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burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
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BeitragVerfasst am: 20.06.2003, 23:43 Antworten mit ZitatNach oben

Unter Guahibos

[Die Bilder in Originalgrösse sind nur für registrierte Nutzer des Forums zugänglich.]

Sommeranfang und Wochenende. Bitte: ein wenig Zeit für die ethnologische Fortbildung, gewürzt mit Reise-Anekdoten. Da es nichts gibt, was unpolitisch ist, schleichen sich die gewohnten Themen in Form eines "Indianischen" Volkes in den Plot. Den Guahibos im Süden Venezuelas begegnete ich auf einer Müllhalde - in der kleinen Stadt Elorza am Rio Arauca.

Von Palmarito fuhr ich, wie üblich mit viel zu vielen Leuten in einem Jeep nach Südwesten nach Guasdualito, ein paar Kilometer nördlich von El Amparo de Apure, der Grenzstadt zu Kolumbien. Busfahrer brüllten mir ihr Fahrziel entgehen, in wenigen Minuten saß ich in einem kleinen Bus, endlich einem ganz normalen Bus, neben einer dunkelhäutigen jungen Frau, die unzählige Kisten, Kasten, Taschen und ein Klappfahrrad um sich gestapelt hatte und ein kleines Kind auf dem Arm trug. Wir unterhielten uns prächtig, während draußen die in der Hitze flimmernden Llanos vorbeiflogen. Sie bot mir einen Platz für die Hängematte in ihrem Garten an.

Sonntag, high noon, über vierzig Grad, niemand ist in dem kleinen Kaff Elorza dann auf der Straße. Die Dame fluchte leise vor sich hin, griff sich das Kind (Bild links oben, in meiner Hängematte) und sah mich prüfend an. Ich wusste als Kavalier, was zu tun war. 22 Kilo Rucksack, rechts eine schwere Tasche, links eine schwere Tasche, in der Mitte noch eine Tasche - und das Klappfahrrad unter dem Arm. Wir marschierten eine halbe Stunde durch die glühende Hitze, meine Arme und Beine wurden gefühllos, und ich war verschwitzt wie nach einer Stunde Sauna. Wir waren in den barrios, kleine einstöckige Häuser, oft nur mit Wellblech gedeckt. Davor die Familien, die Kinder schrien, die Männer hoben ihre Bierflaschen. Ich war die Sensation des Tages. Mira el toro! (schau dir den Stier an!) rief einer. Ich war geschmeichelt und biss die Zähne zusammen. Am nächsten Tag grüsste mich die ganze Stadt. Niemand konnte meinen Namen aussprechen, deshalb nannten mich alle El Gringo. Selbst die Schulkinder winkten, lachten und riefen mich so.

Die Frau, bei der ich wohnte, besaß nur einen einzigen Raum in ihrer Hütte. Das Wellblechdach staute die Hitze. In diesem Häuschen zog sie drei Kinder groß, das Baby, einen kleinen Jungen und einen pubertierenden Jüngling, den sie gerade, wie auch immer, aus dem örtlichen Gefängnis losgeeist hatte. Er war nur selten da, und wenn, dann quetschte er mich über die Abenteuer des Reisens aus und warum ich unbedingt zum Rio Meta wollte. Es gab kein Bad, nur ein Waschbecken. Die Toilette war auf dem Nachbargrundstück, umgeben von Wellblech (Bild obere Reihe, 2.v.r.). In der zweiten Nacht musste ich mich aus meiner Hängematte schälen, durch den Stacheldrahtzaun klettern und dann überlegen, ob man hunderte von Fröschen, die die einzig feuchte Stelle im Umkreis von mehreren hundert Metern besetzt hielten, durch Händeklatschen vertreiben kann.

Die kleine Junge hing am mir wie eine Klette. Es war ja auch nie etwas los in Elorza. Nach langem Zureden kriegte ich ihn dazu, mich zur Müllkippe zu führen. Dort lebten die Guahibos, wie man mir gesagt hatte. Man begegnete mir mit Misstrauen, das sich erst legte, als ich versprach, am nächsten Tag wiederzukommen und mit meinem Colemann-Benzinofen Kaffee zu kochen, was ich auch tat. Danach schickten die bitter armen Leute sogar mehrere Male jemanden an meinem Logis vorbei, um zu fragen, ob sie mir helfen könnten, in den Süden, in eines ihrer Dörfer zu kommen.

Dieses Volk war das erste, das die weißen Konquistadoren im 16. Jahrhundert zu sehen bekam. In meinem Roman Die Konquistadoren sagt der Landsknechtsführer Estéban Martín im Kapitel "Hunger": "Dieses Volk nennt sich Guahibo. Sie besitzen keine Hütten. Ich habe etwas Ähnliches schon einmal gesehen, in den Ebenen südlich von Maracaibo. Dort gibt es ein Volk, das umherzieht wie die Zigeuner. Sie haben keine feste Bleibe, nur Orte, wo sie sich ein paar Monate niederlassen, auf die Jagd gehen und fischen. Sie sagen, das Land vertrüge nicht, daß sie sich allzulange an einem Flecken niederließen. Irgendwann ziehen sie weiter."

