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 Matt in vier Zügen Nächstes Thema anzeigen
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burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
Beiträge: 6757
Wohnort: Berlin-Neukoelln

BeitragVerfasst am: 31.07.2003, 23:10 Antworten mit ZitatNach oben

Morgen beginnt die neue Bundesligasaison. Das ist etwas für das gemeine Fussvolk. Für die Elite der Info-Internet-Avantgarde heute das ultimative Sporträtsel am Freitag - zu gewinnen gibt es ein Buch (das sind diese zusammengeklebten Blätter aus Papier mit den vielen Buchstaben drauf). Natürlich geht es um die elitärste Sportart überhaupt, die Mutter der Logik, der Konzentration und des scharfen analytischen Verstandes.

Matt in vier Zügen

Das neue Jahr wird gewöhnlich gefeiert. Wie, das hängt von den Umständen ab. Manche feiern in Nachtlokalen, manche zu Hause vor dem Fernsehapparat. andere beim Tanz, auf der Straße, in der Eisenbahn, im Flugzeug, auf dem Schiff und die größten Optimisten - im Spielkasino. Bald wird man den Jahreswechsel auch in Raumschiffen, auf dem Mond und sogar auf einem anderen Planeten begehen. Manche, aber auch ihre Zahl ist zweifellos gering, verbringen das neue Jahr vor dem Schachbrett, so sehr sind sie dem Reiz dieser faszinierenden Welt verfallen.

Zu diesen wenigen gehörte auch ich einmal. Freilich notgedrungen. Die Details dieser Begebenheit, die sich vor mehr als zwanzig Jahren zutrug, sind mir zwar nicht in Erinnerung geblieben, aber ich weiß noch ganz genau, dass alles so gekommen ist, weil ich - wie alle anderen jungen Leute auch - mir nichts so sehr wünschte, als den Beginn des neuen Jahres vergnügt zuzubringen, in lärmender, ausgelassener Fröhlichkeit. Nicht aber in einer nur vom Ticken der Schachuhr unterbrochener Stille.

Die jährliche Klubmeisterschaft war schon abgeschlossen. Nur zwischen mir und Rosenberg, einem alten Mitglied, war noch eine Partie anständig, die aufgeschoben werden musste, weil Rosenberg erkrankt war. Ein Sieg hätte mir den dritten Platz gesichert; hätte mein Gegner gewonnen, dann wäre er nicht Letzter geworden. Die Partie sollte auf Beschluss des Klubs auf jeden Fall noch vor dem Jahresende gespielt werden. Ich setzte mich gegen diesen Formalismus zur Wehr, denn das bedeutete, dass die Partie - mangels anderer Termine - ausgerechnet am 31. Dezember ausgetragen werden sollte.

"Es ist mir unverständlich, warum man die Partie nicht auch an einem anderen Tag, etwa am 3. Jänner, austragen kann, sondern gerade dann, wenn man andere Dinge vorhat, als Schach zu spielen", sagte ich mit jugendlicher Entrüstung zum Präsidenten des Klubs. "Das ist eine beschlossene Sache, junger Mann, Sie und Rosenberg haben schriftlich Ihre Zustimmung erteilt. Abwesenheit würde unweigerlich disziplinäre Maßnahmen nach sich ziehen. Also entschließen Sie sich. Die Partie beginnt um 1 Uhr. Sie brauchen aber keine Sorge zu haben, zu Ihrem Rendezvous kommen Sie sicher noch zurecht", meinte der Präsident mit bedeutsamem Augenzwinkern und klopfte mir gutmütig auf die Schulter.

Das Rendezvous beschäftigte mich tatsächlich sehr. Wenige Tage zuvor hatte mich mein Freund Sasko mit einer Schwarzhaarigen bekannt gemacht, die aussah wie die Blumenverkäuferin aus Pygmalion, nachdem sie von Higgins den ersten Schliff erhalten hat. Ich war also "galant" und sagte ihr, dass ich sie "durchstudiert" hätte und dass sie wie die schwarze Dame auf a5 in der Cambridge-Springs-Variante aussähe. Sie schenkte mir ein hinreissendes Lächeln, und Sasko erzählte mir tags darauf, dass sie von mir begeistert sei, weil ich in Cambridge studierte. Wir waren zu einer gemeinsamen Silvesterfeier verabredet - Tanz ohne Ende usw. Und jetzt sollte ich statt dessen mit dem Rosenberg versauern...

