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burks
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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
Beiträge: 6757
Wohnort: Berlin-Neukoelln

BeitragVerfasst am: 09.06.2003, 23:12 Antworten mit ZitatNach oben

Ich habe einen Verdacht". So beginnen gewöhnlich Verschwörungstheorien. Das Thema "Jürgen W. Möllemann" ergiesst sich wie ein warmer Regen über die Foren im Internet, und abstruse Ideen schiessen wie Pilze aus dem Boden. Die Stimmen derjenigen, die für Mord plädieren, ertönen zahlreich und lautstark. Man vermutet, das Arge, das Böse lauere hinter der Oberfläche der Berichterstattung und steigert sich in deftige Medienschelte. "Die Selbstmord-Theorie wurde von den Aasgeiern der Journallie verbreitet!" schreibt ein A. Rohsetzer im Internet-Forum des FDP-Bundesvorstands.

Am Anfang war das Gerücht. Nur wenige Minuten nach der ersten Pressemeldung, der FDP-Politiker sei in den Tod gesprungen, meldeten sich die ersten Surfer zu Wort. Usenet-Foren, die sich ausschliesslich dem Thema Verschwörung widmen, quollen über: "Ich hoffe nur, dass die Drathzieher gefunden werden", hiess es in zahlreichen Versionen, und schon nach wenigen Stunden beschwerten sich die ersten Surfer: "Man muss sonst ja schon richtig suchen, wenn man mal was über eine Nicht-Möllemann-Verschwörung lesen möchte."

Grenzen den guten Geschmacks gibt es im Internet nicht. Die unmoderierten Foren, insbesondere im regellosen Usenet, bieten denjenigen Raum, die sonst nirgendwo zu Wort kommen oder deren Thesen von Moderatoren erst gar nicht publiziert würden. Der Unterschied zwischen ernst gemeinten Verschwörungsthorien und ironischer Persiflage ist kaum zu erkennen. Das macht auch den Reiz der Lektüre aus. Klaus Kerstan schreibt in de.alt.soc.verschwörung: "Bei Fortyn war es ähnlich. Möglich bis höchstwahrscheinlich auch, daß M. einiges Insiderwissen hatte, welches seinem Gegnern gefährlich werden könnte, wenn er in die Ecke gedrängt wird." Nur wenige Mausklicks entfernt, im Forum des FDP-Bundesvorstands, zieht Theo Gottwald aus Karlsruhe Parallelen zu dem "Badewannen-Selbstmord" in Norddeuschland. "DerLeser" ist sich ebenfalls sehr sicher: "Alles Lüge! Es waren 9 Kameraden und Zeugen mit im Flugzeug. Selbstmord? Nie im Leben!" Eine "JohannaW", die sich nach eigener Ausage "etwas mit Menschen auskennt", folgert: "Es war kein Freitod, da bin ich mir mit dir sehr sicher." Ist das jetzt ernst gemeint? In einem Forum des Usenet schreibt Nils Kehrein, Besitzer der Domain affenkrieger.de: "Wo ist Mümmelmann runtergekommen? Genau - in einem Getreidefeld! Vielleicht haben sich die besagten Ausserirdischen bloss vor der nächsten Flugblattaktion, dann mit ihrem Konterfei, gefürchtet."

Verschwörungstheorien sind - nicht zuletzt dank des Internet - Teil des Mainstreams geworden. Untersuchungen in Amerika belegen den massenpsychologischen Effekt: "Conspiracy" sei eine "Art der Paranoia", die die Gesellschaft umgebe, eine kollektive Form eines post-traumatischen Stress-Syndroms, schreibt die kanadische Zeitung Globe and Mail. Der typische Informations-Junkie im Internet bereite sich permanent auf die nächste Nachrichten-Attacke vor. "In psychiatrischer Terminologie" nenne man das "Hyper-Aufmerksamkeit". So funktionierten auch die Diskussionen über Möllemann: Gerüchte verbreiten sich in Sekunden: der WDR habe angeblich gemeldet, Möllemann sei ohne Fallschirm gesprungen. Obwohl das Gerücht schnell wiederlegt wird, ist man sich nicht sicher, kann man sich nicht sicher sein. Das Gerücht verfestigt als eine von vielen möglichen Wahrheiten. Wird hier nicht etwas verschwiegen? Wer steckt dahinter? Wurde nicht auch beim Kennedy-Mord etwas verschwiegen? Kann alles Zufall sein? Sind die Amerikaner wirklich auf dem Mond gelandet?

Irgendjemand weiß es, wie es wirlich war - aber wer? "Martina" schreibt im FDP-Forum: "Na ja, irgendjemand wird schon den Auftrag zum Mord gegeben haben. Gibt ja genügend Feinde." Verschwörungstheorien im deutschsprachigen Raum brauchen nur wenige Minuten, um einen antisemitischen Unterton zu bekommen. Zunächst wird diejenige Organisation eingeführt, die angeblich überall auf der Welt ihre Finger im Spiel hat: "Vielleicht hat der Mossad etwas damit zu tun. Hat jemand Info´s über diese Möglichkeit?" So schreibt Georg Lehle, von einer "Bio-Event Agentur" im FPD-Forum. Und dann entwickelt sich insbesondere im Usenet, in dem jeder anonym bleiben kann, die Diskussion nach ähnlichen Meinungsäusserungen sofort in Richtung: "Möllemann - ein Mossad-Opfer?"

Verschwörungstheorien gehören zur Internet-Kommunikation wie der Schatten zum Licht. Sie sind eine Art Online-Folklore und running gag zugleich. Jede beliebige These, die in einem Forum auftaucht, wird sofort durch die nicht immer ernst gemeinte Frage konterkariert: Stecken ?sie" vielleicht dahinter? Die Illuminaten? Die Freimaurer? Der Mossad oder gar Geheimdienste, die so geheim sind, das wir nichts von ihrer Existenz wissen? Die Antworten sind aufschlussreich und spiegeln die Alltagskultur der Kommunikation realistisch wider.

Vielleicht sind Verschwörungstheorien indirekt die Vorboten einer neuen Medienkompetenz: Man darf und kann nichts mehr glauben. Das Logo der Publikation sagt nur noch wenig über deren Seriösität aus. Die Hierarchien der journalistischen Kompetenz werden flacher. Jeder kann beinahe in Echtzeit die Quellen recherchieren, wenn er oder sie nur will. Aber will man das? Die Frage, ob der Pilot der Maschine, in der Möllemann flog, vielleicht ein Agent war, der auf diesem konspirativen Weg von Jürgen W. Möllemann wichtige Informationen bekommen sollte und die Frage, wer das vielleicht verhindern wollte, indem der Fallschirm manipuliert wurde und die Frage, wer welche Journalisten bestochen hat, damit die Wahrheit nicht ans Licht kommt und die Frage, wer diese weltweite Verschwörung aufdeckt und sich zu dem erlauchten Kreis derjenigen zählen kann, die ein geheimes Wissen haben, vom dem sie anderen ungern abgeben - diese Fragen werden auf immer und ewig offen bleiben. Und wer hat Jürgen W. Möllemanns Forum manipuliert? Darf man dem glauben, was dort verkündet wird? "Dieses Forum ist zur Zeit geschlossen wegen Wartungsarbeiten. Es wird in Kürze wieder geöffnet. Bitte entschuldige die Unannehmlichkeiten."

Dieser Artikel erscheint heute - sehr stark gekürzt - im Tagesspiegel, Berlin.
vgl. zum Thema auch den Thread in diesem Forum.
10.06.2003
© BurkS

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