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 Mythos Kreuzberg [Teil III]: Ruhe - die erste Bürgerpflicht Nächstes Thema anzeigen
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burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
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Wohnort: Berlin-Neukoelln

BeitragVerfasst am: 12.05.2003, 23:18 Antworten mit ZitatNach oben

Ruhe - die erste Bürgerpflicht

Reden wir nicht über Berlin, reden wir über München. Kreuzberg hat nur eine Konkurrentin, wenn es denn eine Mythologie der Krawall-Stadtviertel in Deutschland gibt: Schwabing. Vor vierzig Jahren tobten dort fünf Tage lang Strassenschlachten. Der Anlass war nichtig: ein paar Musiker hatten noch nach 22 Uhr am Wedekindbrunnen am Feilitzschplatz Gitarre gespielt. Und die Polizei, die von den Medien gern affirmativ "die Sicherheitskräfte" genannt wird, wenn es um andere Länger geht, prügelte auf die Münchener ein, auf unbeteiligte Bürger wie auch auf Randalierer.1

Nichts neues also. Neu ist nur, wie die Begriffe verpackt werden: "Chaoten" sagen die, die jedweden Protest als unpolitisch oder gar kriminell diskreditieren wollen, "Störer" ist der dazu passende realsozialistische Begriff, die pseudomedizinische Diagnose gleich dazu: "negativ-dekadente Persönlichkeit". Ein Titel, den sich die Kreuzberger Punks Ende der achtziger Jahre wie den Großen Vaterländischen Verdienstorden auf die Brust geheftet hätten. Neu ist auch die Uniformierung der "Parteien": Die Polizei in Berlin hat seit der legendären Schlacht am Tegeler Weg2 1968 (Charlottenburg!) genauso aufgerüstet wie die Demonstranten. Der rabiate Schutzmann verwandelte sich zum trainierten Nah- und Strassenkämpfer mit Turnschuhen. Sein Pendant mutierte vom randalierenden Jugendlichen aus gutem Hause zum Hasskappen-Träger und zum Schwarzem Block.

Das militärische Gleichgewicht ändert sich eben nicht, solange die Polizei die Bürger nicht erschiessen will. Kreuzberg ist seit der Hausbesetzerbewegung Anfang der achtziger Jahre eine Art Reagenzglas für ritualisierten Austausch nonverbaler Botschaften zwischen denen da unten und denen da oben. Die da unten sind schon die dritte oder vierte Generation, die nur durch spärliche oral history im Kiez wissen, um was es vor 20 Jahren ging - wenn es denn um etwas ging.

Die Straße ist die Projektionsfläche für die Botschaft. Das Recht, öffentlich einen Platz zu behaupten, musste, seitdem es städtische Plätze gibt, gegen die sekundären deutschen Geschlechtsmerksmale Ordnung, Disziplin, Sauberkeit, vertreten durch den ungehinderten Verkehrsfluss und die Polizei, erkämpft werden. Chaos gilt gerade und insbesondere in Deutschland als Kontrapunkt zum Mainstream des Spitzwegschen Spießers und seinem Lebensmotto: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Punks rebellieren nicht wirklich. Die anti-bürgerliche Attitude, die in Kreuzberg zeitweilig den ikonografischen Mainstream dominierte und deswegen gerade die Angstlust der Kleinstädter provozierte, ist keine politische Rebellion, sondern steht stets und zu Recht unter dem Verdikt Lichtenbergs: Das Gegenteil ist auch eine Nachahmung.3

Punks und Spießer - das ist insbesondere sinnfällig in Berlin-Kreuzberg - haben die Gefühle gemeinsam, die die deutsche Leitkultur exakt beschreiben: Die Liebe zum hündischen Charakter. Die Chaostage in Hannover konnten jedoch mit Kreuzberg nie konkurrieren. Berlin galt durch seine Insellage nicht nur als der virtuelle, sondern auch der reale Fluchtpunkt für viele, die dem geordneten Dasein in Westdeutschland entfliehen wollten. Kreuzberg war immer der Komparativ von Berlin. Was das Landei in Ohio oder im bible belt zu New York oder San Francisco einfiel, das dachte man in Siegen über Berlin-Kreuzberg.

Aber diese Projektion entsprach nicht der Realität. Die Deutschen sind, wie die Franzosen, sehr konservativ. Es gibt nicht Spießigeres als schwäbische Immigranten, die Spätzle und Maultaschen Kreuzberger "Autonomen" servieren. Solange die wahren Einwanderer, vor allem die Türken, ihre Stimme weder kulturell noch politisch erhoben, blieben der jährliche 1. Mai-Krawall und die "revolutionären" Demonstrationen völlig folgenlos und bestätigte als habituelle Ausnahme die Regel, dass frau und man ganz alternativ seine Ruhe und Idylle haben wollte. Die jetzt propagierte ebenfalls unpolitische Strategie Feiern gegen Gewalt, die eines protestantischen Ost-Pfarrers würdig ware, wird gnadenlos scheitern, weil sie von denen erfunden wurde, die man in den USA als White Anglosaxon Protestants bezeichnet. Und die Wasps haben mit den Hispanics oder den Afroamerikanern genausowenig etwas zu tun wie die Reste der Kreuzberger "Alternativen" mit der turkish community.

Was Kreuzberg bevorsteht, merkt nur der, der hier wohnt und mehr hört als politische Sprechblasen in den Medien: Türkische Deutsche (und Türken noch ohne deutschen Pass) haben zum Beispiel angekündigt, sie wollen eine Bürgerwehr gründen. Das ist wohl eine Sprache, die von Migrantenkindern dominierte Jugendgangs besser verstehen als den pädagogischen und typisch deutschen "keine Gewalt"-Zeigefinger. Der einzige Verletzte, der von den Ärzten behandelt wurde, die ihren sozialen Subotnik am 1. Mai im Kiez leisteten - zum Gedenken an ihre eigene revolutionäre Vergangenheit - war jemand, der Opfer dieser erst in Ansätzen vorhandenen Truppe wurde. Das zeichnete sich schon seit Mitte der 90er Jahre ab: Die Einwanderer regeln ihre Sachen selbst, und nach eigenen Regeln.

Mythos Kreuzberg Teil IV folgt am nächsten Wochenende.

Teil II www.burks.de/forum/phpBB2/viewtopic.php?t=1194
Teil I www.burks.de/forum/phpBB2/viewtopic.php?t=1176

1) www.chaostage2002.de/artikel.php4?artikel=234
2) www.partisan.net/archive/1967/266792.html
3) [url]itb.biologie.hu-berlin.de/~wiskott/Services/DeutscheAphorismen/authorQuotes/Lichtenberg__Georg_Christoph.html[/url]

13.05.2003
© BurkS

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