen werden. Es gibt bereits mehrere "Feeds", wo Internet per Satellit bestellt werden kann.

Funkwellen sind grenzüberschreitend. Jeder darf in Deutschland auch dann "Deutsche Welle TV" empfangen, wenn es im Gesetz dazu heißt, DW-TV Sender dürfe "nur" für das Ausland senden. Nur landesherrliche Sturköpfe behaupten deshalb, DW-TV dürfe nicht in Antennenverlängerungskabel eingespeist werden. Solche Unterscheidungen sind heute ebenso kleinkariert wie die Definition "ortsüblicher Empfang", um die Bedingungen für das Einspeisen von TV-Programmen in Kabelnetze zu beschreiben im Unterschied zwischen Hessen und Bayern. Denn ein einziger Satellit kann ein Drittel des Globus
bestrahlen.

Die in den Niederlanden frei käufliche Zeitschrift RADIKAL im Internet verbieten zu wollen, kommt dem Versuch gleich, Sat-Empfang mit Störsendern oder Beschlagnahmungen wie zu Zeiten Schwarz-Schillings zu verbieten. Sowas ist Schnee von gestern und eine Einschränkung des Grundrechtes auf freie Meinungsbildung nach Art. 5 der Europäischen Menschenrechtskonferenz.

Im Anhang ist ein angeblich in der BRD "verbotener" Beitrag der RADIKAL 154 dokumentiert. Ich persönlich teile deren Auffassungen - insbesondere Zensur betreffend - in keiner Weise. Denn ich habe freiheitlichere Vorstellungen als solche Zuspätleninisten, denen die "Deutsche Post" das Vorbild für die Errichtung eines ganzen Staates war; das geht hervor aus Lenin in "Staat und Revolution".

Die Meinungsfreiheit ist erst dann gegeben, wenn auch Meinungen verbreitet werden dürfen, die der eigenen drastisch widersprechen. Genau deshalb ist es wichtig, für das Grundrecht der RADIKAL, eine Zeitschrift zu gestalten und zu verbreiten nach ihrem Geschmack, einzutreten als engagierter Demokrat.
(c) Wau Holland, Doyen des Chaos Computer Club

Eine Verbreitung dieses Textes ohne einen Verweis auf die Internet-Seiten, auf denen die RADIKAL abrufbar ist, wird als Verletzung meines Urheberrechtes strafrechtlich verfolgt. Die Verbreitung im INTERNET ist frei und unterliegt sinngemäß den Regeln der GNU GPL. Verbreitung in anderen Medien nach Rücksprache mit dem Autor, erreichbar unter wau@ccc.de
Das genügt als elektronisches Impressum.

Es folgt ein Beitrag aus der angeblich verbotenen RADIKAL 154:

Pressefreiheit - Freiheit für wen?

"Gerade in der Tatsache, daß der bürgerliche Rechtsstaat seinen selbst postulierten Werte nicht verwirklichen kann, liegt das dialektische Verhältnis, das seine Existenz ideologisch in Frage stellt", haben wir in unserem Intro der radi 153 im Zusammenhang mit der Frage, ob die Linke Pressefreiheit fordern sollte, geschrieben. Wir wollen im Folgenden darauf etwas genauer eingehen, zumal wir der Meinung sind, daß die Frage der unzensierten Kommunikation sowie der herrschenden Medienrealität, und damit indirekt auch die der Haltung zur Pressefreiheit eigentlich in der Solidaritätsarbeit im Zusammenhang mit der Repressionswelle von 13. 6. eine zentrale Rolle spielen sollte. Es sollte, um das vorwegzunehmen, nicht um das Einklagen des "Rechtes auf freie Meinungsäußerung" gehen, sondern um eine Debatte, die die herrschende Medienpolitik genauso thematisiert wie unsere Möglichkeiten, gegen diese Wahrheitskonstruktionen vorzugehen. Zweifellos müßten auch neue Formen der eigenen Kommunikation diskutiert werden, müßte hinterfragt werden, wie und an wen wir unsere Inhalte vermitteln wollen und welche Medien unter welchen Bedingungen hierzu genutzt werden können. Das bloße Einfordern der Pressefreiheit, losgelöst von politischen Ansätzen, für die die radikal steht, mag zwar den einen oder die andere kritische Journalistin ansprechen, für die Zukunft linksradikaler Politik allerdings greift sie zu kurz, weil sie eben, wie wir auch im letzten Intro beschrieben haben, nur die halbe Wahrheit vermittelt.

