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 [Freimaurer 4] Vor dem Tempeltor Nächstes Thema anzeigen
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burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
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Wohnort: Berlin-Neukoelln

BeitragVerfasst am: 27.07.2003, 23:45 Antworten mit ZitatNach oben

[Die Söhne der Witwe 4] Vor dem Tempeltor

ein Mann muss eure Herzen leiten,
denn ohne ihn pflegt jedes Weib
ais ihrem Wirkungskreis zu schreiten.
(Sarastro im 1. Akt der Zauberflöte von Mozart)

Jetzt wird es ernst. Der Zeremonienmeister betritt die Kammer. Er zündet weitere Kerzen an. Offenbar hat meine Eigenanalyse der Motive, Freimaurer zu werden, den Meister und die Brüder zufriedengestellt. Ich solle nun alles befolgen, was er anordne. Nichts werde geschehen, was gegen meine männliche Ehre oder die Menschenwürde verstoßen könnte. Meine Stimme klingt ein wenig zittrig. Ich erkläre, ich sei zu allem bereit.

Zuerst muss mein kurz zuvor noch hastig gebügeltes Hemd dran glauben. Ich soll es ausziehen und so über der Brust verknoten, dass der linke Schulter und der linke Arm frei bleiben. Das erscheint auch mir sinnvoll, denn jetzt können die Logenbrüder zweifelsfrei erkennen, dass ich keine Frau bin, was für einen Männerbund unpassend wäre.

Mein Geld soll ich auf dem Tisch deponieren. Der Schlüssel auch und alles, was aus Metall ist. Darum geht es also. Metalle brechen, wie man weiß, den Zauber magischer Rituale. Wer es versteht, mit Erzen oder Metall schöpferisch umzugehen, ist auch dazu fähig zu herrschen. In vielen Legenden gründet sich die Macht des Königs darauf, dass er in der Lage ist - natürlich unter der kundigen Anleitung männlicher Priester-, einen Gegenstand aus Metall der Mutter Natur zu entreissen. Der sagenhafte König Artus zieht ein Schwert aus einem Felsblock; die Helden der deutschen Märchen reissen mehrfach ihre Waffen aus Bäumen, in denen die Gerätschaften ohne Sinn und Zweck stecken.

Auch der biblische Tubalkain, dessen Name in einigen Freimaurerlogen als geheimes Passwort gilt, war ein Meister in allerlei Erz- und Eisenwerk (Genesis 4, V.22). Schöpferische Manneskraft beweist der, der die Kräfte der Natur beherrscht und mit ihnen umzugehen weiß. Es stehen sich die chaotischen naturgewalten, die Magie, die Frau - alles Dinge, die geformt und untergeordnet werden müssen - und Kultur, Vernunft, der Mann, Ordnung und die sie garantierende Obrigkeit gegenüber.

Jetzt ist meine Hose an der Reihe. Ich darf mein rechtes Hosenbein aufkrempeln, und der Zeremonienmeister bindet ein Tuch um meine Knie. Der rechte Schuh muss in der Kammer der verlorenen Schritte zurückbleiben. Statt dessen wird mir ein niedergetretener Pantoffel gereicht. In der Bibel dient der Schuh als Zeichen der Bekräftigung. Es war aber von alters her ein Brauch in Israel: Wenn einer eine Sache bekräftigen wollte, die eine Lösung oder einen Tausch betraf, so zog er seinen Schuh aus und gab ihn dem andern; das diente zur Bezeugung in Israel. (Buch Ruth 4, V.7)

Ich gehe die ersten Schritte mit der ungleichen Fussbekleidung und stelle fest, dass ich gezwungen bin, leicht zu hinken. Ich werde jemanden brauchen, der mich stützt und mich auf der Reise in den Tempel begleitet. Der Zeremonienmeister lächelt.

