Das Duell, die Kette, der Medienzirkus

tvduell

Ein Kommentar von mir in Telepolis über das gestrige TV-Duell zwischen Merkel und Steinbrück: „Politik sollte im Parlament stattfinden, im Colloseum ging es interessanter und unausgewogener zu“.

Man sieht und hört nur das, was man auch sehen und hören will. Duelle kann man sich also schenken, außer sie würden mit Pistolen ausgetragen. Um Argumente geht es ohnehin nicht – das hieße ja, dass die Wählerinnen und Wähler draußen im Lande rational entscheiden würden, wer sie regiert. Tun sie aber nicht. Sie fühlen. (…) Frauen mögen Merkel mehr, Männer mehr Steinbrück. Aber wer braucht eigentlich die Moderatoren? Wäre es nicht viel interessanter gewesen, Amtsinhaberin und Herausforderer allein in einen Raum zu sperren und zu warten, was dabei herauskommt? Ganz ohne Regeln?

Reboot der Insel der Seligen

Elysium

„Reboot der Insel der Seligen“ – ein Artikel von mir in Telepolis über den Film Elysium.

„Elysium“ ist ein solide gemachter Action-Film, dessen Science-Fiction-Kostüm kaum kaschieren kann, dass der Plot fast die gegenwärtige Realität beschreibt. (…) Die Moral derartiger Geschichten ist auch schon spätestens seit Sergio Corbuccis „Il Mercenario“ (1968) klar: Der Held hat zunächst ein egoistisches Motiv (Geld, in „Elysium“ die eigene Gesundheit), und eine schöne Frau bringt ihn auf den richtigen Weg an die Seite der Armen und Guten, denen er hilft, die Bösen militärisch zu besiegen (wie auch in „Avatar – die Reise nach Pandora“).(…) Im deutschen Feuilleton gilt man offenbar schon als „stramm links“, wenn man fragt, ob es wirklich sein müsse, dass Wenige viel haben und umgekehrt. (…) Ein wirklicher und dauerhafter sozialer Reboot würde die Einsicht voraussetzen, dass die Akteure innerhalb des Systems nur ihre vorgesehene Rolle einnehmen, als eine Art „Charaktermaske“, und dass das Sein das Bewusstsein bestimmt. Es kommt vermutlich weniger darauf an, wer die Macht hat, sondern zu ändern, worauf Macht beruht. So weit geht „Elysium“ nicht. (…)

Elysium

Pictures: Sony Pictures

Anti-Antifa mit Presseausweis

Neues Deutschland: „Berliner Neonazis tarnen sich als Journalisten um Gegner auszuspähen“.

In der Praxis differenziere die Polizei nicht zwischen dem bundeseinheitlichen Presseausweis und »Kaugummiautomaten«- Presseausweisen, bemängelt ein Fotojournalist, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will

Es gibt keinen „bundeseinheitlichen“ Presseausweis. Vgl. meinen Artikel in Telepolis (06.12.2007): „Presseausweis kaputt . Die Innenministerkonferenz will den „amtlich anerkannten“ Presseausweis abschaffen. Das Gezerre um den begehrten Ausweis entlarvt aber auch die Lebenslüge des organisierten Journalismus in Deutschland“.

Selten dämlich

Stefan Plöchinger, Chefredakteur von sueddeutsche.de, twittert über meinen Telepolis-Artikel: „Selten dämlicher Text bei @heiseonline zu Verschlüsselung, anonymen Briefkästen etc., dessen Autor null Erfahrung hat“.

Verschlüsselung – nein danke!

Ein Artikel von mir in Telepolis: „Verschlüsselung – nein danke! – Trotz der bitteren Einsicht, dass die gesamte digitale Kommunikation überwacht und belauscht wird, weigert sich die übergroße Mehrheit der deutschen Journalisten, daraus irgendwelche persönliche Konsequenzen zu ziehen. Warum?“