Die Gleichheit vor dem Gesetze

Die Pressefreiheit läßt sich, wie alle Errungenschaften der bürgerlichen Gesellschaft, nur dialektisch begreifen. Soll heißen, diese Errungenschaften konnten nur gedacht, letztendlich auch nur durchgesetzt werden, weil die feudalistische Gesellschaft Ende des 18. Jahrhunderts ob der Art und Weise, wie die Menschen in der westlichen Hemisphäre aufgrund technologischer Entwicklung ihr Überleben organisiert hatten, an eine Grenze gestoßen war. Um den Lohnarbeiter/die Lohnarbeiterin zu erhalten, der/die sich für den Mehrwert des aufstrebenden Bürgertums in den Bergwerken und Fabriken verheizen sollte, mußte dieser erstmal geschaffen werde. Jede/r mußte das Recht haben, seine/ihre Arbeitskraft auf dem Markt verkaufen zu dürfen. Der "doppelt freie Lohnarbeiter/die Lohnarbeiterin" entstand. (Daß es sich mit der freien Lohnarbeiterin eigentlich nochmal etwas anders, komplizierter verhält, wollen wir in diesem Zusammenhang mal vernachlässigen, wir verweisen auf die "Gegen das Vergessen"-Serie in den radi-Ausgaben 150 bis 152). "Doppelt frei" heißt frei von der Gebundenheit an den bäuerlichen Hof, von der Leibeigenschaft, frei seine/ihre Arbeitskraft zu verkaufen - alle Menschen mußten also das Recht haben, einen "Vertrag" einzugehen. Alle sollten vor dem Gesetz gleich sein, war dann auch die logische Forderung, für die das deutsche Bürgertum unter anderem in der 1848er Revolution auf die Barrikaden ging. Eine Forderung, die die Bourgoisie mit dem enstehenden Proletariat verband. Schließlich versprach die Überwindung der Unfreiheit - der Abhängigkeit vom Großgrundbesitzer - auch den Bauersfamilien und TagelöhnerInnen ein besseres Leben. Mit der Durchsetzung der bürgerlichen Revolution wurde genau diese formale Gleichheit vor dem Gesetz erreicht. Entsprechend hatten beide VertragspartnerInnen das gleiche Recht, einen "Kontrakt" einzugehen. Daß diese Gleichheit eine Fiktion war und ist, verdeutlicht am besten jener Satz, nachdem "jeder das Recht hat, unter Brücken und auf der Straße zu schlafen". Der Arbeiter/die Arbeiterin hatte ebenso wie der Kapitalist das Recht, einen Arbeitsvertrag abzuschließen wie diesen wieder aufzukündigen. Nur hatte der Arbeiter/die Arbeiterin eben nur zum Preis ihres Verhungerns real diese Möglichkeit. Die postulierte Gleichheit war und ist also eine rein formale, die realen Abhängigkeitsverhältnisse werden ausgeblendet.

"Politik sollte deshalb die Idee der abstrakten Gleichheit der Menschen nicht einmal als Idee propagieren", hat Theodor W. Adorno zu diesem Thema mal gesagt. Dennoch schuf sie die Grundlage, auf der heute Rechte der Arbeitenden und Arbeitslosen eingeklagt werden - sowohl von den Gewerkschaften wie auch vom sozial-revolutionären Kämpfer/Kämpferin.

Zensur ist mehr als die Kriminalisierung linker Medien

So, und genau hier wären wir nach einem kleinen, vereinfachten Rundumschlag über einem wesentlichen Aspekt des Kapitalismus bei der sogenannten Pressefreiheit. Nicht zufällig war eine Forderung, die die verschiedenen Kräfte der 1848er Revolution miteinander verband, das Recht, seine Meinung unzensiert zu verbreiten. Auch sie war eine Voraussetzung für die bürgerliche Demokratie, ohne die der Kapitalismus nicht denkbar war. Die Forderung nach Abschaffung der Zensur war eine der treibenden Kräfte im Vormärz, und obwohl die Revolution niedergeschlagen wurde, ist zumindest die Vorzensur danach abgeschafft worden.