Aus meinem Artikel (nur für registrierte Nutzer) Der gottverlassene Landstrich: Am Ortsrand leben knapp hundert Guahibos, eng zusammengedrängt unter einem Wellblechdach und umgeben von Müllbergen. Die Guahibos sind Nomaden, die Mehrzahl stammt aus Kolumbien. Sie nennen ihre Wohnstätte garpón, "großes Haus", und erhalten Sozialhilfe; einige Männer sprechen spanisch und verdingen sich für ein Almosen als Gelegenheitsarbeiter auf den umliegenden Farmen. Das gibt böses Blut: der Wahlkampf steht vor der Tür, und Lokalpolitiker haben Parolen ausgegeben, die frei übersetzt lauten: "Guahibos raus!" und: "Arbeitsplätze zuerst für Einheimische!"

Pater Christobal ist Pole und aus Ostpreußen gebürtig. Sein klimatisierter Amtssitz nimmt die ganze Breite der Plaza Bolivar von Elorza ein. Als öffentliche Person könne er zwar nicht immer laut sagen, was er denke, aber seine kirchliche Autorität geltend machen. "Vor fünfzehn Jahren haben Viehzüchter und ihre Handlanger ein Massaker an den Guahibos verübt", erzählt er, "es gab siebzehn Tote, auch Frauen und Kinder. Einige Überlebende hausen im garpón. Sie haben heute noch Angst. Die Schuldigen waren bekannt, wurden aber nicht bestraft." (vgl. auch Violencia contra los Indígenas.)

In einem kleinen Laden (Bild oben, 2.v.l.), erfuhr ich, dass der örtliche Automechaniker Roberto Parra vor einigen Jahren eine Anthropologin aus Paris zu den nomadisierenden Guahibos gefahren hat, die irgendwo in der Savanne leben (vgl. die Karte unten, bei San Felipe). Bis zum Rio Meta, der Grenze zu Kolumbien, sind es rund 200 Kilometer, aber es gibt in diesem gottverlassenen Landstrich nur zwei aufgegebene Gehöfte. Die kolumbianische Guerilla macht das Gebiet unsicher, attackiert die venezolanischen Grenzposten und erhebt bei nächtlichen Überfällen von den Viehzüchtern "Kriegssteuern".

Fünf Stunden mit dem rüttelnden Jeep durch die Savanne (Bild im Text, linke Reihe, 2.v.o.). Alexander von Humboldt schreibt in Reise in die Äquinoktialgegenden des Neuen Kontinents: "Der Boden zeigte überall, wo er von der Vegetation entbößt war, eine Temperatur von 48 bis 50 Grad. Die Ebenen ringsum schienen zum Himmel anzusteigen, und die weite unermeßliche Einöde stellte sich unseren Blicken als eine mit Tang und Meeralgen bedeckte See dar." Im Norden stehen Rauchsäulen am Himmel - die Rancher nennen das "Flurbereinigung".

Ein schlammiger Fluß: der Rio Capanaparo (Bild linke Reihe 4.v.o.). Ein alter Mann rudert den Reisenden schweigend an das andere Ufer. Wieder ein garpón. Aller Augen richten sich auf den chefe. Der erklärt in stockendem Spanisch: Das Feuer und die Viehzucht engen den Lebensraum der Guahibos immer mehr ein. Sie litten Hunger, weil sie nicht mehr jagen könnten.

Die Regierung lobt sich im Ausland für ihre gut gemeinte, das heißt paternalistische Indianerpolitik. Sie bietet den Nomaden an, gratis in Reihenhaussiedlungen wohnen zu können wie die katholischen und assimilierten Indianer am Orinoco. Dort wären sie geschützt vor Übergriffen sowohl der kolumbianischen Guerilla als auch der Viehzüchter. Doch sie wollen nicht.
"Kein Stamm ist schwerer seßhaft zu machen als die Guahibos", berichtet von Humboldt, "Lieber leben sie von faulen Fischen, Tausendfüßen und Würmern, als daß sie ein kleines Stück Land bebauen. Wir fanden daselbst sechs von noch nicht katechisierten Guahibos bewohnte Häuser. Sie unterschieden sich in nichts von den wilden Indianern. Ihre ziemlich großen schwarzen Augen verrieten mehr Lebendigkeit als die der Indianer in den übrigen Missionen...Mehrere hatten einen Bart; sie schienen stolz darauf, faßten uns am Kinn und gaben uns durch Zeichen zu verstehen, sie seien wie wir."

Vielleicht sind die Deutschen an den Bärten der Guahibos schuld. Die ersten Weißen, die die Guahibos kennenlernten, waren Deutsche - im 16. Jahrhundert. Die Konquistadoren Georg Hohermuth von Speyer und Philipp von Hutten zogen 1535 im Auftrag der Welser von Coro an der Küste nach Süden, bis in das Quellgebiet des Guaviare im heutigen Kolumbien. Mehrere hundert deutsche und spanische Landsknechte durchstreiften monatelang die Savanne, ausgemergelt vor Hunger und vergeblich auf der Suche nach einem Paß in die Anden, in das Land der Muisca, zum legendären El Dorado. Die Muisca zahlten mit Gold für die Kinder der Guahibos, erfuhren sie.

"Fiengent ain Cassicquen oder Obersten, ßo sagt, er wer auff der andern Seitten des Birgs gewest, gab uns groß Zeittung von Reichtumb. Vermochten aber mit den Pfferden nit hynuber..." berichtet der fränkische Edelmann Philipp von Hutten am 30. Oktober 1538 aus Coro an den kaiserlichen Rat Matthias Zimmermann in einem der ersten Briefe, den ein Deutscher aus Südamerika geschrieben hat.

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20.06.2003
©BurkS


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