Zersetzung nach Plan

Zersetzung

Aus aktuellem Anlass dokumentiere ich hier einen Artikel, den ich am 12.12.1990 im Berliner Stadtmagazin ‚zitty‘ über Jens-Uwe Vogt geschrieben habe. Vogt galt schon zu DDR-Zeiten als Rädelsführer der Hooligans des BFC Dynamo. Die Stadtmagazin „Prinz“ hatte damals einen Artikel veröffentlicht, der suggerierte, Jens-Uwe Vogt sei Agent der Stasi gewesen. In Wahrheit hatte das Ministerium für Staatssicherheit selbst eine Kampagne initiiert, um Vogt in den Augen der Hooligans verdächtig zu machen, ein Spitzel zu sein. Das Ziel der Stasi war laut deren Akten, die Hooligan-Szene Ost-Berlins zu „zersetzen“, indem der informelle Anführer gezielt diskreditiert wurde. Vogt ist kein sympathischer Zeitgenosse, und seine Aktionen auch nicht „gesellschaftsfähig“, aber ein Spitzel war er nicht.

So arbeiten Geheimdienste heute auch noch. Ich selbst – so suggerierten mehrfach Mitglieder des Chaos Computer Clubs -, sei verbandelt mit dem Verfassungsschutz oder wem auch immer (die Tatsache, dass ich seit einem Jahrzehnt fordere, den Verfassungsschutz abzuschaffen, ist vermutlich nur eine besonders geschickte Tarnung). Ein Vorstandmitglied der German Privacy Foundation soll (wieder einmal) IM eines Dienstes sein. Quellen und Belege sind nicht nötig; ein Verdacht, den irgendjemand faktenfrei in den Raum wirft, reicht aus, um die Person in einem bestimmten Milieu zu diskreditieren – eine Methode, die perfekt funktioniert.

Auszüge (der komplette Artikel oben als pdf):

Auch dieser Tage [1990] steht Vogt im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Eine bunte Berliner Stadtillustrierte [‚Prinz‘] will erfahren haben, daß der „Führer der Hools“ Agent für die Staatssicherheit gewesen sei. So beruft sich das Magazin auf die Aussagen eines ehemaligen Stast-Mitarbeiters, wonach Vogt „Lektionen in DDR-Rechtsprechung, Psychologie und Taktik“ erhalten habe. „Blödsinn“, erklärte Vogt gegenüber Zitty, „Ich kann mir nicht erklären, wieso so etwas geschrieben wird. (…) will Vogt seine Vergangenheit vertuschen? Hat er, wie das Magazin behauptet, seine Führungsoffiziere ausgespielt, oder wurde er von der Stasi über den Tisch gezogen, instrumentalisiert, um die Hooligan-Szene zu sersetzen? (…)

Die Hauptabteilung XX konterte [die Aktionen der Ost-Berliner Hooliganzs] mit einen Plan für die „Einleitung differenzierter Vorbeugungs- und Zersetzungsmaßnahmen“ der Hooligan-Szene. Dieser Plan war so differenziert und raffiniert, daß selbst heute noch die Folgen für einige Hools zu spüren sind.

Prominenter Mitarbeiter der OPK („operativ-politishen Kontrolle“) war der „BFC-Kommandore [Spitzname der Ost-Berliner Hooligans für einen bestimmten Hauptmann des Staatssicherheitsdienstes]. Seine spitzel, im Stasi-Jargon IM („informelle Mitarbeiter“) genannt: Drei Herren mit den Decknamen „Bär“, „Dirk Heinze“ und „Jens Pollack“. Zielobjekt: Jens-Use Vogt. Deckname der Operation: „Vogel“.

Erste Maßnahme: Information. Die Informanten belegten, daß Vogt Mitte der 80er Jahre zwar nicht von allen Hooligans als Anführer akzeptiert wurde. Er hatte aber „organisatorisch und stimmungsmäßig“ in der Fan-Gruppe „die Fäden in der Hand“. Er galt als „Anführer der Skinheads“.