(Hier sei gleich angemerkt, daß die Auseinandersetzungen um die Pressefreiheit nur durch einen bestimmten Stand der Produktivkräfte möglich waren. Erst als nicht nur die Herrschenden die Möglichkeit hatten, Bücher und Flugblätter zu veröffentlichen, enstand das "Problem", die öffentlich verkündete Meinung der Andersdenkenden zu unterdrücken. Diese Tatsache spielt eine wichtige Rolle in der Diskussion um die Bedeutung von Radios genauso wie heutzutage in der Zensurdebatte ums Internet).

Bezeichnenderweise hatten sich später gerade in Deutschland innerhalb des Bürgertums jene Kräfte durchgesetzt, denen die Liberalisierung des Marktes alles, die Freiheitsrechte hingegen nur Mittel zum Zweck waren. Kaum hatte das Bürgertum einen kleinen Teil der Macht errungen, sollte sich die politische Zensur im Folgenden hauptsächlich gegen die Linke richten. So wurde beispielsweise im Rahmen der Sozialistengesetze von 1878 die gesamte Parteipresse der damals revolutionären Sozialdemokratie verboten. Auch in der Weimarer Republik hatten sich die bürgerlichen Parteien inclusive der mittlerweile staatstragenden SPD vor allem die die Linke als Opfer der Zensur ausgesucht.

Nach der Niederlage des Faschismus dann sollte die sogenannte Pressefreiheit in Westdeutschland so richtig zum Blühen kommen - 1949 wurde der allseits bekannte Satz, "eine Zensur findet nicht statt" im Grundgesetz festgeschrieben. Daß es damit sehr schnell nichts mehr war, mensch denke an die Verbote der kommunistischen Parteipresse (daran erinnert übrigens auch ein Beitrag in dem Buch "20 Jahre radikal" - dadrin findet sich folgendes Beispiel: "Gegen nur ein Blatt, die Hamburger Volkszeitung, wurden zwischen 1951 und 1956 dreihundertsechsundneunzig Strafanzeigen gestellt, ein Redakteur hatte im gleichen Zeitraum sechzig (!) Prozesse."), das alles soll uns jetzt nicht weiter beschäftigen. Auch nicht, daß zahlreiche JournalistInnen, die wenige Jahre zuvor Propagandaminister Goebbels angedient hatten, plötzlich in den Redaktionsstuben der Welt oder der FAZ saßen. Die wirkliche Blüte der Pressefreiheit war jener Medienmarkt, dessen Auswüchse wir jetzt in TV, Radio und Presse genießen dürfen.
War nach '45 zumindest noch der Anspruch vorhanden, Rundfunk- und Fernsehen dürften nicht staatlich kontrolliert und kommerziell abhängig sein und sollten pluralistisch strukturiert werden, so wurde dieser Anspruch spätestens 1984 über Bord geworfen, als die Privatsender legalisiert wurden. Der Printmedienmarkt agierte quasi unmittelbar nach der Gründung der BRD - von den Zeitungen der KPD mal abgesehen - ausschließlich nach kapitalistischen Interessen.

Der Axel-Springer-Verlag kontrolliert jetzt rund 30 Prozent der Tagespresse (und nebenher noch einige Zeitungen und "special-interest-Blätter" sowie sieben Radiosender). Insgesamt haben die 10 größten Verlagsgruppen über 55 Prozent der Tageszeitungen in ihrer Hand. Der private Fernsehmarkt ist unter den Großgruppen RTL-CLT-Luxembourg/Bertelsmann-Verlag und Leo Kirch/Axel Springer-Verlag aufgeteilt. Sogenannte Kontrollinstanzen, die eine Monopolisierung verhindern sollen, - praktisch das sozialdemokratische Einklagen des Staates gegen einen frei wuchernden kapitalistischen Markt - werden durch die üblichen Tricks hintergangen.

