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 Die Stefan-Raabisierung der männlichen Ästhetik Nächstes Thema anzeigen
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burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
Beiträge: 6757
Wohnort: Berlin-Neukoelln

BeitragVerfasst am: 25.07.2003, 23:23 Antworten mit ZitatNach oben

Der deutsche Mann trägt wieder Uniform. Ich sitze also bei herrlicher Nachmittagssonne in meinem Stammcafé Atlantic in der Bergmannstrasse und genieße diverse Getränke, bei Zeitung, gutem Buch oder sozialen Geräuschen mit Freunden. Zu Dutzenden flanieren merkwürdige männliche Gestalten vorbei, wie eine Armee chinesischer Klonkrieger: Turnschuhe, kurze Strümpfe, knielange Hosen, Stadtrucksack. Alle, alle, alle tragen die gleiche Kleidung. Als ich in dem Alter war, in dem ich heute Dumpfbacken-TV à la Stefan Raab auch nicht gesehen hätte, gab es weder halblange Hosen noch Stadtrucksäcke. Was transportieren die nur darin? Waren die vorher bei ALDI?

Die durchaus anspruchsvolle Recherche-Aufgabe: wie heissen diese Dinger, ohne die der männliche Kurzhaar-Stadtrucksackträger nicht mehr das Haus verlässt? Nach längerer Googlelei entscheide ich mich für den Fachterminus City-Bermudas: Knielange Hosen, die sich in stadtfeiner Kombination und edler Materialwahl formell präsentieren.. Die City-Bermudas unterscheidet sich von den mir durchaus bekannten Bermuda-Shorts, dass sie zahllose Taschen besitzt, die - in Kombination mit den von mir zutiefst verabscheuten Mini-Rucksäcken - so viel Platz bieten, dass man die Accessoires für ein halbes Jahr Abenteuer-Urlaub am oberen Casiquiare darin verstauen könnte. (Die StammleserInnen diese kleinen Famienforums wissen gleich, worum es geht.) Ein Stadtrucksack hat nur eine Existenzberechtigung: ein Notebook zu transportieren.

Vielleicht ist die Uniformierung auch nur das Ergebnis eines - ethnologisch noch zu erforschenden - Herdentriebs, also einer opportunistischen Hormonausschüttung der primitivsten Art. Man stelle sich vor: alle Männer, die einen umgeben, tragen die gleichen Textilien! Enden 200 Jahre Modegeschichte in einem geschmacklichen Desaster, trotz der unendlichen Vielfalt, die auch intellektuell auf Sparflamme flackernden Ballermann-Gehirnen zumindest theoretisch zur Verfügung stünde?

Turnschuhe, Socken, City-Bermudas, Stadtrucksack: Ergänzen Sie, geneigter Leser und wohlwollende Leserin, wie bei einem Intelligenztest die logische Reihe. Danach kann nur noch Stefan Raab kommen, der Dieter Bohlen für 14jährige Analphabeten, die vermutlich jemanden für einen Intellektuellen halten, der einen normalen deutschen Satz ohne Füllworte hinkriegt, ein Buch von einer Rolle Toilettenpapier unterscheiden kann und keine City-Bermudas besitzt.

Aus völkerkundlicher Sicht ist die oben beschriebene Kostümierung nur eine Neue-Mittelschichten-Version des bierbäuchigen kurzbehosten Sandalen-Trägers mit weißen Socken. Auch die Kunst hat sich der ästhetischen Katastrophe schon angenommen. Die Zukunftsforschung ordnet die Uniform wie folgt ein: Schon in den 80er Jahren bezeichnete der Philosoph Peter Sloterdijk die umfassende Mobilmachung als ein herausragendes Charakteristikum unserer Zeit. Der Walkman, das Handy, der Stadtrucksack begannen als "nomadische Objekte" zur gleichen Zeit ihren globalen Siegeszug. Führt man sich die enorme Bedeutung der Führerscheinprüfung als eine Art Einweihungsritual in die Erwachsenenwelt vor Augen, wird das Selbstverständnis unserer Gesellschaft als einer ungebundenen, nicht stationären deutlich. Inzwischen werden "Wohnkleider", "Hosenzelte" oder ein "wearable office" für die Nomaden des 21. Jahrhunderts angeboten.

Alles klar soweit? Die neue Uniform ist in Wahrheit eine Simulation. Die City-Bermudas und der Stadtrucksack (im Idealfall sind alle Taschen leer und im Rucksack nur eine Packung Präservative und Papiertaschentücher) zitieren: die Survival-Ausstattung des wahren Globetrotters. Die Stefan-Raabisierung der männlichen Ästhetik schreit heraus: Seht her! Wenn ich könnte, ich würde. Die City-Bermudas verhält sich zur normalen Männerhose wie ein Taschenmesser zu einer Machete.

Aber die braven kurzhaarigen Jungs mit ihren Turnschuhen, Strümpfen und Stadtrucksäcken trauen sich eben nicht, aus der ästhetischen Reihe zu tanzen. Stattdessen stehen sie mir in der Bergmannstrasse mit dumpfen Gesichtsausdruck vor der Sonne. Vielleicht sollte ich ihnen ein autonomes und gewaltbereites Demonstrantenwort entgegengeschleudern: Ich bin nichts! Ich kann nichts! Gebt mir eine Uniform - will sagen: Turnschuhe, Strümpfe, City-Bermudas und einen Stadtrucksack.

26.07.2003
© BurkS

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