Tolle Welt mit Toll-Collect
Da weiß der Staat immer, wo du bist - Maut sei Dank!

Sind die zahlreichen Pannen bei der Einführung der Lkw-Maut ein willkommener Showeffekt, um das Volk langsam an die Einführung der Maut heranzuführen, die sonst Proteste auslösen würde?

Da die Straßen hierzulande dazu da sind, dass jeder sein Recht auf Freizügigkeit nach Artikel 11 des Grundgesetzes uneingeschränkt nutzen kann, und in der modernen mobilen Gesellschaft auch nutzen soll, kommt jedes Abkassieren für Straßenbenutzung einer Belastung der Freizügigkeit sowie einer Wegesondersteuer gleich. Dies steht dem allgemeinen Steuersenkungswettlauf der politischen Parteien voll entgegen.

Wer einwendet, es sollten doch nur die Lkw besteuert werden, Freizügigkeit im Geiste wie auch physisch auf den Straßen dieses Landes werde für die Bürger also gar nicht eingeschränkt, hat die Sache nicht verstanden.

Es wird beruhigt und beruhigt, dass das Mautsystem keine Big-Brother-Überwachung sei, weil der GPS-Satellit schließlich nicht umgekehrt empfängt, was der in die Fahrzeuge eingebaute GPS-Empfänger gar nicht sendet. Der Datenfluss vom Satelliten zum Empfänger sei eine Einbahnstraße.

Dieser Teil des Systems ist in der Tat nicht interaktiv. Aus verschiedenen technischen Gründen, der Präzision der Ortung wegen, verlassen sich Toll-Collect und der Verkehrsminister Stolpe jedoch nicht auf die GPS-Ortung, sondern wie es auf der Toll-Collect-Homepage beiläufig heißt, auch auf die GMS-Ortung des jeweiligen Mobilfunkanbieters. Da haben wir es: Das Handy muss also total oder zumindest zeitweilig eingeschaltet sein. Fällt einmal der GPS-Kontakt wegen Wolken, Unwetters oder ähnlichem, treten helfend das fahrzeugeigene Navigationssystem und eben auch das Handy zu Ortungszwecken in Funktion.

Die Sputniks, die heute die Welt umkreisen und zum amerikanischen GPS-System gehören, erlauben eine Ortungsgenauigkeit auf ein paar Meter. Deswegen haben sich die Europäer entschlossen, das System Othello in den Himmel zu schießen. Es wird in ein paar Jahren eine Ortungsgenauigkeit liefern, die mutmaßlich im Zentimeterbereich liegen wird. In ein paar Jahren wird es nicht mehr die Kombination der heutigen Mobilfunknetze im GSM-Standard und des GPS-Systems geben, es wird die Kombination von UMTS und Othello geben. UMTS, der nützliche oder unnützliche Mobilfunkstandard der Zukunft, eröffnet eine noch wesentlich präzisere Ortung über das eingeschaltete Handy als das GMS-System.

Noch in diesem Jahrzehnt wird also die Totalüberwachung jedweden Verkehrs - auch von Pkw, Fahrradfahrern und Fußgängern, auch auf Landstraßen und in den Städten sowohl durch das Privatunternehmen Toll-Collect als auch durch den großen Bruder Staat, der die Toll-Collect- Daten sammelt, möglich.

Hatte die Stasi, die der Bundesverkehrsminister aus seiner eigenen DDR-Zeit kennen sollte, noch den perversen Willen, mit holzhaltigem Papier und altdeutschem Griffel und ganzen Armeen von Schnüfflern und Spitzeln das Volk total zu überwachen und scheiterte die Stasi glücklicherweise an ihrer Unfähigkeit, High-Tech-Infrastrukturen zu schaffen, so ist jetzt im vereinten Deutschland der ungute Überwachungswille der untergegangenen DDR kombinierbar geworden mit der westlichen Fähigkeit, die Überwachungstechnik real existent zur Verfügung zu stellen. Eine besondere Art das Ungute der einen Seite mit dem Unguten der anderen Seite zur Potenzierung des Bösen zusammenzutun, ist ein echter Wiedervereinigungsschaden, um es einmal sarkastisch auszudrücken.

Ist die Nummer mit den technischen Problemen, den Pannen bei der Einführung, dem ganzen Gezerre und Gezeter über Vertragskündigung, Rauswurf von Toll-Collect, Vertragsstrafe und Schadenersatz nur eine List von Minister Stolpe? Alles nur Show, um die gesellschaftliche Katastrophe mit Namen Maut zu vernebeln und den Bürger dazu zu bringen, der Maut nun entgegenzufiebern, nach dem Motto: Wann kommen die paar Euros, die der Wirtschaftskreislauf ohne Maut an anderer Stelle ausschwitzen würde, ins Staatssäckel?

Wissen ist Macht. Auf die Maut übertragen: Maut-Wissen ist absolute Macht. Das berühmte "Einschätzen", das die Stasi übte, und damit das knappe Papier bekritzelte, ist natürlich schon in wenigen Jahren nicht mehr nötig, da die automatisierten Bewertungsprozesse Standard sein werden. Das, was im Jahr 2003 so fröhlich begann, wird in sehr wenigen Jahren ein gigantisches hoheitliches Hölleninstrumentarium sein, was alles in den Schatten stellt, was Orwell und Huxley in ihrer Fantasie vor Augen hatten. Die Möglichkeiten des bis jetzt mit der Maut klein beginnenden Systems übersteigen die jedes Geheimdienstes, jeder Sekte.

Sicher haben weder Stolpe noch der Bundeskanzler noch die armen Irren von der grünen Heilsfront noch die Toll-Collecter den vollen Durchblick in die katastrophalen Risiken des Mautsystems. Selig sind die gutwillig Bösgläubigen, die für den nächsten individuellen Karriereschritt und ein paar so genannte Mautsteuer-Scheineinnahmen heute blindwütig den Rechtsstaat in Gefahr bringen. Schluss mit der tollen kollektiven Welt, weg mit der Maut, bevor es zu spät ist!

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Dieser Artikel erschien am 06.12.2003 in der Volksstimme. Bettina Röhl ist freie Journalistin in Hamburg. Am 06.08.2003 schrieb sie für spiggel.de eine Gastkolumne: "Geheuchelt und gemeuchelt" [Mythos RAF 2]. Abdruck mit freundlicher Erlaubnis der Autorin.

06.12.2003
© Bettina Röhl/BurkS