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 [Mythos RAF 3] Schleyer - eine deutsche Geschichte Nächstes Thema anzeigen
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burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
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BeitragVerfasst am: 21.08.2003, 02:14 Antworten mit ZitatNach oben

Hanns-Martin Schleyer - eine deutsche Geschichte

Der Film Lutz Hachmeyers über den ermordeten Hanns-Martin Schleyer bewies zwei Thesen: eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen Stadtguerilla alias Terrorismus - vor allem der Roten Armee Fraktion- hat es nicht gegeben und ist bitter nötig. Und: der Streit a posteriori findet in den alten verbalen Schützengräben der siebziger Jahre statt und wird auch in naher Zukunft zu keinem Ergebis führen, mit dem irgendjemand leben kann. Die gute Nachricht: Der Autor hielt sich mit Interpretationen zurück, der Zuschauer musste sich sein eigenes Bild machen. Die Fakten waren nicht neu. Für die jüngere Generation eignet sich die filmische Dokumentation jedoch hervorragend, um das Interesse zu wecken. Die schlechte Nachricht: wie alle Medien wird der Film schon vorhandene Meinungen verstärken, sie also nicht ändern.

Ein rationaler Diskurs ist in Deutschland zu diesem Thema nicht denkbar. Schon die affirmative Wortwahl zeigt, wes Geistes Kind man ist und dass es um die Deutungshoheit auch der Gegenwart geht: die einen reden von der Baader-Meinhof-Bande, weil es kein negativeres Wort für eine Gruppe von Menschen gibt. Wer sich dem verweigert, gilt, wie schon während der Massenhysterie(1) in den 70ern mit Sondergesetzen und Diskussionen über Todesstrafe und Gefangenen-Erschießungen als potentieller Sympathisant der Täter. Als Retourkutsche wäre denkbar: Man benenne die Gedenkstätte Deutscher Widerstand um in: Kranzabwurfstelle für eine Bande antisemitischer Reformnazis. Das wäre inhaltlich nicht völlig falsch, aber zeigt, worum es bei der Wortwahl zu historischen Fakten in Wahrheit geht.

Wer Schleyer war, welchen Charakter er besaß und ob alle Fakten stimmen, die zum Beispiel der Schriftsteller Bernd Engelmann mit Hilfe der Stasi über Schleyer publiziert hat, ist uninteressant, wenn die RAF bewertet werden soll. Daniel Cohn-Bendit distanzierte sich 1975 in einer Talkshow von dem Mord an Schleyer, aber sagte: "Ekelhaft finde ich, dass seine ganze Vergangenheit einfach nicht dargestellt wird." Als wenn das eine Rolle spielte! Die moralische Diskussion zeigt: der Arbeitergeberpräsident wurde geopfert - von allen Beteiligten. Der Mord ist ein Exempel für die in allen religiösen Denksystemen abgelehnte Hybris, die Vermessenheit, sich zum Richter aufzuspielen. Die Bundesregierung opferte Schleyer, weil sie sich anmasste, eine fiktive Staatsräson über ein Menschenleben zu stellen. Die RAF ermordete den Gefangenen, offenbar, wie Stefan Wisniewski im Film zynisch und "unheimlich konsequent" meint, weil schon so viele gestorben seien - unter anderem die Polizisten Reinhold Brändle, Roland Pieler, Helmut Ulmer und Heinz Marcisz, der Fahrer Schleyers, - und den Tätern keine Begründung einfiel, ausgerechnet Schleyer am Leben zu lassen. Menschenverachtender kann man kaum argumentieren. Immerhin schrieb Peter-Jürgen Book(3) die einsichtigen Sätze: "Die Position der moralisch Besseren und Stärkeren, die sich ihrer gerechten Sache sicher sind und noch dazu die Macht in den Händen halten, konnten wir Schleyer gegenüber kaum über die ersten Tage retten."

Und auch in der Auflösungserklärung der RAF tauchen das politische Motiv der Stadtguerilla, die Machtfrage zu stellen, wieder auf - und die unglaubliche Vermessenheit, ohne Rückhalt in der Bevölkerung durch Terror politisch etwas ändern zu wollen - und dafür über Leichen zu gehen. Unheimlich klingt auch, was der "Gegner" der RAF sagt, als hätte man das Anliegen der Terroristen ernst genommen: der frühere Flick-Chef Eberhard von Brauchitsch sah einem "kriegsähnlichen Zustand", und der Spiegel meinte, der "Staat und seine Institutionen" seien an den Rand der Stabilität gebracht worden. Darüber darf getrost gestritten werden.

