Es gibt so viele überflüssige Dinge auf der Welt. Kennen Sie die Zeitschrift Gala? Darin kommen Leute vor, die prominent sind, weil sie in Zeitschriften wie "Gala" vorkommen. Oder umgekehrt. Man vermutet, dass die Leute wissen wollen, wie andere Leute den Tag verbringen und ob sie das tun wie man selbst - auf anderem Niveau natürlich. So einfach. Und das verrate ich jetzt in meinem Fall.
Sie haben Pech. Heute habe ich gar nicht viel auf die Reihe gebracht. Ich verrate Ihnen also, was mich heute von der Arbeit abhielt. Ein Weblog oder "Blog", wie der Internet-Kenner sagt, ist wie "Gala". Irgendwie belangloses Zeugs zusammengeschrieben. Wie Thomas Manns Tagebuch bei Ausbruch des zweiten Weltkriegs: "Heute Zähne geputzt" (oder so ähnlich). Seien Sie mal ehrlich: Journalistische Texte will doch kein Schwein lesen. Nicht intim genug. Kommen kaum Schweinereien drin vor.
Aber denkste. Bloggen ist auch gelogen. Oder will jemand wissen, wann ich heute den Abort betreten habe, mit wem, ob und wie oft der Verkehr vollzogen wurde, wann ich den Müll runtergetragen habe (ja, heute, wegen der Fruchtfliegen!). So was schreibt keiner. Heise erläutert: "Blogger, deren Name sich vom amerikanischen "web-log", dem Einstellen kurzer Kommentare, Tagebucheinträge und Fotos ableitet, widmen sich allen möglichen Themen - von der Verbannung homosexueller Jugendlicher aus Pfadfinderlagern bis hin zum neuesten Hollywood-Klatsch."
Keep on blogging. Karges Frühstück, Schwarzbrot, Kaffee. Gutes Wetter zum Joggen. Verschoben auf morgen, nach dem Zahnarzt-Termin. Alle Schmerzen an einem Tag. 1000 Telefonate. Mit der Bank wegen Dispo. Hilferuf von Vattern, Drucker spinnt. Mit dem Fahrrad über den Kudamm. Im Grunewald WindowsXP das Faxen beigebracht. Röschti und Gurkensalat von Muttern. Aldi. Besuch der neuen Nachbarin, überraschend: eine Kollegin aus Wien, die in Berlin ihr Glück versuchen will. Kaffee. Kaffee. Kaffee.
Bratkartoffeln mit Joghurt. Fruchtsaft, Rezept vom mercado central de Arequipa: Man schäle eine Banane, eine Birne, in Stücken in den Mixer. 1 Ei, einen Becher Ananas-Joghurt, 1 Löffel Honig. Mit Milch auffüllen. Schreddern. Bio und gesund.
Und was hat mich wirklich von der Arbeit abgehalten? Joyce Carol Oates: Im Zeichen der Sonnenwende Ein Roman. Man muss das jetzt mal sagen: wenn die Oates nicht bald den Nobelpreis für Literatur bekommt, nehme ich die in Stockholm nicht mehr ernst. Ich lese ungern Romane, die meisten sind entweder schlecht oder schlicht langweilig oder beides. Und schon gar nicht lese ich Romane deutscher Schriftsteller, die entweder zu jung sind, um etwas Relevantes erlebt haben, oder von Schriftstellern handeln, die über andere Schriftsteller schreiben, die nicht wissen, mit welchen Schriftstellerinnen sie wann und ob den Verkehr vollziehen oder sich in die nächste Depression stürzen wollen, oder weil die Verfasserinnen Frauen sind - mit den branchenüblichen Vorteilen wie behinderte afrodeutsche Lesbe oder etwas in der Art. Lieber schreibe ich meine Romane selber.
Immer noch ganz bloggermässig völlig subjektiv: Oates ist einfach überirdisch. Unerreichbar. Sie beschreibt andere Menschen mit dem verbalen Seziermesser. Und sieht auch so aus. Durchscheinend zart, am besten mit Rüschenbluse in Schwarzweiss, aber mit Augen, die die Welt so sorgfältig und leidenschaftslos aufspießen wie ein Käfersammler. Und wieso blogge ich das jetzt? Vielleicht wollte ich ihren Stil in mich aufnehmen, damit ich ihn wiederkäuen kann. Genau so, nur so wollte ich immer schreiben können. Oates lesen: eine Vermeidungshandlung, viel besser als Staubsaugen oder Ages of Conquerors. War es das jetzt wert, den halben Tag sausen zu lassen, nur um zu verschlingen, wie eine Frauenfreundschaft ausgeht? Ja, ich bereue nichts. Über die Beziehung zwischen Menschen, wie Oates sie schildert, könnte ich noch ein halbes Jahr nachdenken.
Hoffentlich begegne ich der nicht persönlich. Man sollte nie jemanden nach dem einschätzen, was er oder sie schreibt. Hier mein Lieblingszitat des Kollegen und Oberdandys (www.tomwolfe.com/index3.htm) Tom Wolfe, der sein Schäfchen im Gegensatz zu mir schon im Trockenen hat:
Zitat: |
Schriftsteller haben oft den Charme eines Mehlwurms. Sie sehen aber mehr als andere Leute. |
16.04.2003
© BurkS |