Die Partie zog sich hin wie die sieben mageren jahre. Je später es wurde, desto nervöser wurde ich. Wir spielten beide ausserordentlich schlecht. Er langsam, ich schnell. Gegen 20 Uhr verließen uns auch die letzten, enthusiastischesten Zuschauer. die Zahl der leeren Cognacgläser vermehrte sich auf meiner Seite des Brettes im Verhältnis zu den geschlagenen Figuren "Onkel" Rosenbergs. Er ließ sich davon nicht beirren. Kaltblütig und lang dachte er nach, zu lange für mich, wahrscheinlich mehr darüber, wie wir Mitternacht beim Schachbrett erleben würden als über bessere Züge. Bei mir war es genau umgekehrt - ich dachte darüber nach, wie ich so rasch wie möglich und auf jeden Fall noch vor Mitternacht in den "Weißen Ochsen" verduften könnte, wo jetzt die "schwarze Dame" saß und meiner wartete. Was Wunder, wenn ich allerhand unüberlegte Züge machte. Ich war auf die Leitung des Klubs böse, auf Rosenberg und auf mich selbst, dass ich diese verdammte Partie nicht gewinnen konnte. Die Verzweiflung wollte mich übermannen, als ich von der Kathedrale die Stundenschläge in der verschneiten Winternacht und neben mir das unablässige Ticken der Schachuhr hörte.

In Gedanken war ich im "Weißen Ochsen", als ich feststellte, dass ich nur mehr verschwommen sah und meine weissen von den gegnerischen schwarzen Steinen nicht mehr unterscheiden konnte. Ich fasste daher den Entschluss, alles Schwarze vom Schachbrett zu eliminieren, ohne auf eigegen Verluste Rücksicht zu nehmen. Denn sobald nur noch die höchste schwarze Figut übrig sein würde, müsste sich Rosenberg geschlagen geben. Doch mir zum Trotz gab es in dieser Partie schwarze Figuren wie rote Ameisen.

Unter grössten Anstrengungen gelang es mir, unter den verschiedenen Zeigern der Uhr den richtigen zu erfassen. Mit Schrecken musste ich feststellen, dass nur noch 15 Minuten bis Mitternacht verblieben, während "Onkel" Rosenberg zu seinem 50. Zug ansetzte. Ich versuchte zu überlegen, welche der verschiedenen Möglichkeiten in der folgenden rhapsodischen Position ich wählen sollte, da hörte ich die Stimme meines Gegners: "Ich ergebe mich, junger Mann. Schade, dass das Ende gekommen ist. Aber ich kann nicht verhindern, in vier Zügen mattgesetzt zu werden. Ich gratuliere."

Einige Minuten starrte ich auf das Schachbrett, dann auf meinen Gegner, und dann stürzte ich, fast ohne zu grüßen, die Treppen hinunter zum Taxi und zum "Weißen Ochsen". Aber da war es schon zu spät. Das neue Jahr kam vor mir an, verteilte seine Gaben, und meine "schwarze Dame" war im Getümmel verchwunden, wahrscheinlich voller Verachtung für den "Schüler aus Cambridge". Nebenbei bemerkt, ich habe sie nie mehr gesehen.

Als ich am Heimweg niedergeschlagen wie ein begossener Pudel durch die freudig bewegte Menschenmenge schlich, ging mir dieses Matt in vier Zügen nicht aus dem Kopf. Schließlich wünschte ich alles zum Teufel. Ich glaubte, der Alte hätte sich das ausgedacht, um die Partie - wenngleich es ohnehin keine Zeugen gab - "stilgerecht" aufgeben zu können.

Nach zwei Tagen traf ich "Onkel" Rosenberg im Klub. Ich bat ihn, mir zu erklären, was er in jener Nacht mit dem Matt in vier Zügen gemeint hatte. Er schaute mich überrascht durch seine dicken Brillengläser an und sagte tadelnd: "Junger Mann, Sie setzen mich in Erstaunen. Wären Sie Meister, was aber zum Glück noch nicht der Fall ist, würde ich verlangen, dass man Ihnen den Titel aberkennt."

Ich errötete. Im Beisein einiger Klubmitglieder wurden die Positionen nach dem 50. Zug der schwarzen Seite wieder aufgestellt, und dann demonstrierte "Onkel" Rosenberg, was er in der Neujahrsnacht gesehen hatte.

Alle waren begeistert. Ich aber ergriff wortlos und etwas beschämt die Hand des alten Schachfreundes. Und irgendwie tat es mir nicht mehr leid um die misslungene Neujahrsfeier.

Wer schrieb diese Geschichte? (Auf dem Foto oben der Dritte von rechts). Und wie geht das Matt in vier Zügen? Wer beide Fragen richtig beantwortet, bekommt ein Buch von mir zugeschickt - welches, ist eine Überraschung.

Auflösung hier, das Rätsel stammt vom Internationalen Schachmeister Rudolf Maric.


01.08.2003
© BurkS

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