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 Betr.: Traumfrau Nächstes Thema anzeigen
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burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
Beiträge: 6757
Wohnort: Berlin-Neukoelln

BeitragVerfasst am: 02.09.2003, 23:01 Antworten mit ZitatNach oben

Betr.: Traumfrau

was glaubst du, schöne, wen du hier in ein gespräch gezogen hast! gut, wir waren auf derselben demo, vor zehn jahren. kann ich nicht von jeder frau sagen, die ich durch die gegend kutschiere. was ich ausser taxi fahren sonst so mache? ogottogott. erinnert mich an wg-einstellungsgespräche. politische arbeit. schreiben.

sie lässt sich zurückfallen. hihihi.

gleichfalls. du solltst dich nicht so vorlehnen. dein gesicht interessiert mich. du siehst wach und neugierig aus, du lenkst mich ab. na ja, eigentlich wollte ich lehrer werden, habe ich abgebrochen. kein beruf für mich, kinder zu verarschen. jetzt fahre ich taxi, nur nachtschichten. wie jetzt.

was glaubst du, was ich mache?

weiß sie, was ich denke? ich denke gar nichts. ich fahre in richtung wittenbergplatz. wütendes hupen. vorfahrt geschnitten. angst vor berliner taxen, du dorftrottel? vergiss es. sonst denke ich nichts.

normalerweise sehe ich nicht so aus. das schwarze abendkleid hab' ich mir von meiner mutter geliehen. ich war auf einer beerdigung und habe da meinen ersten freund getroffen. hat mir spaß gemacht, von alten zeiten zu plaudern. ich bin nicht besoffen, auch wenn du das vielleicht glaubst. ich bin nur guter laune.

...keine ahnung. was machst du denn so? schwachsinnsfrage. muss ich anders formulieren. sie wird ernst, schaut mich von der seite an. zieht die schultern hoch, presst die lippen aufeinander. ihre mundwinkel zeigen nach unten. sie macht den mund wieder auf. die ampel ist rot. ich muss sie ansehen. deine lippen sehen wie erdbeeren aus, denke ich.

...ach weißt du, promotion, gewerkschaft, theater...

...ach so. theater. deshalb. deine körpersprache könnte mich bei anderer gelegenheit aus den socken kippen lassen. der gedanke setzt sich direkt in bewegung um. toll. neben dir komme ich mir vor, als hätte ich einen besen verschluckt. verspannter nacken. kreuzschmerzen. ich spür meinen arm kaum noch. kribbeln im linken fuß. er hat nichts zu tun. mercedes automatik.

sag mal, wo fährst du eigentlich hin?

verdammte scheisse. urania. völlig falsch. umweg. mindestens 80 pfennig mehr. kannst du dir meinetwegen was drauf einbilden. ich fahre schon sieben jahre. ich bin ein alter hase. selbst mit staaken, frohnau und lichtenrade kannst du mich nicht erschrecken. nördlinger strasse im bayerischen viertel? mach' ich doch mit verbundenen augen.

ich glaube, du hast den schalk im nacken. amüsierst dich über mich. na gut. du hast mich ein bisschen verwirrt. kommt mal vor. du ärgerst dich hoffentlich nicht allzu sehr über den umweg.

macht nichts, dann zahle ich eben ein bisschen weniger. ich kenne mich hier aus, weißt du. bin hier geboren und aufgewachsen. meinen ersten kuss habe ich auf dem spielplatz in der berchtesgadener strasse gekriegt. kennst du die wenigstens?

...ist die nicht?

Sie lacht wieder. gleich drücke ich auf die hupe. nur so. das ist keine anmache. das ist theater. ihr scheint es spaß zu machen. okay. mir macht es auch spaß, obwohl ich der dumme bin.

schade. nördlinger strasse. bremsen. innenbeleuchtung , taxameter, gang raus, portemonnaie aus der seitentasche. wir quatschen über politik. sie sagt, sie sei realo. um mich zu ärgern? sie schätzt mich richtig ein. ich ärgere mich.

ich drehe meinen oberkörper halb zu ihr hin. sie lehnt entspannt zurück. ihre augen funkeln. warum steigt sie nicht aus? soll ich? ich muss doch den rubel rollen lassen. habe meinen dispo schon überzogen. die bank schreibt mir drohbriefe. noch vier stunden nachtschicht. nachttarif, achtzig mark mehr. verflixt. ich höre mich sagen: und was machen wir jetzt?

ich bin noch nicht richtig müde. lass' uns doch einen ein zusammen trinken. hier um die ecke ist 'ne nette kneipe, da geh' ich immer hin. wenn du willst.

