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 Ein Irrtum bezüglich Popkultur [Matrix reloaded] Nächstes Thema anzeigen
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burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
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Wohnort: Berlin-Neukoelln

BeitragVerfasst am: 23.06.2003, 23:47 Antworten mit ZitatNach oben

Gastkolumne rv (www.struppig.de): Ein Irrtum bezüglich Popkultur

1999 war ein sehr, sehr merkwürdiges Jahr. Es passierte ein Haufen Zeug, nämlich neben meinem Abitur auch noch die New Economy, Berlin, Fight Club (den ich nicht sah) und Matrix (den ich sah). Matrix war so eine Sache: Dieser Film tat Dinge, die vorher ungetan waren. Im Grunde: Er hielt die Zeit an und bewegte die Kamera dabei. Sowas hatten wir schon in "Momo" gesehen, aber mit in der Luft hängenden Kämpfern war's neu.

Der erkenntnistheoretische Überbau des Films war allerdings deutlich nur was für Gymnasiasten. Da ich grade noch einer war, machte er mir nichts aus; aber ich bescheinige meinem damaligen Selbst docEinh, den ranzigen Geruch des ganzen Kaninchenbau-und-Pillen-Getues wahrgenommen zu haben. Ich erinnere mich an Gespräche mit Gleichaltrigen, in denen ich ihnen das sagte, was ich heute dem Sequel ins Gesicht schreien wollte: Nun kommt aber mal wieder runter.

Ich hatte zu diesem Zeitpunkt "Sophies Welt" dreimal gelesen und hatte die ganze Karnickelsymbolik rund um die Wirklichkeit der Wirklichkeit schon etwas dicke. Mir dämmerte, glaube ich, durchaus schon, dass es wenig enervierenderes auf dieser Welt gibt als philosophische Effekthascherei. Trotzdem war ich der Meinung, es handle sich bei Matrix um einen richtig guten Film, die Logiklöcher, damals heiss diskutiert, war ich bereit zu verzeihen. Von Actionfilmen fordern nur Frauen Logik, basta. Ich ging so weit, mir ein Matrix-Poster zu kaufen, das einzige Filmposter, das ich je besessen habe. Hauptsächlich weil ich Trinity so scharf fand, die war energisch, konnte draufhauen und trug Lack (ich machte mir keine weiteren Gedanken über eine solche Vorliebe.)

Als die Informatiker anfingen, schwarze Ledermäntel zu tragen und Sonnenbrillen, liess ich das Poster verschwinden. Der Film war viel zu tauglich für die Projektion der Transzendenzsehnsüchte von Computer-Lamern und Möchtegernhackern. Jetzt, nach Matrix, waren sie ja unverhofft cool, diese Typen. Vor einigen Wochen habe ich mir den Film noch einmal auf RTL angeschaut, und mein Urteil blieb stabil: Der sah gut aus, Trinity sah auch gut aus, ich mochte die verrotteten Noir-Kulissen, und im Übrigen war's halt eher was für Kids.

Heute habe ich das Sequel gesehen, mit dem festen Vorsatz, es gut zu finden, weil allenthalben gemäkelt wurde. Ich sass dabei neben einer Frau, mit der ich nichts weiter zu tun hatte als dass sie hübsch war und sich deswegen gelegentlich von mir verstohlen anblicken lassen musste. Das Mädchen, offenbar von ihrem rücksichtslosen Freund ins Colosseum geschleppt, war prima. Sie stöhnte in regelmässigen Abständen auf vor Peinlich-Berührtsein. Und das nicht während der Karnickel-aus-dem-Hut-Dialoge, da tat sie das einzig Vernünftige: Lehnte sich gelangweilt zurück, liess den ganzen Schwallahalla über sich ergehen und sah übrigens bezaubernd aus dabei. Nein, peinlich berührt war sie in den Szenen, in denen der Film sich nicht hinter fescher Klopperei oder pseudoreligiösem Gesülze verstecken konnte, sondern, wenigstens ab und an mal, einfach ein Film sein musste.

