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 Gastkolumne Rosa Luxemburg zum 140. Geburtstag der SPD Nächstes Thema anzeigen
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burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
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Wohnort: Berlin-Neukoelln

BeitragVerfasst am: 22.05.2003, 23:07 Antworten mit ZitatNach oben

Heute wird die SPD 140 Jahre alt. Woran denkt man da? Zum Beispiel an das SPD-Mitglied Karl Friedrich Zörgiebel, von 1926 bis 1930 Polizeipräsident in Berlin. Zörgiebel verbot die Maidemonstration 1929 und ließ auf demonstrierende Arbeiter schiessen - der "Blutmai" forderte 31 Tote. Wir verzichten daher auf seichtes Gefasel zum Geburtstag, sondern lassen jemanden zu Wort kommen, der der SPD sehr kritisch gegenübersteht und mehr action fordert.

Rosa Luxemburg: Lassalles Erbschaft

Die bisherige Geschichte der Sozialdemokratie läßt sich kurz zusammenfassen als die Ausnutzung des bürgerlichen Parlamentarismus zur Aufklärung und Zusammenfassung des Proletariats in seiner Klassenpartei. Auf dieser Bahn, von der sie sich weder durch brutale Ausnahmegesetze noch durch demagogische List weglocken ließ, ist unsere Partei Jahrzehnt für Jahrzehnt vorwärtsgeschritten, bis sie die weitaus stärkste politische Partei des Deutschen Reiches, die stärkste Arbeiterpartei der Welt geworden ist.

In diesem Sinne sind die letzten fünfzig Jahre bis zum heutigen Tage aber auch nur eine Ausführung des Aktionsprogramms Lassalles gewesen, das auf zwei nächste Ziele konzentriert war: die Schaffung einer von der liberalen Bourgeoisie unabhängigen Klassenorganisation der Arbeiter und die Erringung des allgemeinen Wahlrechts, um es in den Dienst der Arbeitersache zu stellen. Der Aufbau der Organisation und die systematische Ausnützung des allgemeinen Wahlrechts - dies war in der Tat im großen und ganzen der Lebensinhalt der Sozialdemokratie während des verflossenen halben Jahrhunderts. Dieses Programm ist aber auch so ziemlich bis zu jener äußersten Grenze verwirklicht worden, wo nach dem Gesetz der geschichtlichen Dialektik die Quantität in die Qualität umschlagen, wo das bloße unaufhaltsame Wachstum der Sozialdemokratie auf dem Boden und im Rahmen des bürgerlichen Parlamentarismus allgemach von selbst über diesen hinausführen muß.

Die kapitalistische Entwicklung Deutschlands wie der gesamten Weltwirtschaft hat heute einen Grad erreicht, demgegenüber die Verhältnisse, in denen Lassalle sein unsterbliches Werk vollbrachte, wie unbeholfene Kindheit erscheinen. Während damals in Europa erst der Rahmen der bürgerlichen Nationalstaaten für die ungehemmte Herrschaft des Kapitals zurechtgezimmert wurde, werden heute die letzten Fetzen nichtkapitalistisch beherrschter Erdstriche von dem imperialistischen Ungestüm zerrissen, das Kapital ist im Zuge, seine Weltherrschaft durch eine Kette blutiger Expansionskriege zu krönen. Der bürgerliche Parlamentarismus war auf dem europäischen Festland schon von der Geburt an aus Furcht vor dem roten Gespenst des revolutionären Proletariats mit Ohnmacht geschlagen. Nunmehr wird er von den eisernen Hufen des zügellos dahinsprengenden Imperialismus zermalmt; er wird zur leeren Schale, wird zum ohnmächtigen Anhängsel des Militarismus degradiert.