Nicht vergessen werden sollen hier auch die Spartenmedien mit ihren Belanglosigkeiten im Angebot, sei es über das noch so jedes erdenkliches Juppie-Hobby wie Windsurfen, Drachenfliegen, etc... Oder jene Medien die mit den neuesten Skandalen der Könighäuser dieser Welt aufwarten, die ewig gleichen Ereignisse in der Glitzer- und Ersatzwelt des Sports, Musik oder dem Kino nachbeten und bis zur Ekstase herunterkauen. Sie alle bedienen Parallelwelten, sind mediale Segmente einer ausdifferenzierten Wahrnehmung, in der die alte Vorstellung und Konzeption von "Information und Nachricht" überhaupt keine Chance mehr hat. Ein schweizer Philosoph meinte vor einigen Jahren, heute sei nicht mehr das Problem, daß Menschen nicht von den Schweinereien in der Welt wüßten, sie also darüber aufgeklärt werden müßten - nein im Gegensatz zu vor 20 Jahren weiß zum Beispiel heute jede/r, daß ein ganzer Kontinent (nämlich Afrika) verhungert - nur das nützt nichts. Medienvielfalt und Informationsüberflutung führt zu einer noch brutaleren Wirklichkeit - denn die Abstumpfung nimmt immer mehr zu, je schneller und wechselnder die Bilder des Grauens in unsere Wohnzimmer kommen. Auch in diesem Kontext, der Konstruktion einer ganz bestimmten Form von Wahrnehmung, muß der Begriff der "Pressefreiheit" diskutiert werden.

Pressefreiheit ist nichts als eine Fiktion, vergleichbar mit der formalen Gleichheit vor dem Gesetz, vollkommen abstrahiert von der Wirklichkeit kapitalistischer Eigentums- und patriarchaler Machtverhältnisse. Zwar darf theoretisch jede/jeder publizieren, was er/sie will, real aber kann sich durch diese Garantie auch genau jene Form von Wirklichkeitskonstruktion durchsetzen, die sich als Ware verkaufen läßt, und die mit den entsprechenden finanziellen Mitteln antreten kann, um überhaupt als Ware angeboten zu werden.

Zensur beginnt also nicht da, wo eine linksradikale Zeitung kriminalisiert wird, sie ist schon im Kern der kapitalistisch/patriarchalen Gesellschaft angelegt. Pressefreiheit einzuklagen, heißt in diesem Zusammenhang schlechtestenfalls, dem marktradikalen Recht des Stärkeren nach dem Vorbild der USA das Wort zu reden, bestenfalls, in der Tradition der Nachkriegs-SPD ein mehr an staatlicher Kontrolle einzufordern. Letztendlich sind beide Ansätze zutiefst bürgerlich.

Dieser Ausgangspunkt drückt sich nicht zuletzt in der aktuellen Diskussion um Kinderpornos oder faschistische Propaganda im Internet aus. Die Auseinandersetzung - auch die der Linken - darum, ob deren Verbreitung zensiert werden soll, wird hauptsächlich im Rahmen der Pressefreiheit diskutiert. Dieser Logik entspricht letztendlich, vom Staat eine größere Kontrolle über Dinge zu fordern, die dieser selbst als Garant für das Funktionieren der Verhältnisse mittragen muß.

Nicht thematisiert wird in diesem Zusammenhang, daß und warum sich selbst der Mißbrauch von Kindern für sexuelle Machtphantasien von Erwachsenen (meist Männern) als Ware so gut verkaufen läßt. Und angesichts der rassistischen Presseberichterstattung der bürgerlichen Medien, wie sie uns beispielsweise im Zusammenhang mit den Newroz-Feiern im März wieder serviert wurden, fällt die Empörung über rechtsradikale Propaganda schon beinahe schwer. Daß aber auch diese über beste Kontakte zu kapitalkräftigen Hintermännern verfügen, insofern eine "Einschränkung ihrer Pressefreiheit" ohnehin nur sehr bedingt fürchten müssen, wurde in der Debatte um Zensur schon fast vergessen. Auch hier wird von den realen Bedingungen "ganz bürgerlich" abstrahiert.

Sollten wir etwa, um ein ganz anderes Beispiel zu nennen, dafür eintreten, daß sich in Kuba die Pressefreiheit durchsetzt? Wir hätten beste BündnispartnerInnen. US-amerikanische Medien lechzen gerade danach, die Insel mit ihrer Propaganda zu überschwemmen - im Namen der bürgerlichen Freiheit.

