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 [Latinoblog 9: Venezuela 8] Adios Venezuela Nächstes Thema anzeigen
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burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
Beiträge: 6757
Wohnort: Berlin-Neukoelln

BeitragVerfasst am: 11.07.2003, 00:40 Antworten mit ZitatNach oben

Adios Venezuela

[Die Bilder in Originalgrösse sind nur für registrierte Nutzer des Forums zugänglich.]

Mitten auf dem Fluss liegt eine winzige Insel. Die Kolumbianer haben dort einen Posten. Keines der Schiffe kommt ungesehen an ihnen vorbei. In der Nacht leuchten sie mit einem Scheinwerfer umher. Jede zweite Nacht sind in der Ferne Schußwechsel zu hören. Die Guerilla, sagen die Venezolaner.

Für Individualreisende ist die Region östlich und südlich von San Fernando Sperrgebiet - zum Schutz der Indianer. Um hier zu reisen, benötigt man eine schriftliche Erlaubnis der Indianerbehörde im Kultusministerium, des Innenministeriums in Caracas und der Distriktsverwaltung in Puerto Ayacucho. Aber die Behörden sind weit, und Papier zählt weniger als der menschliche Kontakt. Am oberen Orinoco gibt es zwei Dutzend illegale Goldminen. Der Kommandant der örtlichen Guardia Nacional kann die genauen Standorte auf der Karte zeigen. Wichtige Honoratioren des Ortes sind daran nicht ganz unbeteiligt, und der Schmuggel nach Kolumbien ist ebenfalls einträglich. Übermäßiger Aktivismus der Sicherheitskräfte würden den regen Bootsverkehr nur unnötig stören.

Nach einer Woche steige ich in das Boot, das zwischen San Fernando und dem anderen Ufer pendelt. Amanaven heisst der Ort, und besteht nur aus wenigen Häusern. Der nächste grössere Ort ist Puerto Inirida in Kolumbien, aber die Fahrt mit einem schnellen Aussenborder dauert über eine Stunde. Drüben, in Amanaven, trocknet ein Fischer Stockfisch (Bilder oben 3.u.4.v.l.). Einer der Fische macht die ganze Reise in meinem Rücksack bis nach Berlin und landet dort in der Pfanne. Man muss nur die dicke Salzschicht entfernen, dann schmeckt er wunderbar. So etwas werden die Konquistadoren vor fast 500 Jahren auch gegessen haben.

Clemente Guicho ist Curripaco - eine indianisches Volk, das am Westufer des Atabapo lebt, aber äußerlich nicht von den Kreolen zu unterscheiden ist. Deshalb bleiben die Curripaco von Touristen auf der Suche nach "Naturvölkern" unbehelligt. Curripaco, ein Aruak-Dialekt, wird nur noch von 600 Menschen in rund dreißig Dörfern gesprochen. Guicho hat ein schnelles Boot, eine Vorliebe für amerikanische Dollar, kümmert sich nicht um Vorschriften und fährt gern den Atababo hinab, bis kurz vor Javita in der Nähe der brasilianischen Grenze.

Alexander von Humboldt schreibt: Unsere Piroge bleib ein paar Minuten lang zwischen zwei Baumstämmen stecken. Kaum war sie wieder losgemacht, kamen wir an eine Stelle, wo mehrere Wasserpfade oder kleine Kanäle sich kreuzten, und der Steuermann wußte nicht gleich, welches der befahrenste Weg war. Sobald die Sonne aufgegangen war, ging es wieder, um der starken Strömung auszuweichen, durch den überschwemmten Wald. Das Klima in Javita ist ungemein regnerisch.

Doch die Wettergötter haben ein Einsehen. Keine Wolke trübt den Himmel, und am Abend kann der Reisende die Hängematte unter freiem Himmel aufspannen. Das Kreuz des Südens steigt langsam zum Zenit. Die Worte Humbolts kann ich wieder und wieder lesen. Nur jemand, der dort war, kann sie verstehen: Es war eine der stillen, heiteren Nächte, welche im heißen Erdstrich so gewöhnlich sind. Die Sterne glänzten im milden planetarischen Licht. Ein Funkeln war kaum am Horizont bemerkbar, den die großen Nebelflächen der südlichen Halbkugel zu beleuchten schienen. Ungeheure Insektenschwärme verbreiteten ein rötliches Licht in der Luft. Der dichtbewachsene Boden glühte von lebendigem Feuer, als hätte sich die gestirnte Himmelsdecke auf die Grasflur niedergesenkt.

