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 Gastkolumne Kien Nghi Ha: Hybride Bastarde Nächstes Thema anzeigen
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burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
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BeitragVerfasst am: 17.06.2003, 23:11 Antworten mit ZitatNach oben

Hybride Bastarde
Identitätskonstruktionen in kolonial-rassistischen Wissenschafts-Kontexten

Seit Ende der 90er-Jahre werden Cultural und Postcolonial Studies vornehmlich in ihrer anglo-amerikanischen Ausformung im deutschsprachigen Raum auch über die "angestammten" Fachgrenzen der Literaturwissenschaft, Amerikanistik und Kulturwissenschaft hinaus verstärkt rezipiert. Nach einer rasanten Expansions- und Popularisierungsphase sind bestimmte Denkmodelle und Termini aus den Cultural und Postcolonial Studies im heutigen akademischen Diskursfeld über Migration, Globalisierung, interkulturelle Kommunikation, Ethnizität, kulturelle Identität etc. kaum mehr wegzudenken. Vor allem die Idee der "Hybridität" ist im Rahmen dieser geistes- und sozialwissenschaftlichen Neuausrichtung, des sog. "cultural turn", zu einem Schlüsselbegriff geworden.

Im deutschsprachigen Kontext wird Hybridität nicht selten ohne die grundlegenden historischen und politischen Kontexte einfach nur als "kulturelle Vermischung" vorgestellt und euphorisch als alternativer Vergesellschaftungs-modus zelebriert, der die bisherigen Forderungen nach kultureller Assimilation und Einordnung von MigrantInnen ersetzen soll. Obwohl das Modell der "Vermischung der Kulturen" sich im deutschen Kontext gegen die hegemonialen Homogenisierungsbestrebungen des völkisch definierten Nationalstaats wendet, sind die prinzipiellen Probleme des Multikulturalismus auch in dieser (post-)modernisierten Variante weiterhin ungelöst. Nicht zuletzt wird kulturelle Differenz - trotz des häufig postulierten Anti-Essentialismus und der oft verwendeten Konstruktionsmetapher - immer noch anhand nationaler und ethnisierter Grenzen festgelegt. Die Gefahr, dadurch einen national wie ethnisch aufgeladenen Kulturbegriff zu verwenden, ist offensichtlich. Im Unterschied zum völkischen Ethnopluralismus der Neuen Rechten wird dabei nicht "Rasse" über "Ethnie"/"Nation" in "Kultur" übersetzt, aber Kultur durch ihre Ethnisierung essentialisiert und für biologisierende Denkweisen geöffnet.

Verschärft wird das Problem der kulturellen Ethnisierung des Sozialen in der deutschen Rezeption besonders dann, wenn Hybridität unter Ausblendung seiner kolonial-rassistischen Kontexte verwendet wird. Wenn überhaupt, wird diese historische Blindstelle, die für den gesellschaftlichen Umgang mit der deutschen Kolonialgeschichte charakteristisch ist, am ehesten noch euphemistisch überdeckt, indem auf die vergleichsweise "geringe" Schuld Deutschlands und auf die Ermöglichung kultureller Kreolisierungsprozesse im kolonialen Zeitalter hingewiesen wird. Herrschafts- und Widerstandsprozesse, die untrennbar mit den gewaltigen Massenverbrechen der Kolonialisierung verbunden sind, bleiben dagegen bei der ästhetisierenden Rezeptionsweise von Hybridität meist unberücksichtigt.

So drängt sich der Verdacht auf, dass die kritische Aufarbeitung des Hybriditätsbegriffs und seiner Kolonialgeschichte nicht nur dem gesellschaftlich Unbewussten zum Opfer fällt, sondern auch als irrelevant und unerwünscht betrachtet wird. Auffällig ist zumindest, wie diese Geschichtsvergessenheit und die Verdrängung von Kolonialgeschichte in der deutschsprachigen Rezeption postkolonialer Kulturkritik mit einer kulturalistischen Perspektive korreliert, die sich Hybridität vor allem unter den Vorzeichen gesellschaftlicher Modernisierung, erweiterter Konsummöglichkeiten und postmoderner Ästhetik für kosmopolitische wie kunstbeflissene Eliten in den Metropolen angeeignet.