Bei vielen alten Völkern ist es Brauch, im Kampf den einen Fuss unbeschuht zu lassen. Der Kontakt mit der Mutter Erde verleiht zusätzliche Kraft wie schon dem Antäus, einem Riesen der griechischen Sagenwelt, der dem Muskelmann Herkules nur solange widerstehen konnte, wie er mit einem Fuss den Boden berührte. Hinkte nicht auch Hephaistos, der Schmied antiker Mythen, Sohn der Hera und des Göttervaters Zeus? Hephaistos schlug sich, das berichtet die Legende, bei einem Streit im Olymp auf die Seite der Frauen. Zur Strafe für diese frevelhafte feministische Solidaritätsbekundung warf ihn Zeus hinaus. Sollte es allen Männern so ergehen, die sich dem Bund mit dem übermächtigen Geistvater verweigern? Hinkte nicht auch Wieland der Schmied, dessen geschickten Händen der drachentötende Siegfried sein Schwert verdankte? Wieland trieb, eingeschlossen in einen hohlen Baumstamm, auf dem Meer. Wieder festen Boden unter den Füssen, liess er sich mit einer Frau ein, dummerweise mit einer Königstochter. Deren Vater wies seine Männer an, dem Schmied zur Strafe die Sehne des Fusses durchzuschneiden. Und führen nicht die Bergleute Boliviens zu Ehren ihres Beschützers, des tio einen Tanz auf, der aus hinkenden Schritten besteht? Der tio sitzt im Inneren des silberhaltigen Gesteins und hütet die Schätze. Nach alter Überlieferung war dieser Kobold ursprünglich eine weibliche Göttin. Sollten die Helden der männlichen Mythen immer dann auf wackligen Füssen stehen, wenn sie sich in ehemaligen Domänen der Frauen wie der Mutter Natur eingenistet haben oder gar mit ihnen verkehren? Und Luzifer, der Ex-Engel des Lichts, hat einen Pferdefuss und hinkt. Vielleicht ist Luzifer gar noch mit Widar, dem Sohn des Germanengottes Odin, verwandt, denn auch Widar hat nur einen Schuh, der andere Fuss ist eisenbeschlagen.

Ich befinde mich symbolisch in einer erlauchten Gesellschaft. Das Hinken sei eine "archetypische Gegebenheit", erkläutert der mythenkundige Freimaurer Wolfgang Scherpe. Es verleihe einen Impuls, die schöpferische Tat gleich den körperlichen Mangel aus. Es stehe aber auch für "das Phallische". Noch im Mittelalter glaubte man, Menschen mit Gebrechen oder auffälligen Merkmalen wie Bucklige, Einäugige oder Blinde besäßen magische Kräfte und könnten daher mit der Welt der Götter und Geister kommunizieren. Was diesen Individuen, "Krüppeln und Ekstatikern, Nervösen und Vagabunden" magische Fähigkeiten verlieh, war "nicht so sehr ihr individueller physischer Charakter, als vielmehr die von der Gesellschaft ihrer ganzen Art gegenüber eingenommenen Haltung." Das gilt auch für die Frauen. "Die kritischen Perioden ihres Lebens rufen Staunen und Ahnungen hervor, die ihnen eine Sonderstellung geben. Die magischen Fähigkeiten erreichen ihre größte Intensität im Moment ihrer Heiratsfähigkeit, während der Regel, zur Zeit der Schwangerschaft und des Kindbetts und nach der Menopause. Vor allem aber ist man der Überzeugung, dass sie für die Magie sei es Mittel ihrer Realisierung oder eigentlicher Träger ihres Vollzugs sind."(1)

Eine naheliegende Form, die Kommunikation zwischen Männern und Frauen darzustellen, ist Sexualität. Der vermittelnden Figuren wie der hinkende Beelzebub wenden sich daher zuerst an die Frauen, wenn sie sich den Menschen nähern, und schlafen bei und mit ihnen. Ein häufiger Vorwurf der Inquisition an die Hexen, denen übernatürliche Fähigkeiten zugeschrieben wurden, war der Geschlechtsverkehr mit dem Teufel.

Marcel Mauss geht noch einen Schritt weiter und verallgemeinert: "Stehen zwei Zivilisationen in Kontakt miteinandern, so wird die Magie gewöhnlich der schwächeren zugewiesen."