Genauso, nur eben umgekehrt, verhält es sich auch mit uns. Man/frau kann also nicht die Pressefreiheit einklagen, ohne das Grundgesetz damit im Auge zu haben. Dementsprechend erfordert es einige nicht so richtig nachvollziehbare Kapriolen, die Abschaffung der Zensur zu fordern, und gleichzeitig staatliche Organe zu kritisieren, da sie nicht konsquent gegen Nazipropaganda vorgehen. Fordern wir auch nicht. Eben.

Wo für uns selbst die Grenze beginnt, an der wir es für notwendig erachten, aktiv als Zensoren aufzutreten, entspricht einem Diskussionsprozeß, der oft genug auch innerhalb der Linken kontrovers geführt wird. Daß aber zum Beispiel einigermaßen Einigkeit darüber besteht, daß rechtsradikale, rassistische Propaganda unterdrückt werden muß, zeigen die Mobilisierungen gegen Nazi-Veranstaltungen und rassistische Propaganda.
Genauso kann unser Ziel, eine unzensierte Kommunikation auch über militante linksradikale Politik sicherzustellen, nur gewährleistet werden, indem wir uns die dafür notwendig Strukturen schaffen und dies einfach tun. Pressefreiheit losgelöst von den gesellschaftlichen Bedingungen einzufordern, würde die realen Verhältnisse nicht nur ignorieren, sondern sogar noch bestätigen.

Den Prozeß auf den Kopf stellen?

Und hier kommen wir wieder auf unseren Eingangssatz zurück. Allein die Repression, die in penetranter Kontinuität gegen die radikal aufgefahren wird, führt doch die im Grundgesetz verbriefte Meinungsfreiheit ad absurdum. Sie beweist, daß es eine solche im kapitalistisch/patriarchalen Staat gar nicht geben kann. Und dennoch gibt es sie - formal.
Real haben linke Medien in manchen Ländern größere, in anderen kleinere Spielräume. Diese dennoch zu verteidigen, widerspricht dem bisher Gesagten nicht, wenn wir gleichzeitig die sich dahinter verbergende Absurdität aufzeigen und nicht einfach die konsequente Umsetzung eines Rechtes einzuklagen. Schließlich gibt es keinen Grund, freiwillig Terrain aufzugeben und uns dadurch ohne Not in unseren Möglichkeiten zu beschneiden. Genauso, wie wir die faktische Abschaffung des Asylrechts kritisieren, nicht weil dieses dem Verständnis dieses Staates eigentlich immanent sein sollte, sondern weil es genügend humanistische und politische Gründe gibt, den "freien" Aufenthalt von Flüchtlingen in Deutschland zu verteidigen. Oder weil die jetzt vor einem Monat vom Bundesverfassungsgericht endgültig beschlossene Legitimät dieses Gesetzes Bundesgrenzschutz und Abschiebebehörden genauso wie Nazis die Rückendeckung verschafft, um noch skrupelloser gegen alles Nicht-Deutsche vorzugehen. Dieser Beschluß verschlechtert die Bedingungen für alle, die sich aktiv dafür einsetzen, daß Flüchtende hier bleiben können.

Und, um wieder auf uns zurückzukommen: Ganz klar, eine Verurteilung derjenigen, denen jetzt vorgeworfen wird, in der radikal mitgemacht zu haben, wird die Bedingungen für alle verschlechtern, die hier für linksradikale Politik einstehen - nicht nur für uns.

Warum also drehen wir den Spieß nicht einfach um, schlagen gleich zwei Fliegen mit einer Klappe und greifen nebenher nach ein paar Sternchen. Soll heißen: Wenn sich die GenossInnen schon unnötige Zeit vor Gericht tummeln müssen, warum nutzen wir nicht dieses Spektakel, um die Absurditäten bürgerlichen Rechtstaatsdenken sowie die Mechanismen von Wirklichkeitsproduktion aufzuzeigen und gleichzeitig durch politische Mobilisierungen den notwendigen Druck zu schaffen, um keinen Milimeter Terrain freiwillig aufzugeben.