„Vogt trat auch aktiv als Texter von Verspottungsliedern der Sicherheitsorgane in Erscheinung“, heißt es in einem Stasi-Protokoll vom 26. November 1987. Wenn er in einer Gaststätte anwesend war, „kam es vor, daß am Tisch leise Lieder mit rassistischem oder faschistischem Charakter gesungen wurden.“

Zweiter Schritt: Der Hooligan-Chef und ausgewählte Anhänger wurden unter Vorwänden von Ermittlungsbehörden vorgeladen und verhört. „Irgendwo mußte man immer Kompromisse eingehen“, erinnert sich Vogt heute über sein Aussageverhalten bei der Polizei. (…)

Seine vermeintliche Schlauheit nütze ihm nichts. Die Stasi war noch gewitzter. Seine Aussagen würden „über inffizielle und offizielle Wege anderen Mitgliedern der Gruppierung zur Kenntnis gegeben, so daß in der Gruppe eine starke Verunsicherung gegeneinander hervorgerufen wurde.“ Vogt behauptet heute, daß seine Aussagen teilweise verdreht lanciert wurde. Seinen Spitznamen hatte er weg: „Stasi-Vogt“. „Die Skins haben sich alle von mir distanziert“, sagt er.

Dritter Schritt: Bei einer Party von Hooligans und Skinheads im Dezember 1986 werden Fascho-Lieder gesungen und „Sieg Heil“ gebrüllt. Die Polizei verhaftet ein Dutzend der Teilnehmer. Vogt und zwei weitere mitglieder der „Annalen“ [ vermutlich sind die „Vandalen“ gemeint – eine Ost-Berliner Rocker- und Nazi-Bande] entkommen. Die Polizei lädt Vogt zum Verhör vor. Kommentar des Abschlußberichts der „operativ-politischen Kontrolle“. „Um den Zersetzungsprozeß zu forcieren, wurde der Vogt im März 1987 gezielt als Zeuge zum Gerichtsverfahren gegen die Teilnehmer des Vorkommnis 24. November geladen.“ Im Beisein anderer Gruppenmitglieder weisen die Stast-Mitarbeiter auf seine „entscheidenden“ Aussagen und sein „ängstliches Verhalten“ hin. Jede weitere „Zuführung oder Befragung“ wird durch „offensives Auftreten verschiedener IM bekannt gemacht“.

Ergebnis der Maßnahmen: Es verbreitet sich unter den Hools und Skin „die Auffassung, daß der Vogt machen könne, was er wolle, ohne daß ihm etwas geschehen würde. Daraufhin distanzierten sich weitere entscheidende Personen von ihm.

Vierter Schritt: Zügige Ausreise. (…) Die Stasi hatte schon 1987 vorgemerkt, die Übersiedelung [Vogts] solle schnell realisiert werden, „um so seine zuk+nftige Wirksamkeit in Westberlin zu untergraben, denn bei den rowdyhaften Jugendlichen bestand … die Auffassung, daß man nur für gewissen Gegenleistungen schnell ausreisen darf.“ (…)

„Als weitere Maßnhame, um die Glaubwürdigkeit des Vogt herabzusetzen, wurde die zügige Realisierung seines Antrags auf Übersiedelung nach WB (WEst-Berlin, d. Red.) genutzt.“ (…)

Nachtrag, der mit dem obigen Artikel inhaltlich nichts zu tun hat, aber mit dem Anlass, ihn noch einmal zu veröffentlichen: Wenn mich jemand nach meiner privaten Verschwörungstheorie fragt, antworte ich, dass irgendjemand Karsten N. „gebrieft“ hat, weil der am ehesten „paranoid“ genug ist, um auf so etwas hereinzufallen. N. behauptete vor einigen Jahren (das wird ab und zu wieder hervorgekramt) vor seinem Austritt aus der GPF über ein anderes Vorstandsmitglied (nicht, nicht über mich): „der meiner Meinung nach im Verdacht steht, als informeller Mitarbeiter unter dem Decknamen „Sysiphos“ für die „Dienste“ zu arbeiten.“

Vielleicht sollte Karsten, der sich beharrlich weigert, irgendwelche Fakten zu nennen, doch lieber seine eigenen „Quellen“ überprüfen. Gegen meine Theorie spricht aber, dass die German Privacy Foundation mit ihren knapp 90 Mitgliedern einfach nicht wichtig genug ist, um Ziel einer Geheimdienst-Operation zu sein, um die GPF zu „zersetzen“ oder zu diskreditieren.

