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 Das Bad der Männer Nächstes Thema anzeigen
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burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
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Wohnort: Berlin-Neukoelln

BeitragVerfasst am: 06.09.2003, 01:35 Antworten mit ZitatNach oben

Das Bad der Männer

Der Blick schweift hoch, höher: mattes Tageslicht dringt in den Dom, gebrochen durch milchige Scheiben.. Drei Hallen wie aus einem Renaissance-Gemälde, aneinandergereiht zum Ritual der öffentlichen Reinigung und des Müßiggangs. Im optischen Fluchtpunkt eine antike Sonne - Aphrodite? Täfelung, Bänke aus dunklem, matt schimmernden Holz. Palmen. Vorn das Eintrittsritual: was ist des Besuchers Begehr? Wellenbad, Thermalbad, Massage, gar Pedi- oder Maniküre? Schlammpackung, heilsames Streckbett. Ich entscheide mich für's römische Bad. Bitte sehr, der Herr, dritte Halle rechts.

Nöi? Das Wörterbuch, hastig hervorgekramt, sagt: Frauen. Also die andere Tür. Ferfiak Thermalfürdo. Aha. Eine schnell vorrückende Schlange von meist älteren Männern, die sich gelangweilt, weil wissend, auf einen Tisch zubewegen, der das weltliche vom Allerheiligsten trennt. Wie in einer fremden Kirche also, bei einem fremden Ritus: nur das tun, was alle anderen auch tun. Man überreicht sein Billet dem Portier, der zwar finno-ugrisch spricht, aber - endlich etwas Vertrautes! - wie ein deutscher Bademeister ganz in Weiss gekleidet ist. Der - in einer geübten Bewegung . spießt die Eintrittskarte auf und drückt dem Badegast gleichzeitig einen bräunlichen, baumwollenen Lendenschurz in die Hand. Den Zeigefinger energisch nach rechts. Erre tessek. Was auch immer das heißen mag, es hört sich höflich an.

Nackt bis auf den ominösen Schurz, der mir fast bis zu den Knien schlabbert, folge ich den anderen in die Badehalle. türkisblaue Fliesen, durchwirkt mit Jugendstil-Ornamenten. Sanftes Licht von oben, drei große Rundfenster auf jeder Seite wie übergroße Raubtieraugen. Verschämte Sonnenstrahlen fallen schräg ein, durchbrechen mühelos den wogenden Wasserdampf, treffen wie zufällig einen Barockengel, der mit anmutiger Gebärde auf der Spitze eines Springbrunnens einen marmornen Tanz aufführt. Zu seinen dicken Füßen rauschen heiße Wasserstrahlen aus Löwenmäulern in zwei Becken, kleiner als ein Schwimmbad, größer als ein Planschbecken, hinten mannstief, an den flach und eleganz hinabeilenden Treppenstufen nur zum Benetzen der Knöchel. Handfest goldene Geländer laden zum Bade.

Langsam gewöhne ich mich an die Wassertemperatur. 38 Grad! Alt Männer, mager, dick, mit und ohne Bauch, hängendes Fleisch, grausam geoffenbart, stehen bis zum Nabel im Wasser, gestikulieren, durch die alles träge einlullende Hitze wie in Zeitlupe. Liegen auf den Stufen, halb bedeckt von den leise fröhlich glucksenden Wellen, verharren still bis zum Hals, die Wärme den letzten verspannten Muskel ergreifend. Schwimmen, gar kraulen wäre ein Stilbruch wie eine Qualle im Goldfischglas.

Männliches Palaver fast orientalischen Zuschnitts, gedämpft, aber auch gefördert durch die unaufdringliche Ästhetik des Raumes. Hier sind wir unter uns. Die rituelle Muße lässt Hast, Konkurrenz und berufliches Pflichtethos abtropfen wie den Schweiß, der mir in kleinen Rinnsalen von der Stirn läuft und sich mit dem feuchtheissen, aber klaren Element vereinigt. Wir zeigen uns unsere hässlichen, faltigen, schönen, formlosen, behaarten, nackten, muskulösen Körper: gleicher Schurz für alle, nur noch Symbol für das letzte Geheimnis, das Mann vor Mann hat. Keine Frauen, aber auch nicht mehr.

Ich denke an: heitere Gelassenheit, Weisheit, Lebenserfahrung, mildes Lächeln. Ich verstehe kein ungarisch, ahne aber, was geredet und diskutiert wird. Kein grölendes Schulterklopfen, keine tapsige Kumpanei, kein allzu forschendes werwillwasvonmir. Dafür ist es zu heiß.

Das Wasser hüllt mich ein wie ein warmes Bett, schmeichelt meinen vom Großstadtpflaster ermatteten Beinen, schmiegt sich an meine Brust, blubbert heiß unter den Achselhöhlen. Das Plätschern klingt wie Salonmusik im Hintergrund, der Schall der männlichen Stimmen vermischt sich zu einem unentwirrbaren Raunen, das durch die kathedrale Akustik wie ein grollendes, aber freundlich fernes Gewitternachhallen jeden Streit im Keim erstickt. Ein alter Mann, der sich auch hier von seinem Stock nicht trennt, fläzt auf einem voluminösen Steinsofa und blättert genüsslich in einer Zeitung, die durch die Luftfeuchtigkeit schon arg gelitten hat und wohl nur als Symbol der allgemeinen Muße dient.