Da hielt Morpheus eine Rede, die aussah wie Nürnberg und vielleicht klingen sollte wie Churchill, aber man wünschte dem Typen dabei, die ganzen Zionisten in der Tropfsteinhöhle würden, anstatt frenetisch loszukrakeelen, den leeren Mumbo-Jumbo mit betretenem Zurseiteschauen und Füssescharren beantworten. Mit solchem jedenfalls beantwortete meine Nachbarin die folgende, ja, was war das, eine Liebesszene? - Und all die prophetische Träumerei und Schlüsselmetaphorik. Hat jemand begriffen, was die sollte? Wachowski-Jungs, nun kommt mal wieder runter.

Auch wenn's ein weitverbreiteter Irrtum ist: Popkultur ist noch nicht, wenn man einfach alles, was einem grade unterkommt, zusammenschmeisst. Ein bisschen Mühe sollte man sich schon noch geben, das ganze viele Referenzenzeug auch irgendwohin zeigen zu lassen. Sonst wird man ja ausgelacht und muss sich damit rausreden, das dass ja grade das ganz toll postmoderne sei, worauf einer aber einfach "Achwas, Blödsinn" sagen kann; grade wie Indiana Jones, der den Schwertfuchtelfettsack erschiesst.
Ich habe Menschen den Rhythmus des Films loben hören. Das macht sich zwar immer gut, wenn sonst nicht viel zu loben ist, weil es nach hochgebildeter Filmkritik klingt und eigentlich keiner so recht weiss.

Leute, mal im Ernst: Der Rhythmus von dem Ding ist so durchschaubar wie Technogeklopfe aus der Nachbarwohnung. Wer das ständige Drescherei-Dummschwall-Drescherei-Dummschwall-Vierviertel dieses Films für großartigen Rhythmus hält, erinnert an die Kids, die darauf bestehen, dass die Venga Boys ja wohl tausendmal mehr Rhythmus hätten als irgend so ein Klassikzeugs. Andere haben die Geschwindigkeit des Films gelobt. Falls damit gemeint ist, dass er manchmal ganz schön schnell sei - einverstanden. Neos Supermann-Zooms durch die Stadt hab' ich auch gemocht. Falls damit gemeint ist, dass die Geschwindigkeiten stimmen oder irgendwie durchdacht sind: Wie bitte? Warum zum Kuckuck schaue ich mir lang und breit an, wie Morpheus zum zehnten mal beinahe doch vom Lastwagen fällt (diesmal, aufgepasst! Zur Abwechslung mal nach rechts), während die Sprengung eines Kraftwerks, der Verlust eines Schiffes und schliesslich der ganze Kampf um Zion nicht mehr als jeweils zwei Schnitte wert sind? Ich ziehe es vor, Beschleunigungen, die offenbar darauf zurückgehen, dass am Ende von all dem Gekloppe noch soviel Story übrig war, als schlechtes Handwerk zu bezeichnen. Insbesondere in einem zweiten Teil einer Trilogie. Und vor allem dann, wenn die Story in den letzten zehn Minuten noch schnell um einen komplett unverständlichen Haufen pseudomathematischen Mumpitz aufgeblasen wird.

Die Exegeten werden's schon wieder zurechtzudeuten wissen, aber ich hab ja nicht den Exegeten mit ihren schwarzen Brillen zugeschaut, sondern immerhin einem Film. In Ordnung, Trinity ist wieder prima, äh, Monica Belluci ist ja nie zu verachten, und die Schlägerei mit der Stahlstange macht auch was her. Dazwischen hört man leider einer Menge geistiger Pubertät zu, fragt sich, ob's halb so viele kuriose neue Charaktere nicht auch getan hätten, wenn sie hinterher wieder nichts als prügeln dürfen, ist peinlich berührt von den ganzen aufgeblasenen toten Religionsreferenzen und dem öden Vorausgeahne des Auserwählten; und man stellt sich die prosaische, für einfache Gemüter (wie Kinozuschauer) von der FAZ treffend formulierte Frage, wann genau in diesem Durcheinander eigentlich mal jemand richtig sicher tot ist.

rv (mit freundlicher Erlaubnis des Autors)
Auf die Bilder klicken! Quelle (ausser den "Twins"): [url]whatisthematrix.warnerbros.com[/url]

24.06.2003
rv (www.struppig.de)/© BurkS

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