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 [Mythos RAF 1] Das Ende der Zeit ist die Wurzel des Bösen Nächstes Thema anzeigen
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burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
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Wohnort: Berlin-Neukoelln

BeitragVerfasst am: 05.08.2003, 00:28 Antworten mit ZitatNach oben

Terror ist immer ein Zeichen der kommenden Niederlage, also der Schwäche. Nach dem Terror der Guillotine folgte Napoleon; und, wenn man Gilles Kepel glauben will: nach dem Terror des 11. September folgt die endgültige Niederlage des islamischen Fundamentalismus. Der Terror der Roten Armee Fraktion war das Fanal, dass sich die Idee der europäischen Linken, eine gerechte Gesellschaft jenseits des Kapitalismus zu schaffen, verflüchtigt hatte. Warum also angesichts dieser Botschaft keine Ausstellung über die RAF?

Eine Ausstellung ist nie objektiv: allein die Auswahl der Fakten und Gegenstände, die sie zeigt, interpretiert Geschichte und damit auch die moralische Botschaft. Kein Wunder, dass sich alle erregen. Die Rechte, weil die RAF ihr die Legitimation geben soll, die Idee, Rebellion gegen die da oben sei gerechtfertigt, endgültig zu diskreditieren. Es geht nicht um die RAF, es geht um alles: wer Terror ausschliesslich moralisch und nicht historisch diskutieren will, möchte nicht nur Meinhof, Baader und Ensslin auf den oft zitierten Müllhaufen der Geschichte werfen, sondern gleich die Geschichte aller Revolutionäre bis Thomas Münzer der affirmativen Extremismus-"Forschung" weltanschaulich besenrein übergeben. Der Rechte braucht die RAF, weil ohne die ihr ideologisches Konstrukt Linksextremismus ad absurdum geführt würde.

Die Linke erregt sich, weil ihre Ziele sich nicht von denen des Terrors unterschieden. Und daran möchten einige, die auf dem Weg durch die Institutionen stromlinienförmig geschliffen wurden, nicht erinnert werden. Wäre es der RAF gelungen, wie ein Fisch im Wasser des Volkes zu schwimmen, hätte sie ihrer einzigen theoretischen Konkurrentin, der kommunistischen Avantgarde alias Partei, die immer Recht haben wollte, das Wasser abgegraben. Die Gewalt, die von unten kommt, nimmt je nach Alltagskultur und Geschichte, eine besondere Form an: in Spanien konnte sie anarchistisch sein, in Russland nihilistisch, in Deutschland nur ordentlich als selbst ernannte Avantgarde, die die Massen erst zur Revolution erziehen wollte.

Was gern vergessen wird: Die RAF hätte es nie gegeben ohne Vietnam, ohne das, was damals Befreiungskampf der Völker genannt wurde und aus heutiger Sicht etwas ganz anderes und alt bekanntes war: die herrschende Klasse der Kolonialmächte durch die eigene herrschende Klasse zu ersetzen, die sich mit dem Logo Befreiung nur zeitweilig kostümierte. Die RAF stand und existierte nicht allein, es gab nicht nur die Tupamaros als vorbild für die Stadtguerilla. Die Sympathie der Linke für den bewaffneten Kampf der revolutionären Avantgarde war von Dauer, die taz-Aktion Waffen für El Salvador brachte damals in wenigen Wochen drei Millionen Mark ein.

Christian Semler schrieb heute in der
taz über den Versuch, die jüngste deutsche Geschichte zu historisieren und den Historiker: "Selbst wenn er über felsenfeste moralische Überzeugungen verfügt, ist er in erster Linie nichts aufs Verurteilen, sondern aufs Verstehen geeicht. Was bedeutet aber verstehen? Doch nur, sich selbst zu erkennen, also eine Metatheorie der eigenen Moral zu entwickeln. Sobald aber politische Ziele, die letztlich immer auf Moral beruhen, relativiert werden, eignen sie sich nur noch für zynische Machtpolitiker. Natürlich hat sich die Linke nie um die Opfer des Terrors gekümmert - ein blinder Fleck, der dem ähnelt, die Dissidenten der DDR gegen den real existierenden Sozialismus nie ernst genommen, sondern fast in die Vorhölle der Konterrevoluton verbannt zu haben.