Ich will. ja. aber mehr als einen kann ich nicht trinken. ich muss noch weiterfahren.

das kannst du ja wohl selbst entscheiden. ich muss auch spätestens in einer halben stunde ins bett.

wir sitzen uns gegenüber. reden miteinander. das ist kein smalltalk. es ist, als wenn wir uns schon lange kennen würden. wir geben uns wechselseitig stichworte. führen den satz des anderen zu ende. lachen über die gleichen dinge. veralbern uns. direkt, keine ausflüchte, keine spielchen. sie bringt mich gut drauf. ich werde wach und munter. sie fände mich sympathisch, sagt sie. sie könne sich gut mit mir unterhalten. ihre augen sagen: mehr nicht, taxifahrer. okay.

der wein ist alle. das gespräch stockt mitten im satz. wir schauen uns weiter unentwegt an. schweigen. ich fasse ihre hand an, sie hält meine hand, viele sekunden.

zu mir können wir nicht gehen, dass will ich nicht, weil...ich erkenne meine stimme nicht, als hätte ich zwei tage nichts getrunken.

ich kann es mir denken. zu mir können wir auch nicht. ich wohne nicht hier, bin zu gast bei meiner mutter. aber ich würde mitgehen.

vorbei. unsere augen lassen nicht los. ihr flugzeug ginge morgen früh um elf, sagt sie. bin ich hier im film? schau' mir in die augen, kleines? von wegen kleines. ich höre mein herz lopfen, ich bin hilflos. wir kennen uns eine stunde. ich könnte mich aus dem stand verlieben. aber keine chance.

lass' uns noch ein wenig spazierengehen, einmal um den block. dann muss ich aber wirklich nach hause. meine mutter wartet bestimmt schon mehrere stunden. ich sehe sie nur zwei mal im jahr. ich habe versprochen, noch ein bisschen zu quatschen mit ihr.

alles klar. zahlen. ein paar gäste schauen hinter uns her. wir legen die arme umeinander. gehen wortlos nebeneinander her. die strasse ist wie ausgestorben. nur wenige fenster sind erleuchtet. ganz fern hören wir den nächtlichen verkehr brausen. auch der mond ist kalt. er sieht nicht so aus, als wenn er die liebenden schützen wollte. nicht hier im dschungel der grossstadt. hier ist jeder allein und gott gegen alle.

wir bleiben stehen, mitten auf der strasse und küssen uns. lange. ich habe einen kloß im hals. es darf nicht wahr sein. gleich werden wir uns verabschieden.

komm', wir setzen uns noch ein paar minuten in das auto. ich friere.

sie sieht mich an, ein wenig fragend. habe ich etwa falsches gesagt? nimmt meine hand, und wir laufen zur taxe, als wenn das gleich ohne uns abfahren würde. motor an, heizung an. jeden moment wird sie sagen, dass sie jetzt gehen müsse.

ich will dich noch mal küssen, aber nicht direkt vor der kneipe. die tür steht auf, und sie glotzen schon hierher. fahr' mal um den block.

es ist totenstill. wir hören unser atmen. zögern. dann klammern wir uns aneinander, streicheln uns. überall. hemd aus. ihr reißverschluss.

was hast du denn für eine komische hose an? die hat ja gar keine knöpfe. zieh sie runter! sagt sie einfach so und kichert. fasst mich an, küsst mich. lacht mich an. ihr kleid will sie nicht ausziehen. das sei zu umständlich. es ginge auch so.

die scheiben beschlagen. ist auch gut so. wenn jetzt jemand vorbeikäme! der fiele glatt in den rinnstein. zum glück gehen die leute hier in der gegend alle früh schlafen. oder sitzen vor der glotze und öden sich an.

ich streichele sie, bis sie ihre finger in meine haare krallt. mach' weiter. du machst das gut. nochmal. du auch.

wir schwitzen, können nicht genug kriegen, werden immer neugieriger, sind überrascht voneinander, ertasten alles, berühren alles, küssen alles, saugen uns aus. atemlos. endlos.

wahnsinn. es wird hell, sie sitzt auf mir. nimmt meinen kopf in ihre hände. ich will nicht aufhören. ich habe aber hunger. lass' uns frühstücken fahren.

gegenüber trägt jemand zeitungen aus. guckt herüber. weg, du blödmann!

frühstück in einer schrägen spelunke am nolli. nutten, zuhälter, nachtschwärmer, berliner mischung. ich habe kaum hunger, bin noch halb erregt. trinke zwei kannen kaffee. sie ist heisshungrig, isst meine schrippen mit. schaut mich an, während sie in schinken und käse beisst. die müdigkeit kriecht mir in alle glieder. ringe unter den augen. die beleuchtung schmeichelt uns.

ich mag dich sehr.

ich dich auch.

das ist mir noch nie passiert.

mir auch noch nicht.

draussen ist es jetzt ganz hell. wir kneifen die augen zusammen, halten uns aneinander fest. ich fahre sie zurück. stopp.

wir werden uns wiedersehen. gib mir deine telefonnummer. warte mal...

sie kramt in ihrer tasche, holt ein messer heraus, schneidet sich eine dicke strähne ihres henna-haares ab.

hier. danke. es war schön mit dir.

ich kann nichts sagen. sehe sie an. sie küsst mich auf die stirn und steigt aus. klapp.

ich lasse den motor an. fahre nach hause. allein.

Die Geschichte spielt 1984. Damals arbeitete ich nebenberuflich als Taxifahrer in Berlin. Die Story war eine der ersten Kurzgeschichten, die ich geschrieben habe. Sie wurde 1986 im HerrMann veröffentlicht. Die Frau hiess Simone bzw. heisst heute immer noch so...

03.09.2003
© BurkS

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