Das gescheiterte NPD-Verbot wird jetzt mit vorgefertigten Textbausteinen kommentiert werden. Der lustigste kommt - natürlich! - vom bayerischen Innenminister Günther Beckstein: er möchte noch mehr V-Leute. Und die NPD müsse weiter beobachtet werden. Und der ehemalige Präsident der Dauerskandalbehörde VS, Eckart Werthebach kommentiert - wen wundert's: "V-Leute müssen ein unverzichtbares Mittel bei der Beobachtung extremistischer Parteien bleiben."
Komisch ist, warum niemand, aber auch niemand den einzig richtigen Schluss aus dem ohnehin fragwürdigen Verfahren ziehen will: den Verfassungsschutz ersatzlos aufzulösen. In Deutschland würde sich rein gar nichts zum Besseren oder Schlechteren wenden. Niemandem würde ein Fehlen dieser ominösen Behörden auffallen. Ein Ethnologe vom Aldebaran würde über den öffentlichen Metadiskurs zu diesem Thema ergebnislos rätseln: er ist so betonhart, quasireligiös und resistent gegenüber jedweder Argumentation wie der Cannabis-Diskurs in den siebziger Jahren. Wieso braucht man V-Leute, um etwas zu beobachten? Wieso braucht man dazu den Verfassungsschutz? Wozu ist diese Behörde überhaupt da?
Die Antworten auf diese nahe liegenden Fragen sind einfach nicht vorgesehen, so undenkbar, als schlüge man dem Papst vor, er solle über die Frag nachdenken, ob es höhere Wesen gäbe. Es ist zum Verzweifeln - als hätte ein höheres Wesen die Macht, allen Diskutanten kollektiv einen blinden Fleck aufzuoktroyieren. These: Die Landeskriminalämter, im Volksmund: der Staatsschutz, können das militante Neonazi-Milieu sogar allein mit technischen Mitteln so beobachten, dass der Öffentlichkeit keine Gefahr drohte. Die Polizei müsste sich nicht - wie jüngst in Berlin - ständig darüber aufregen, dass gerade die grössten Hetzer und zahlreichen agent provocateurs gleichzeitig im Staatsdienst standen und vermutlich stehen. Der Verfassungsschutz hat in der Vergangenheit weder irgendeines der Pogrome noch irgendeine Gewalttat vorab aufgeklärt.
Der Diskurs über den VS hat nur einen Zweck: er legitimiert die deutsche Staatsdoktrin. Die besagt: Es gibt die Mitte, und es gibt die "Extremisten". Wer das ist, bestimmt der jeweilige Innenminister. Und natürlich echot es aus dem politischen Lager, das den völkischen Ideen der Neonazis inhaltlich am nächsten steht, wie ein bedingter Reflex auf den Begriff "Rechtsextremismus": Linksextremismus. Wer - wie Werthebach - "Extremismus" sagt, formuliert bewusst suggestiv. Links gleich rechts. Rot gleich braun. Und das ist eigentlich gemeint. Und das qua behördlicher Existenz zu untermauern, ist Sin und Zweck des Verfassungsschutzes. Und deshalb würde der Verfassungsschutz selbst dann nicht aufgelöst, wenn seine Mitarbeiter versucht hätten, den Bundespräsidenten zu liquidieren.
Wer die NPD also für "extremistisch" hält und meint, diese müsse bekämpft werden, hat nichts begriffen. Die NPD ist ein Symptom, ist eine der vielen Pflanzen auf dem Nährboden des rassistischen und völkischen Konsens Deutschlands. Wer wissen wil, wer wo diskriminiert, pöbelt, schikaniert, der betreibe Feldforschung bei den braven Bürgern, der frage Afrodeutsche nach ihren Erfahrungen. Der besuche die Gefängnisse, die mit Menschen gefüllt sind, die sich oft nur eines haben zu schulden kommen lassen: sie haben den falschen Pass (www.abschiebehaft.de/). Wer wissen will, was Rassismus ist, der interviewe schwangere Frauen, deren Kinder tot geboren wurden, weil ihnen im Abschiebeknast von Berlin-Grünau (www.umbruch-bildarchiv.de/video/abschiebeknast/herzinfarkt.html) per default Vorsorgeuntersuchungen verweigert werden. Und der überlege sich, warum alle über die NPD reden und nicht über die deutsche Realität.
Ignoriert, ja vergesst die NPD! Die NPD ist ein Fettauge auf der braunen Suppe. Nehmt die Suppe vom völkischen Feuer, das Politiker wie Beckstein immer wieder anheizen. Es gibt weder eine "deutsche Kultur" noch etwas, dass durch Einwanderer "verfremdet" werden könnte. Diskutiert lieber, wie Rassismus und Antisemitismus entstehen und wie man politisch gegen diese geistigen Seuchen kämpfen kann. Und wer behauptet, ausgerechnet die V-Mann-Truppe NPD sei dafür verantwortlich, dass Jugendliche und Erwachsene rassistischen und völkischen Unfug glauben und verbreiten, der glaubt vermutlich auch, die Erde sei eine Scheibe. Und dann sollte man ihn über den Rand der Scheibe ins Nicht stossen, damit er oder sie endlich aufwacht.
19.03.2003
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