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 [Spuren der Macht] Der Name der Tulpe 4: Vesperale Nächstes Thema anzeigen
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burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
Beiträge: 6757
Wohnort: Berlin-Neukoelln

BeitragVerfasst am: 05.07.2003, 23:06 Antworten mit ZitatNach oben

Diese - hier stark gekürzte - Geschichte erschien 1990 in meinem Buch Spuren der Macht im Rowohlt-Verlag. Ich hatte mich eine Woche in einem Kloster einquartiert. Dort erfuhr ich von einem mysteriösen Todesfall und recherchierte in der Klosterbibliothek...
In Vigil und Laudes geht es um das Leben der Benediktiner. In Sext stürzt sich ein Novize aus dem Fenster, und sein Novizenmeister verschwindet spurlos im Reintal bei Garmisch. In Non erhalten wir einen kleinen Aufschub, das Rätsel des Verschwindes betreffend...


Gedenkt meiner in Fürbitte!

Um neun Uhr abend alarmierte man die Bergwacht. Die suchte alle Forststraßen und am nächsten Tag, nachdem nichts gefunden wurde, auch alle Wanderwege im Reintal, im Kreuzeckgebiet oder sogar in Richtung Mittenwald ab. Ein Hubschrauber setzte sich in Bewegung, und siebenundzwanzig Männer, begleitet von sieben Hunden, durchforsteten das gesamte Gelände. Am nächsten Tag half ein weiterer Hubschrauber der Bundeswehr aus - alles ohne Erfolg.

Ein Begleiter des Paters erzählt, er sei das ganze Tal persönlich abgegangen, habe zusammen mit einem ortsansässigen Förster die Partnach "von Hinterklamm bis Mitterklamm" abgesucht. Noch eine Woche lang suchten Gebirgsjäger. Niemand fand eine Lebenszeichen von Pater Johannes, der sich ja schließlich nicht einfach in Luft aufgelöst haben konnte.

Der Novizenmeister - man spielte alle Möglichkeiten in Gedanken durch - konnte am Fluss entlang in dreieinhalb Stunden die Reintalangerhütte erreichen. Weiter ging es nicht, da der Weg dann steil zur Zugspitze ansteigt und unter etwa dreissig Zentimeter Schnee verborgen lag. Auf der ganzen Strecke steigt der Weg nur etwa 300 Höhenmeter an. Er ist überall so gründlich ausgebaut, dass man ihn bequem mit einem Jeep befahren kann.

Die Bergwacht und die hinzugezogene Polizei vermuteten, dass der Pater vielleicht auf dem Rückweg von der Hütte nach Garmisch seine geplante Route verlassen hätte und den Bernadeiweg zum Kreuzeck hinaufgestiegen wäre, wohl mit dem Gedanken, es gäbe noch zeitlich genügend Spielraum. Auch hätte er nicht denselben Weg noch einmal zurückgehen müssen. Der Bernadeiweg, so beschreibt der Informant die Situation, sehe am Anfang sehr verlockend aus, steige aber dann sehr steil an und habe sehr viele Absturzmöglichkeiten. "Es handelt sich um ein äusserst unübersichtliches Gelände, das unmöglich flächendeckend abgesucht werden kann." WennPpater Johannes nur einige Meter vom Weg entfernt gelegen habe, zwischen Bäumen, womöglich in sein dunkelgrünes Regencape eingerollt, "dann ist er praktisch unauffindbar." Im übrigen habe es in den Tagen danach erhebliche Mengen an Neuschnee gegeben. Die Bergwacht gab einen offiziellen Bericht über das Ereignis heraus, in dem unter anderem aufgeführt wird, dass "im Verlauf des Sommers" offiziell und privat erneut Versuche gemacht worden wären, irgendwelche Spuren in dem vermuteten Gebiet zu finden. "Nichts führte auch nur zu einem Ansatz irgendwelcher Ergebnisse."

Himmelfahrt nahmen alle Pater und Mönche der Abtei an einer Messe für den Verschollenen teil, "an dessen tragischem Tod kaum noch zu zweifeln war", wie der Chronist berichtet. Im Herbst fuhren der Abt und ein Pater nach Garmisch. Es ging ihnen, so sagten sie vor ihrer Abreise, nicht um eine "Suchen", sondern um ein "Be-Suchen" im Ettal. Sie nahmen aus dem Gelände einen Findling mit, "der nun zur Erinnerung an den Mitbruder auf unserem Klosterfriedhof liegt."

Der Autor des Berichtes fügt einige Sätze an, die Leserin und Leser nachdenklich stimmen werden. Pater Johannes sei zuletzt ein beliebter und erfolgreicher Jugendgruppenleiter gewesen. Seit Anfang der siebziger Jahre lebte er in der Abtei, nachdem er Theologie und Kirchenrecht studiert habe. "Er war geprägt von einer großen Gewissenhaftigkeit. Er entwickelte sich aber bald zu einer von der benediktischen Spiritualität geprägten Weihe." Gern habe er sich auch als "Kanonist" ansprechen lassen - kanonisieren heisst soviel wie "heilig sprechen". "Von Hause aus" brachte er, so die Einsschätzung seiner Mitbrüder, ein ernstes Wesen mit, obwohl er auch herzliche Freude zeigen konnte. Er habe "in hohem Maße die Achtung und das Vertrauen seiner Novizen besessen, die ihn als einen "glaubwürdigen Mitmenschen in Erinnerung hätten. "Zuweilen meinte er wohl", schließt der Chronist, "zu den jungen Menschen, die ihm anvertraut waren, auch durch persönliche Zuwendung und Bindung Brücken schlagen zu wollen. In den letzten Jahren zeigte sich Pater Johannes in seinem Urteil und in seinen Entscheidungen recht selbständig..." Und, was ebenfalls auch für den Autor der Annalen des Klosters bemerkenswert ist: "An seinem letzten Allerseelentag empfahl er seinen Junioren ausdrücklich für den Fall seiner Ablebens das Gebet."