Semler fragt, und das wird vermutlich niemand im bräsigen Mainstream der Medien sonst fragen: warum diskutiert man nicht die Kontinuität der "Sicherheitslage" von den siebziger Jahren bis heute? Die damaligen Anti-Terror-Gesetze sind alle noch in Kraft und bedeuten immer noch einen tiefen Einschnitt in demokratischen Grundrechte. Die innerstaatliche Feinderklärung erfolgte in beide Richtungen und kann, besonders bei den obrigkeitshörigen Deutschen, jederzeit wieder hervorgekitzelt werden. Semler erwähnt die "Sympathisantenhatz, die Massenkontrollen, die Verbote und Reglementierungen ein dichtes gesellschaftlihes Klima des Konformismus und der Anpassung"; nicht zuletzt waren auch die Berufsverbote und die allgegenwärtige Gesinnungsschnüffelei ein Ergebnis, das von beiden "Seiten" letztlich gewollt war. Den herrschenden Klassen, wer auch immer das jeweils sei, gefällt, das lehrt die Geschichte, immer und ausnahmslos leicht zu manipulierende Volk. Wer das im Theater sehen will, besuche eine Aufführung von Brechts Die heilige Johanna der Schlachthöfe. Und den Terroristen, weil sie dem Staat die faschistische Fratze vom Gesicht reissen wollten.

Ein Fazit aus der Geschichte der RAF macht offenbar Angst: nicht ein Heldenstatus, sondern die Tatsache, dass Rebellion sich mit Ikonen der RAF und die als popkulturelle Ästhetik schmückt. Die gute Nachricht: Andreas Baader auf einem T-Shirt bedeutet genausowenig etwas wie Che Guevara. Baader war menschlich ein Arschloch, der Frauen nur mit Votze anredete, sich Heroin spritze und dem ein Menschenleben nichts galt, er eignet sich selbst für die einfachsten Gemüter nicht als Vorbild. Aber wer die RAF-Terroristen wirklich waren und ihre Taten spielen gar keine Rolle, wenn sich eine nachgeborene Generation die Geschichte neu aneignet. Historisierung heisst immer: sich in ein frei gewähltes Kostüm der Geschichte neu einkleiden.

Die schlechte Botschaft: die RAF ist aktuell und wird in anderer Form wiederkehren. Die wahre Botschaft der RAF ist religiös und nicht anders als die der Münsteraner Wiedertäufer, die, reinkarnierten sie heute, ebenfalls als Terroristen tituliert würden. Der Philosoph Hans Blumenberg nennt das Motiv des Terrors einen Teufelspakt, "der im Kern darin bestehen muss, mit Mitteln der Magie, der Gewalt oder der Illusion die Weltzeit auf die Maße der Lebenszeit zu zwingen." Die revolutionäre Ungeduld, die nach der eigenen Idee zwingen zu wollen, nährt sich aus einer Anmaßung: "Ganze Völkerschaften sind durch die Worte eines einzigen Predigers in Bewegung gesetzt worden, wenn er nur zu beschwören vermochte, die gerade Lebenden würden noch erleben, was überhaupt zu erleben sei." So wie Gudrun Ensslin es in der "Gründungserklärung" der RAF formulierte: "es hat keinen Zweck, den falschen Leuten das Richtige erklären zu wollen. Das haben wir lange genug gemacht." Und nicht zufällig waren viele Terroristinnen Pfarrerstöchter.

Es wird daher eine Ausstellung geben. Ganz gleich, was dort ausgestellt werden wird: jeder sieht die Exponate mit anderen Augen und wird sie anders interpretieren. Und es wird garantiert Leute geben, die der allgegenwärtigen Idee, der Kapitalismus sei nicht das Ende der Geschichte, etwas abgewinnen können. Terrorismus hat es immer und wird es immer geben. Ein Zweck einer Ausstellung könnte sein, um es zynisch zu formulieren, potentielle Sympathisanten über die Risiken und Nebenwirkungen aufzuklären. Und dazu müssen auch die Opfer und deren Angehörigen zu Wort kommen - auch wenn deren politische Meinung genauso abscheulich sind wie die Biografie des von der RAF ermordeten Ex-Nazis und Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer.

"Das Ende der Zeit ist die Wurzel des Bösen" ist ein Zitat aus "Lebenszeit und Weltzeit" von Hans Blumenberg.

05.08.2003
© BurkS

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