Ein ist unstrittig: der Mord an Hanns-Martin Schleyer ist nur vor der Folie und dem historischen Hintergrund des Nationalsozialismus zu erklären. Wer den "Tunnelblick" der damaligen Linken miterlebt hat, kann die klammheimliche Freunde (vgl. die Abbildung), die damals auch Menschen empfunden haben, die die RAF abscheulich fanden, verstehen. Die Republik weigerte sich, über ihre braune Vergangenheit zu reden. Und die, die damals Schleyers Weggefährten waren, haben gar nichts gelernt: Friedrich Kuhn-Weiss(2) über die Tatsache, dass die Nazis während der deutschen Besetzung Prags, darunter auch der SS-Mann Schleyer, sich die Besitztümer der Juden aneigneten: "Damals standen plötzlich viele Villen leer, erklärt er mit augenzwinkerndem Lächeln. Das war eben so, wegen der Umstände." Über die Zeit vor 1945 wurde auch in der Familie Schleyer offenbar kaum gesprochen. "Das muss man verstehen", verteidigt Hachmeister die Söhne. Nein, muss man nicht, ganz im Gegenteil.

Und deshalb liegt auch der geschätzte Kollege Sven-Felix Kellerhof falsch, wenn er in der Berliner Morgenpost meint, Schleyer hätte sich, "wie so viele andere, von der NS-Ideologie mitreissen lassen." Das ist Geschichtskittung, eine Priesterbetrugstheorie und falsch obendrein. Schleyer war überzeugter Täter, kein Mitläufer. Und er hat sich, und nur das ist ein Vorwurf, öffentlich nicht damit auseinandergesetzt. Falsch ist auch, die RAF habe kein politischen Anliegen gehabt. Natürlich hatte sie eins. Kein anderes hatten diejenigen, die im Namen der französischen Revolution politische Gegner zu Tausenden hinrichteten. Der Terror kommt immer in einem politischen oder, wie bei den Spießgesellen Osama bin Ladens, in einem religiösen Kostüm daher. Historische Ereignisse eignen sich aber wenig für suggestiv gestellte Moralfragen.

Eine RAF-Ausstellung muss also her. Und so kontrovers wie möglich. Nur wenn die gelingt und eine breite Kontroverse auslöst, kann die neue Bundesrepublik beweisen, dass sie aus ihrer jüngsten Geschichte gelernt hat. Wenn der Satz "Wehret den Anfängen" überhaupt einen Sinn haben soll, dann so, dass Schweigen über die Vergangenheit nur neues Unheil heraufbeschwört.

1) Die Quelle, die Rote Hilfe Zeitung, stammt aus dem Jahr 1998, in dem sich die RAF auflöste. Zu den Sondergesetzen, die heute noch in Kraft sind, vgl. das taz-Special: "Mit dem Paragraphen 129a wird nicht nur die Mitgliedschaft in einer "terroristischen Vereinigung" unter Strafe gestellt, sondern bereits die "Unterstützung" und "Werbung". In den 80er Jahren wurde der Terrorismus-Begriff zudem immer stärker ausgeweitet. Unter dem Eindruck des militanten Widerstandes gegen die Startbahn West in Frankfurt und die geplante Atommüll-Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf wurden per Gesetz auch Sabotageakte gegen Verkehrswege und Baumaschinen zu "Terrorismus" erklärt. In den Jahren 1980 bis 1996 wurden gegen mehr als 6.000 Menschen Verfahren nach Paragraph 129a eingeleitet - in fast 80 Prozent der Fälle ging es um "Unterstützung" und "Werbung".
2) Nur noch im Google-Cache: [url]de.news.yahoo.com/030708/12/3j2e9.html[/url]
3) Über Books' Buch:
Insider-Bericht
über die Entführung des Hanns-Martin Schleyer, Telepolis 26.01.2003; Rezension im Perlentaucher, amazon.

Die Abbildung stammt von www.koelnnetz.de/private/danke/

[Mythos RAF 1 Das Ende der Zeit ist die Wurzel des Bösen
[Mythos RAF 2 Bettina Röhl: Geheuchelt und gemeuchelt


21.08.2003
© BurkS

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