Der Mann, der mich ins Internet brachte

Das muss mal gesagt werden: Über den Mann, der mich 1994 ins Internet brachte – damals ins CL-Netz, über das ich dann auch die Newsgroups im Usenet lesen konnte – habe ich am 26.04.1996 im Berliner Tagesspiegel einen Artikel geschrieben: „Der Mann für die Mailbox“.

Nazis im Netz

Ein Artikel von mir auf Hyperland, dem Blog des ZDF.

Der Artikel wurde so stark gekürzt, dass ich den wohlwollenden Leserinnen und geneigten Lesern diejenigen Stellen nicht vorenthalten will, die der Zensur Schere im Kopf der verantwortlichen Redakteure zum Opfer fielen. Da im Internet Platz genug ist, kann es an der Länge ja nicht gelegen haben. Nach dem zweiten Absatz hatte ich geschrieben:

„Das stimmt heute auch noch. Die Textbausteine müssten nur geringfügig geändert werden, nur dass es sich nicht mehr um die vorsintflutlichen Mailboxen des ‚Thule-Netzes‘ handelt, sondern um das Internet. Leider entpuppten sich später die maßgeblichen Drahtzieher des ultrarechten Mailbox-Verbundes als Spitzel des Verfassungsschutzes wie etwas Kai D., Pseudonym „Undertaker“. Man kann heute auch nicht sicher sein, ob Neonazi-Websites nicht in Wahrheit vom Inlands-Geheimdienst gesteuert werden. Gerade die aktivsten ultrarechten Kader waren oft auch V-Leute.

Nazis sind also im Internet. Sie haben jetzt mehrere Optionen, wenn Sie dennoch weiterlesen wollen. Wenn Sie ein Jugendschutzwart sind oder ein Lobbyist der Überwachungslobby und meinen, Verbote seien geeignet, Rassismus und Antisemitismus offline und online würden abnehmen, wenn der Staat nur ‚hart durchgreife‘, dann surfen Sie bitte nach jugendschutz.net.

Wenn Sie meinen, Lichterketten hülfen gegen die braune Brut, also Aufklärung nutzte gegen Vorurteile, und die Jugend sei irgendwie gefährdeter als Erwachsene, dann haben Sie vermutlich im Geschichtsunterricht gefehlt, als der Nationalsozialismus dran war.

Oder sie gehören zu den Gutmeinenden: Sie selbst seien im Netz weltanschaulich nicht gefährdet und dürften auf Neonazi-Websites surfen und nähmen keinen Schaden. Vor anderen sollten jedoch Nazi-Links verborgen werden, weil man nicht sicher sein könnte, ob der dauerhafte Anblick einschlägiger Propaganda nicht doch die Gesinnung nach rechts driften ließe. „Netz-gegen-Nazis.de“ oder „Endstation Rechts“ sind dann gute Adressen, nur werden Sie dort keine Links zu Neonazis finden.“

Der Link zu dem von mir erwähnten Youtube-Video über die „Sturmtruppen“ ist auch der freiwilligen Polit-Selbstkontrolle dem Rotstift zum Opfer gefallen. Der letzte Absatz sah im Original-Manuskript so aus:

„Dummerweise ist man sich in Deutschland auch gar nicht einig, was ‚rechts‘ bedeutet. Die Salonfaschisten der „Jungen Freiheit„, völkische Apologeten der Volksparteien oder nur neofaschistische Politsektierer wie Christian Worch? Nazis im Internet, so kann man ketzerisch vermuten, sind vielleicht gar kein Problem, sondern, wie auch offline, nur ein Symptom, wie es in der Mitte der Gesellschaft aussieht.“

Man kann also sehr schön und pädagogisch wertvoll sehen, was geschrieben bzw. verlinkt werden darf und was nicht. Alle Links, die direkt zu Neonazi-Websites führten (die das Thema des Artikels waren), sind verschwunden.

Ich hatte meinen Artikel noch einen Hinweis an die öffentlich-rechtliche Anstalt beigefügt:

„An die Glaubensgemeinschaft German Internet Angst (Vgl. dejure.org/gesetze/StGB/86.html):
Absatz 3: (3) Absatz 1 gilt nicht, wenn das Propagandamittel oder die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient. (vgl. http://www.burks.de/kafka.html)

Wenn das ZDF jedoch nicht der staatsbürgerlichen Aufklärung dient und keine Links setzt, muss ich das dann auf meinem Blog nachholen.