Jahrelange Observation, ein riesiges Aufgebot von BKA-FahnderInnen, tierisch viel Knete, all das sind die staatlichen Zensoren bereit, aufzubringen, um irgendwelche juristischen Beweise zusammenzusammeln, um die sie sich bei anderen Prozessen, beispielsweise gegen die Guerilla, einen Dreck gekümmert haben, und das alles, obwohl sie letztendlich kein juristisches, sondern schlichtweg nur ein politisches Problem haben: Die Schwierigkeit, eine Zeitung als kriminelle Vereinigung zu verurteilen und damit ihre eigenen Postulate infragezustellen. Hier gilt es anzusetzen.
Und warum sollten wir nicht genau diese Situation beispielweise zuspitzen, indem wir den Vorschlag von "Robbi, Tania und das Fliewatüüt" aufgreifen, die in einem Kritikpapier an uns formulieren: "Lohnt es sich eurer Meinung nach, einen Gedanken daran zu verschwenden, wie wieder ein legales Erscheinen zu erkämpfen wäre? Unserer Meinung nach ja." Wir würden uns dem anschließen. Zumindest der Gedanken lohnt. Nicht nur, weil dies die Bedingungen der Arbeit an der radikal verbessern würde, sondern in diesem Zusammenhang gerade, weil wir - vorausgesetzt, die Sache wird richtig angepackt - die staatlichen Zensoren in Zugzwang bringen würden. Und natürlich, um das wichtigste nicht zu vergessen, ohne unsere verdeckte Struktur aufzugeben. Denn "Pressefreiheit" wird es für die militante Linke nicht geben.

Sicherlich ist das eine aufwendige Angelegenheit, denn es würde erfordern, an Parallelstrukturen zu arbeiten, die voneinander unabhängig - quasi nur durch ein politische Kommunikation miteinander verknüpft - an einem gleichen Stang ziehen. Aber genau darum sollte es mit der radikal immer gehen - sie sollte die Fähigkeit und Spannbreiten der Diskussion innerhalb der linksradikalen Szene erweitern und schärfen.

Wir würden dies auch als dem linksradikalen Zeitgeist entgegengesetzt verstehen, der sich in immer weiter voneinander abgestecktere Wahrnehmungsfelder und Wahrheiten begibt. Jedem Grüppchen seine eigene Zeitung, jeder Wahrheit ein eigenes Medium, so scheint das Motto der 90er Jahre. Gemeinsame Diskussionsfähigkeit exisiert angesichts dieser verschiedenen Wahrnehmungswelten schon oft gar nicht mehr. Auch das gilt es, zu überwinden.

Alles etwas hochgegriffen? Mag sein, aber immer noch gilt: In Gefahr und größter Not ist der Mittelweg der Tod!
Eine Gruppe aus der radikal

Links:
nadir: Oberstaatsanwalt will "radikal" im Netz sperren lassen, 02.90.1996
Telepolis: Deutsche Bahn verklagte XS4ALL wegen linksradikaler Zeitschrift "Radikal" und gewann, 15.04.2002
Telepolis: Deutsche Bahn mahnt Suchmaschinen wegen "Radikal" ab, 17.04.2002
indymedia.nl versus Deutsche Bahn, 25.04.2002
indymedia: Deutsche Bahn gegen Indymedia - es geht weiter.

Der Anlass, auf die zeitlos gültigen Thesen Waus hinzuweisen: "Wau Holland-Stiftung gegründet" - "Außer dem Unterhalt des Archivs will sich die Wau Holland Stiftung einsetzen für weltweite Informationsfreiheit, Recht auf Bildung sowie die Förderung von Zivilcourage mit elektronischen Mitteln....Für das Projekt "Die Lese-Maschine" wird mit dem WHS erstmals eine Stiftung zum Datenspenden aufrufen. Diese interaktive Enzyklopädie soll Menschen das Filtern von Informationen lernen sowie lehren helfen und somit Medienkompetenz schaffen."
www.wauland.de/
Die Links in obigen Texten stammen von mir. Hilfreich ist auch die Online-Version des Buches: 20 Jahre radikal - Geschichte und Perspektiven autonomer Medien.

14.09.2003
© BurkS

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