Der Hinkende überbrückt daher nicht nur die Kluft zwischen dem Reich der Heister und dem der Menschen, zwischen den Eigenschaften, die Männer sich und die sie Frauen zuschreiben, sondern ein soziales Gefälle. In einer männerbeherrschten Gesellschaft phantasieren die Machthaber ihre eigene Angst vor der Rache der Frauen als angebliche Gefahr und Bedrohung, die entstehe, wenn man mit den Unterdrückten in Verbindung trete. Deshalb braucht der Kandidat für die Wiedergeburt als richtiger Mann auf dem Weg von der symbolischen gebärmutter, der Kammer der verlorenen Schritte, bis zum geistigen Kreißsaal, dem Männer-Tempel, einen Führer, der ihn in seinem anomalen Zustand beschützt, bis seine Männlichkeit kompett ist.

Das ist in der christlichen Lehrer ähnlich. Gott verkehrt, um den rettenden Helden zu zeugen, mit einer Frau, aber nicht gefährlich real, sondern nur geistig - die Frau bleibt daher unversehrt. Im östlichen Christentum wird der gekeuzige Sohn oft mit einem kürzeren Bein dargestellt.

Alle diese Assoziationen schiessen mir durch den Kopf, während der Zeremonienmeister meinen Arm fest und sicher gefasst hat und mich aus der dunklen Kammer zum Tempeltor führt. Ich sehe nichts, weil er mir wieder die Augenbinde angelegt hat. Der Zeremonienmeister verlangsamt seine Schritte, bleibt stehen. Irgendetwas scheint uns den Weg zu versperren. Das Tor! Er flüstert mir ins Ohr: "Klopfen Sie an! Er drückt meine Hand in dem Rhythmus, den ich imitieren muss. Ich ertaste Holz und schlage mir der Faust dagegen, mehrmals, kurz und lang. Minuten verrinnen, dann knarrt der Flügel. Ein Lufthauch streift mein Gesicht und eine Stimme fragt, was ich wolle. Das wird der Wachhabende sein. Mein Begleiter antwortet, ich sei ein Suchender. Ich muss den Namen meines Bürgen nennen, und die Tür schliesst sich.

Gemurmel dringt aus dem Innern. Ich höre den Portier zurückkehren. Ich spüre, wie sich meine Muskeln anspannen. Der Zeremonienmeister schiebt mich vorwärts. Nach einigen Metern unsicheren Tastens lässt er meinen Arm los, legt beide Händer auf meine Schultern: "Freundeshand wird Sie begleiten!" raunt er mir ins Ohr, "Fürchten Sie nichts, es wird Ihnen nichts geschehen. Ich übergebe Sie nun dem zweiten Aufseher der Loge!"

Ein Unbekannter hakt mich unter, umklammert mein handgelenk und zieht mich an seine Seite. Die Orientierung habe ich schon längst verloren. Gehen wird zurück? Ist der Raum gross oder klein? Dunkel oder hell erleuchtet? Kein Laut dringt zu mir, ausser meinem hinkenden Schlurfen und dem sicheren Auftreten meines Geleitschutzes. Dennoch: Ich spüre die Anwesenheit anderer Menschen.

Vor mir raschelt es. Ich zucke zusammen wie von einem Peitschenhieb getroffen - ein harsches: "Halt! Zurück!"

1) Marcel Mauss: Soziologie und Anthropologie, S. 61

Der Text wurde 1987 verfasst und geringfügig geändert. Er erschien zuerst 1988 in meinem Buch Unter Männern.
Fortsetzung folgt.

Das Bild in der Mitte zeigt Herakles und Antäus, das Bild unten die Rückkehr des Hephaistos in den Olymp.

[Freimaurer 1] In der Kammer der verlorenen Schritte 1
[Freimaurer 2] In der Kammer der verlorenen Schritte 2
[Freimaurer 3] In der Kammer der verlorenen Schritte 3

Das gesamte Dossier (neun Kapitel, 24 Seiten, mit Abbildungen, pdf-Format) können Sie bei Cashticket kaufen - auf das Logo klicken!



28.07.2003
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