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NPD IM TAL DER AHNUNGSLOSEN Nie wieder Sowjet-SachsenVon Burkhard Schröder |
Ein Gespenst geht um in Sachsen: die NPD könnte am 19. September in den Landtag einziehen. Was würde dann passieren? Gar nichts. Der Verfassungsschutz und die üblichen verdächtigen Experten würden bei einem Erfolg der Stiefel- und Salonfaschisten befragt, wie das nur passieren konnte. Die Textbausteine der Antworten sind seit den siebziger Jahren bekannt: Protest, Sozialabbau, Destablisierung sozialer Milieus, Individualisierung, falsche Toilettengewohnheiten in der Kindheit. Der übliche kulturpessimistische Diskurs eben: die Bösen werden immer böser und immer mehr. In diesem Fall die NPD. Also: bildet Lichterketten, Gefühle, Fahnen und Gesichter irgendwem zeigen, keinen Fußbreit den usw.
Geschichte wiederholt sich nicht, und wenn, dann nur als Komödie oder Karikatur. Ein Blick zurück ganz ohne Zorn: Anfang der dreißiger Jahre war Sachsen eine rote Hochburg. Die Nazis machten Wahlkampf mit dem Slogan "Nie wieder Sowjet-Sachsen." Der NSDAP-Abgeordnete Cuno Meyer verkündete, man werde den Verwaltungsapparat von linken Parteibuch-Beamten säubern, die Polizei in die Hände bekommen "und dann sei Schluss mit dem roten Terror." Damals hieß der rote Terror nicht Linksextremismus und Antifa, sondern SPD und KPD.
Auch eine Beta-Version von Hartz IV war damals schon als argumentativer Flankenschutz für Neonazis aktuell: Am 6. Juni 1932 trafen sich Abgesandte diverser linker Gruppen in Oberseifersdorf bei Zittau und übten sich in moralisch hochwertiger, aber politisch wirkungsloser antikapitalistischer Attitude. "Die Erwerbslosen von Oberseifersdorf und die Vertreter der Erwerbslosen aller Gemeinden erklären den Kampf gegen die Pflichtarbeit und die Kürzung der Wohlfahrtsunterstützung." Wie gehabt forderte auch damals die Linke die Obrigkeit auf, härter durchzugreifen: gegen Nazis und für Staatsknete zugunsten der industrielle Reservearmee alias: die Arbeitslosen.
Im Osten also nichts Neues. Und das westliche bundesrepublikanische Abendland ist bekanntlich trotz zeitweiliger NPD-Erfolge noch nicht untergegangen: 1968 waren die braunen Kameraden mit 61 Abgeordneten in vier Landtagen vertreten, in Baden-Württemberg erreichte sie fast zehn Prozent. Übrigens: damals waren die Reizthemen "Ausländer" und "Arbeitslosigkeit" im öffentlichen Diskurs kaum präsent, und schon gar nicht im reichen Südwesten. Der Auf- oder Abstieg der NPD hat damit nichts zu tun, damals wie heute.
Was lehrt uns das? Es wäre gut, wenn die NPD wieder in die Parlamente käme. Das würde beweisen, dass der Versuch, den braunen Bodensatz mit Verboten unter den Teppich kehren zu wollen, ein falscher Ansatz war. Es würde beweisen, was sich nur Zyniker trauen auszusprechen, dass der staatlich geförderte Antifaschismus -"Programme gegen rechts" - nichts bewirkt außer einem guten Gewissen der Fördermittelgeber und -nehmer.
Ein Erfolg der NPD in Sachsen - wenn er denn eintritt - würde bestätigen, dass entweder die Antifa bewaffnet werden muss, um erfolgreich "Neonazi-Demo-verhindern"-Politik durchzusetzen oder die Linke endlich offen aussprechen müsste, dass sie den Abbau der Bürgerrechte wie die Einschränkung des Rechts auf Versammlungsfreiheit zusammen mit Günter Beckstein und Otto Schily durchziehen will, wenn es denn gegen die braunen Kameraden geht. "Keinen Fußbreit den"-Antifaschismus ist keine Meinung, sondern eine Attitude, ohne zu wissen, was dabei herauskommen soll.
Dieser Artikel erschien am 08.09.2004 leicht gekürzt in der Jungle World.
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