Diese wolkigen Formulierungen sind die einzigen Indizien, die uns die Chronik für eine mögliche Erklärung der beiden mysteriösen Todesfälle anbietet. Ist es merkwürdig, dass ein Lehrer - nur ein säkuläres Wort für Novizenmeister - durch "persönliche Zuwendung" unangenehm auffällt? Dazu muss man wissen, dass die katholische Kirche von ihren Klerikern verlangt, sich persönlicher Beziehungen, den sogenannten Partikularfreundschaften, zu enthalten. Ein Mönch darf keine privaten Gefühle zu seinen Mitmenschen hegen. Alle Emotionen haben sich der Gottesliebe unterzuordnen.

Wir können uns daher vorstellen, in welche Gewissenskonflikte ein junger Novize und sein Meister kommen können, wenn sich aus dem Lehrer-Schüler-Verhältnis Ansätze einer Freundschaft entwickeln. wie könnte man das, ohne den eigenen Gefühlen Gewalt anzutun, verhindern? Ein junger Mann, der sich einem Kleriker anvertraut, wird zwangsläufig an dessen widersprüchlichem Verhalten verzweifeln. Der Novizenmeister muss einerseits mit seinen Gefühlen reagieren, um Vertrauen zu wecken, andererseits darf er das nicht. Ein Mönch wie Bruder Bartholomäus, dessen Minderwertigkeitsgefühle bekannt waren, wird eher in seiner eigenen Person die Gründe dafür gesucht haben, dass eine Freundschaft unmöglich und unerwünscht war. Der Konflikt zwischen den eigenen Gefühlen und dem Gebot der Religion ist unlösbar.

Der zweite Teil der Vorwürfe, die der Chronist der traurigen Ereignisse verdeckt ausspricht, wiegt schwerer: Jemand, der sich "recht selbständig" zeigt, wird sich Ermahnungen, Anweisungen oder Ratschläge anhören müssen, die er aber nicht "recht" befolgt zu haben scheint. Eine eigene Meinung zu haben und diese auch gegen Anfeindungen durchzusetzen, gilt im allgemeinen als Zeichen von Charakter, als Zivilcourage. Diese Haltung, das können wir dem vorwurfsvollen Unterton der Klostergeschichte entnehmen, entspricht aber nicht dem, was von einem Mönch und Pater erwartet wird, nämlich absoluter Gehorsam den kirchlichen Vorgesetzten und deren Meinung gegenüber.

Der Kirchenkritiker Drewermann behauptet, dass "in den reinen Männergruppen und Frauengruppen der Ordensgemeinschaften im Grunde die Psychologie von Heranwachsenden am Ende der Pubertät verewigt wird." Das von der Kirche propagierte Klerikerdasein scheine ein "großangelegter Versuch" zu sein, "uralte Pubertätsängste zu stablisieren und damit den latent homosexuellen Fakter der Triebentwicklung auf Dauer zu stellen." Wir können vermuten: Je instabiler eine Persönlichkeit ist, desto mehr kommt sie in Versuchung, sich auf ein System der Machtausübung einzulassen, in dem starre Regeln herrschen, in dem man nicht selbst Entscheidungen treffen muss, in dem ein geschlossenes Weltbild herrscht, das alles erklärt und keine Widersprüche offenlässt - zum Beispiel eine Religion.

Homosexualität, die Drewermann hier ins Spiel bringt, ist keine Form der sexuellen Unterentwicklung, auch kein Zeichen dafür, das die sexuelle Selbstfindung irgendwann im Stadium der Unreife stehengeblieben ist. Sie könnte natürlich hinter den "persönlichen Bindungen" verborgen sein, die der Chronist unserer Abtei dem so tragisch verstorbenen Novizenmeister zum Vorwurf macht. Ungewöhnlich wäre das nicht, dann ernst zu nehmende Untersuchungen gehen davon aus, dass bis zu einem Viertel der Priesteramtskandidaten derartige Beziehungen unterhält.

Eine Flucht in die andere Richtung, aus den Klauen der kirchlichen Macht, ist unmöglich. Sobald ein Kleriker das erkennt, wird ihm die Ausweglosigkeit seiner Lage bewusst werden. Gefühle zu seinen Mitbrüdern zu zeigen, seinen ihm Anvertrauten - wie im Fall eines geistlichen Lehrers - beizustehen, wenn diese ein "Problem" haben, das nur gegen die Moral der Kirche gelöst werden könnte, verlangte, sich selbst zu verleugnen. Und wenn ein junger Mönch den Selbstmord wählt, wird seine Bezugsperson sich Vorwürfe machen, ihn nicht daran gehindert zu haben - aus Unfähigkeit, aus Angst, aus Inkonsequenz dem eigenen Empfinden gegenüber. Was bleibt, die die Bitte an die Mönche, "im Falle des Ablebens" seiner fürbittend zu gedenken.

Nächste und letzte Folge: Komplet: Große Krägen, lange Beffchen.

[Der Name der Tulpe 1] Vigil und Laudes
[Der Name der Tulpe 2] Sext
[Der Name der Tulpe 3] Non
[Der Name der Tulpe 5] Komplet

Der Name der Tulpe - die 5teilige Serie im pdf-Format, 1 Euro, ca. 600 kb

06.07.2003
© BurkS

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