Die Sozialdemokratie hat in fünfzig Jahren vorbildlicher Arbeit aus dem nunmehr steinigen Boden so ziemlich herausgeholt, was an greifbarem materiellem Gewinn für die Arbeiterklasse wie an Klassenaufklärung für sie herauszuholen war, Der jüngste, größte Wahlsieg unserer Partei1 hat jetzt für aller Augen klargemacht, daß eine sozialdemokratische Fraktion von 110 Mann in der Ära der imperialistischen Delirien und der parlamentarischen Impotenz sozialreformerisch wie agitatorisch nicht mehr, sondern weniger herauszuholen imstande ist als früher eine Fraktion von einem Viertel dieser Stärke. Und der heutige Knotenpunkt der innerpolitischen Entwicklung Deutschlands, das preußische Wahlrecht, hat durch seine hoffnungslose Versumpfung alle Aussichten auf eine durch bloßen Druck der Wahlaktionen erzwungene parlamentarische Reform vernichtet. In Preußen wie im Reiche stößt die Sozialdemokratie in ihrer ganzen Macht ohnmächtig an die Schranke, die Lassalle schon im Jahre 1851 in den Worten formulierte: "Nie hat, nie wird eine (gesetzgebende) Versammlung den bestehenden Zustand umstürzen. Alles, was eine solche Versammlung je getan und gekonnt hat, ist, den draußen bestehenden Zustand proklamieren, den draußen schon vollzogenen Umsturz der Gesellschaft sanktionieren und ihn in seine einzelnen Konsequenzen, Gesetze usw. auszuarbeiten. Aber ewig wird eine solche Versammlung impotent sein, die Gesellschaft selber umzustürzen, die sie vertritt."1 Wir sind aber an einer Entwicklungsstufe angelangt, wo die dringendsten und unabweisbarsten Abwehrforderungen des Proletariats - das allgemeine Wahlrecht in Preußen, die allgemeine Volkswehr im Reich - einen tatsächlichen Umsturz der bestehenden preußisch-deutschen Klassenverhältnisse bedeuten. Will die Arbeiterklasse heute im Parlament ihre Lebensinteressen durchsetzen, dann muß sie erst "draußen" den tatsächlichen Umsturz vollziehen. Will sie dem Parlamentarismus wieder politische Fruchtbarkeit verleihen, dann muß sie durch außerparlamentarische Aktionen die Masse selbst auf die politische Bühne führen.

Das fünfzigjährige Jubiläum des Bestehens der deutschen Sozialdemokratie ist eine stolze, siegreiche Vollendung in der Ausführung des politischen Testamentes Lassalles. Es ist aber zugleich eine Mahnung an das sozialistische Proletariat, sich dessen voll bewußt zu werden, daß nichts dem Geiste Lassalles mehr widerspräche, als in verrosteter Routine und in gewohntem Trott an einem taktischen Programm zäh festzuhalten, das bereits vom Laufe der Geschichte überholt worden ist. Lassalles großes schöpferisches Werk bestand darin, daß er zur rechten geschichtlichen Stunde die richtige Aufgabe des Proletariats erkannt und sie mit kühner Tat zu erfüllen gewagt hat. Was ist heute die rechte Fortsetzung des Lassalleschen Werkes? Nicht, daß das deutsche Proletariat an Lassalles politischem Programm festhält, vielmehr, daß es die neuen großen Aufgaben der heutigen Situation erkennt und an sie zur rechten Stunde mit kühner Tat herantritt. Dann kann es auch von sich im Geiste Lassalles sagen: Ich hab's gewagt!3

1) Die Reichstagswahlen wurden am 12. Januar 1912 durchgeführt. Die Sozialdemokratie konnte dabei 4,2 Millionen Stimmen gegenüber 3,2 Millionen im Jahre 1907 erringen und die Zahl ihrer Mandate von 43 auf 110 erhöhen. sie wurde damit die stärkste Fraktion des Reichstags.
2) Aus dem literarischen Nachlaß von Karl Marx, Friedrich Engels und Ferdinand Lassalle. Hrsg. von Franz Mehring. IV: Briefe von Ferdinand Lassalle an Karl Marx und Friedrich Engels, Stuttgart 1902, S.38.
3) Rosa Luxemburg: Lassalles Erbschaft (1913), erschienen in "Die Gleichheit", Stuttgart, 23. Jg. 1913, Nr.18, S.275-277.

Zu Rosa Luxemburgs Werk:
www.marxists.org/archive/luxembur/
www.dhm.de/lemo/html/biografien/LuxemburgRosa/
www.berliner-geschichtswerkstatt.de/verein/rosa-luxemburg.htm
www.humanist.de/kultur/literatur/politik/gietinger.html

Zur SPD: www.vorwaerts.de

22.05.2003
© BurkS

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