Ich sinke eine Stufe tiefer, das Wasser greift spielerisch nach meinem Kinn, kitzelt mein Ohr. Ich blicke nach oben, der Blick verliert sich in den träge wabernden Wolken, die wie ein nur halb materialisierter Geist die Kuppel ausfüllen, schließe die Augen, lausche dem geheimnisvollen Echo von Stimmen.


Der junge römische Tribun lehnt entspannt zurück. Gestern mit einem Freund im Amphitheater von Aquincum gewesen. Nur eine Reitstunde entfernt, am Flussufer des Danuvium. Volles Haus. 15000 Besucher. Griechisches Stück, nannte sich Siegessäule. Natürlich ging es um Männerfreundschaften. Nicht schlecht, die Griechen, eine Mischung aus witz, Unterhaltung, ein wenig Melancholie und kecke Provokationen der Obrigkeit, zudem gewürzt mit einer Prise kultureller Arroganz, die das provinzielle Publikum am Mythos der alten Kulturzentren teilhaben lässt. Ein schöner Jüngling aus der Reihe unter mir schenkte mir ein Stück Bernstein. Er käme aus Carnutum, sagte er, es wäre besonders kostbar, vom Germanischen Meer. Aufschneider, da doch die Bernsteinstraße direkt vor den Stadtmauern endet. Die Händler werfen einem den Schmuck doch nach.

Ich sollte jetzt das Dampfbad probieren, denkt er. Man sagt, es sei sehr heiß. Hier in der Provinz Pannonien, nahe den barbarischen Dakern, römische Badehausatmosphäre? Der Tribun wischt sich den Schweiß von der Stirn, begibt sich in den hinteren Teil der Halle, leicht schwankend wie nach dem Erwachen aus einem schweren Raum.

Ein schmaler Gang, drei Stufen. Die Tür öffnet sich. Dampf quillt heraus, überraschend schnell, bösartig heiss, besitzergreifend. Trotzdem: hinein! Holzbänke übereinander, wie eine Treppe angeordnet, in Kopfhöhe verschwimmende Konturen. Obendicke, drohende weiße Schwaden. Heiß soll es sein. Der Tribun weiß, was heiß ist. Noch im letzten Jahr verbrachte er mehrere Monate in der lybischen Wüste, wo die Nachfahren des Rebellen Jugurtha, mehr oder minder unterstützt vom mauretanischen König - den römischen Garnisonen ständige aufreibende Scharmützel liefern. Aber hier ist es noch unerträglicher, weil feucht. Es brennt unter den Nägeln, es kneift am Bauch, am Schwanz, am Hintern, an den Schleimhäuten, es zwackt die Schulten, lässt die Hände die Nase schützen, um den letzten Rest kühler Luft von draußen nicht entweichen lassen.

Ich werde mich nicht setzen, denkt er, wer weiß, ob ich jemals wieder aufstehen könnte. Warum quälen sich Männer, warum foltern sie sich freiwillig, warum muss Gesundheit nur so weh tun? Warum rennen sie nicht gleich wieder hinaus, den Gefühlen des geschundenen Körpers nachgebend? Wollen sie sich keine Blöße geben vor den Veteranen, die ruhig, gelassen und in sich zusammengesunken auf den oberen Bänken verweilen? Fürchten sie Spott, verächtliche Bemerkungen über feige, verweichlichte Fremde? Mannhaft sein, noch eine kleine Weile. Mens sana in corpore sano!

Jetzt hinaus, nur hinaus! Verfolgt von den letzten Ausläufern des Hitzedämons, der dem flüchtenden jungen Römer seine qualmigen Fangarme nachschickt. Der schwankt auf das Eisbecken zu, tippt den Zeh hinein, schaudert kurz, fasst sich ein Herz und schreitet tapfer mit zusammengebissenen Zähnen und hervortretenden Kiefermuskeln in das eiskalte Nass.

Die Szene verblasst. verschwindet im Nebel der Vergangenheit, fern, irreal, wie die Weiden des Donauufers, die traurig und geheimnisvoll ins schilfbestandene Wasser hängen. In der Ferne Pferdegetrappel. Donnernde Hufe nähern sich, hallende Rufe. Waffengeklirr. Helme schimmern durch den Dunst, Schwerter blitzen, unbekannt harte Gesichter. Ein Einäugiger mit eisgrauem Bart führt die wilde Jagd an. Hagen von Tronje und die Fürsten der Nibelungen galoppieren die Donau entlang, trotzig, soeben enteilt der Gastfreundschaft Rüdigers, heimlich grübelnd über die tödliche Weissagung der Wasserjungfrauen. Noch einen Tagesritt zur Festung des Hunnenkönigs Etzel, auch genannt Attila, erbaut auf den Trümmern der römischen Garnisonsstadt Aquincum, die in ferner Zukunft einmal Budapest genannt werden wird...


Ich schrecke auf. Wo bin ich? Die Haut pellt sich von den Fingerspitzen. Schon drei Uhr. Ich muss gehen. Die Tür zum Vorraum klappt grausam auf. Eine geräumige Schrankwand, ein Jüngling verteilt Handtücher. Er blinzelt mir zu. Dienstleistung des Hauses für den gesäuberten, gewärmten Gast. Ich rubbele mich ab, will zurück in die wohlige Entspanntheit, bändige Haar und verwickelte Hosenbeine, greife mit spitzen Fingern nach qualmigenSocken. Trete hinaus ins Getümmel des Großstadtverkehrs.

Geschildert wird das Thermalbad im Hotel Gellert, Budapest, Ungarn. Erstmalig erschienen in HerrMann 1986.
06.09.2003
© BurkS

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