Es ist Karneval. Und alle Leute sammeln sich am Abend in der Turnhalle. Die Kinder und Jugendlichen führen Tänze vor und die Padres machen gute Miene zum Spiel. Mit christlicher Lehre hat das nicht viel zu tun. Der Schlangentanz (Bild oben 2.v.r.) ist wahrscheinlich genauso alt wie die katholische Kirche. Die Kinder wissen nicht, was sie da tanzen, aber über die oral history werden Traditionen überliefert, die Ethnologen entschlüsseln können. Der Mythos der Schlangengöttin hat sich bis in die Anden verbreitet, in die Legenden der Chibchas, auch Muisca genannt, dort, wo die Konquistadoren das El Dorado suchten.

Am Ortsausgang stehen ein paar kleine Buden. Eine Frau fegt den Boden. Ich wundere mich; die Frau lacht und sagt, sie sei Kolumbianerin. Venezolaner würden nicht arbeiten. So pflegt jeder seine Vorurteile. Bis spät in die Nacht sitzen die Fremden des Ortes zusammen, vor der einzigen Bude, die Huhn und Reis verkauft: Zwei Künstler aus Arnstadt, die es in diese Gegend verschlagen hat und die die ersten Ausländer sind, die ich seit zwei Monaten gesehen habe. Leider sprechen Christian und Dorsten weder englisch noch spanisch und können nicht viel über das Land, durch das sie reisen, erzählen. Ein reicher Venezolaner mit seiner Frau, der Abenteuer-Urlaub im eigenen Land macht. Ein paar Kolumbianer, von denen man nie weiß, ob sie vom Schmuggel leben oder vor dem ewigen Bürgerkrieg geflohen sind oder beides. Ich erzählen ihnen Ossi-Witze auf spanisch, und wir lachen uns alle kaputt.

Nach eine Woche muss ich zurück. Ich hätte dort noch Monate bleiben können. Am letzten Abend sitze ich nach Sonnenuntergang allein lange am Ufer und sehe den Rio Atabapo nach Süden (Bild oben links). Fünf, sechs Stunden mit dem Aussenborder, und man ist in Brasilien am Rio Negro. Von dort ein, zwei Tage nach Manaus am Amazonas. Dort war ich schon zwei Mal. Von dort? Nach Nordosten, kurz nach Guyana, in die Savannen, oder wieder zurück in den Osten Venezuelas - über Boa Vista im brasilianischen Bundesstaat Roraima, wo Papillon nach seiner Flucht von der Teufelsinsel lebte? Vor zwanzig Jahren bin ich in Boa Vista in einen Fluss gefallen und konnte anschliessend meine Kamera wegwerfen. Nach Süden, quer durch den Amazonas-Dschungel bis nach Bolivien? 1980 hatte ich diese Tour in der Gegenrichtung gemacht. Oder den Amazonas aufwärts bis nach Peru? Das nächste Mal. Ich will gar nicht wieder nach Deutschland....

Mit dem Schnellboot wieder zurück, mit den hübschen venezolanischen Frauen flirten (Bild oben rechts). Die Sitten und Gebräuche zwischen Männern und Frauen in Venezuela sind einfach, aber lästig: nach dem ersten Satz zahlt der Mann alles. Ein paar hundert Kilometer weiter im Norden überquere ich zum letzten Mal den Rio Orinoco (Bild links, 2.v.o.). Er ist schon so breit, dass die grosse Autofähre mehr als eine Stunde braucht. Der Rhein ist ein Bach dagegen.

Am letzten Morgen in Caracas frühstücke ich in meinem Stamm-Stehcafé. Neben mir sitzt ein rundgesichtiger Mann mit pechwarzem langen Zopf - eine in Venezuela nicht übliche Frisur bei Männern. Ich frage ihn, ob er aus Ecuador sei? Er blickt mich verdutzt an und nickt. Aus Otavalo? vermute ich. Er lacht und nickt wieder. Woher ich das wissen könne? Wo denn sein Poncho sei, den ein Otavaleno nie ablegt? frage ich zurück. Er meint, es sei ihm schlicht zu heiss. Wir reden über eine Stunde miteinander. Er sagt, dass er Geschäfte mache und dass die Venezolaner alle faul wären und nicht arbeiten wollten. Verkaufen will er mir auch noch etwas. Ich muss lachen, erkläre ihm, dass ein durchtriebener Otavaleno mich garantiert über's Ohr hauen würde. Der Indio grinst und nickt. Wir umarmen uns lange, wünschen uns eine gute Reise und nennen uns hermano (Bruder). Ich bin glücklich. Was ist wahres Reisen? Wenn ein Indianer aus Ecuador mit einem deutschen Gringo in einer Kneipe in Caracas sitzt und über die angeblich arbeitsscheuen Venezolaner lästert.

Ich werde zurückkehren in meine zweite Heimat Lateinamerika.

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[Latinoblog 8: Venezuela 7] An der Grenze zur grünen Hölle


07.07.2003
©BurkS

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