Auch wenn Hybridität nur allzu gern als grenzenlose Transkultur der Postmoderne gefeiert wird, hat sie eine moderne Geschichte, die unter dem Schlagwort "Bastardisierung" bis in die Zeit der europäischen Kolonial- und Sklavengesellschaften in der "Neuen Welt" zurückreicht. Hybridität ist weder eine neue Entdeckung noch ahistorisch zu verstehen und kann daher nicht auf die heutige Konstellation als Kulturphänomen der Spätmoderne begrenzt werden. Angesichts dieser Problemlage ist es notwendig, die Konstruktion von Hybridität als "rassische Vermischung" historisch im Rahmen kolonialer Praktiken und rassentheoretischer Diskurse zu verorten und die zentrale Rolle der westlich-modern geprägten Natur- und Geisteswissenschaften in diesen Prozess der Rassifizierung (racialization) einzubetten. Vor diesem geschichtlichen Hintergrund ergeben sich weitreichende Verbindungslinien von den "rassenkundlichen" Kontroversen zwischen Vertretern der Mono- und Polygenese, dem politökonomischen Zwang zur Legitimierung der Sklavenhaltung über die Vererbungslehre des Botanikers Gregor Mendel bis hin zur Eugenik und den nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen im 20. Jahrhundert. Im Gegensatz zur vorherrschenden Wahrnehmung stellt "rassische" Hybridität keinen biologisch-ontologischen Prozess dar, sondern bildet im kolonial-rassistischen Kontext eine narrative Figur. Die Figur des "Mischlings" bzw. des "Bastards" erlaubt es, gesellschaftliche Entwicklungen vor der Folie sozio-biologistischer Konstrukte zu interpretieren, die auf der Vorstellung von "Rassen"- wie auch Kulturvermischung als ganzheitliche Kategorien basieren. Dadurch kann ein Weltbild stabilisiert werden, das von ursprünglichen wie homogenen Essentialismen ausgeht, in denen der Rassenbegriff die menschliche Natur und der Kulturbegriff die soziale Welt zu organischen und statischen Gemeinschaften erklärt. Als vermeintlich krankhafte Ausnahmeerscheinung soll der hybride "Bastard" die scheinbar gesunde Norm einheitlicher "Rassen" und Kulturen umso mehr bestätigen. [...]

Aus Kien Nghi Ha (Berlin): Hybride Bastarde - Identitätskonstruktionen in kolonial-rassistischen Wissenschafts-Kontexten. In: Eva Kimminich (Hg.): Kulturelle Identität. Konstruktionen und Krisen, Frankfurt a.M. [Peter Lang Verlag] 2003, S. 107-160. Mit freundlicher Erlaubnis des Autors.

Summary:
Starting with the observation that the discussion of the colonial history of hybridity in the German reception of Postcolonial Studies is underrepresented, this article discusses how hybridity is constructed in the context of colonial-racist sciences. Far from being only a phenomena of postmodern transcultural era, hybridity as a concept of transgression leads us to the beginning of modern sciences. European masterminds started the far reaching project of inventing the idea of "racial mix" by establishing the category "race" as an essential part of the human subject. Colonial sciences - spanning from famous works of western Enlightenment to Eugenics and Nazi-ideology in the 20th century - focus obsessively on the "bastard" as a pathological figure which is constructed as inferior, sterile and dangerous. These bio-racist discourses have after-effects and are still influential.

Vgl.:
Kien Nghi Ha
Kien Nghi Ha - Ethnizität und Migration
Eva Kimmenich - Schriftenverzeichnis
Eva Kimminich: Identität und Gesellschaft - Kultur und Gewalt
Ljubomir Bratic: Landschaften der Tat, dort die Autorenliste


18.06.2003
© Kien Nghi Ha/BurkS

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