Wenn das ZDF der irrigen Medientheorie huldigt, der Anblick von Neonazi-Propaganda mache zum Neonazi und man dürfe deshalb keine Links setzen, dann widerspräche das grob den zentralen inhaltlichen Aussagen meines Textes.“

Quod erat demonstrandum.

Böcke als Gärtner der politischen Landschaftspflege

Ein Artikel von mir in der taz: „Man muss kein Knecht des Kapitals sein, um sich korrumpieren zu lassen. Abgeordnete des Bundestags dürfen Geld von Lobbyisten annehmen, um deren Interessen zu vertreten. Nur direkter Stimmenkauf ist nach § 108e StGB strafbar.“ [mehr…]

Alle lügen, ausser Mutti

Ein Artikel von mir über die unsägliche Praxis der deutschen Journalisten, Interviews „autorisieren“ zu lassen (erschienen im Medienmagazin Berliner Journalisten, Ausgabe3/2006, 5.1 MB, pdf): „Alle lügen, außer Mutti“.

Der Katzenkryptograf

Ein Artikel von mir in der taz: „Nutzer haben Vieles im Netz nicht unter ihrer Kontrolle, findet Nadim Kobeissi. Deshalb hat er einen verschlüsselten Browserchat erfunden.“

Und ewig grüsst das Botnetz

Ein Artikel von mir in der taz über Botnetze. Da dort die Links fehlen und mir mein Original und auch meine Überschrift besser gefallen als das, was in der taz zu lesen ist, hier mein Text:

Das drittgrößte Botnetz der Welt wurde abgeschaltet. Das verkündete Atif Mushtaq, ein IT-Experte von FireEye – das britische Unternehmen verkauft Firmen Sicherheitssoftware gegen „Cyberkriminalität“. Das so genannte Grum-Net soll für rund die Hälfte des weltweiten Aufkommens unerwünschter E-Mail-Werbung (Spam) verantwortlich gewesen sein.

Das Grum-Botnet wurde schon 2008 entdeckt und war spezialisiert auf E-Mails, die für pharmazeutische Produkte warben – fast immer für angebliche Potenzmittel. Botnetze sind von Malware infizierte Rechner, die von Spammern dazu benutzt werden, ungeheure Massen von E-Mails zu versenden oder die sogar in der Lage sind, Schadsoftware nachzuladen, damit der betroffenen Computer übernommen und missbraucht werden kann, ohne dass dessen Besitzer das merkt. Die zentralen Kommandoserver, die Befehle versenden, stehen oft in Ländern, die beim Kampf gegen Spam nicht unbedingt die Avantgarde bilden – beim Grum-Botnet etwa in Russland und Panama.

Botnetze können nur existieren, weil Server im Internet schlecht gewartet werden, weil private Nutzer sich nicht für Sicherheit interessieren oder sich auf den trügerischen Schutz von Anti-Viren-Software verlassen, und weil viel Software in Umlauf gelangt, deren Quellcode nicht offen („Open Source“) ist – die eine nützliche Funktion verspricht, in die aber auch eine Spionage- oder Schadfunktion eingebaut worden ist. Da sich die meisten privaten Nutzer kaum für Technik interessieren, gehört es zu den Standard-Funktionen der Malware, den Virenscanner des betroffenen Rechners zu umgehen oder abzuschalten.

Wie viele Computer Teil eines Botnetzes sind, kann niemand genau sagen – die Verlautbarungen der Anti-Viren-Software-Lobby suggerieren, dass ein Fünftel aller Rechner im Internet angeblich schon befallen seien. Das Klappern gehört bekanntlich zum Handwerk. Nach Angaben von Vinton G. Cerf, einem der „Väter“ des Internet und „Google-Evangelist“, sollen es sogar ein Viertel aller Computer im Internet sein.

Die Sicherheitsfirma Symantec behauptete sogar, Cyberkriminalität wie Botnetze, Phishing-Attacken und der Versand trojanischer Pferde per E-Mail seien ein Exportschlager Deutschlands. Das kann an den im europäischen Durchschnitt schlechten oder gar nicht vorhandenen Internet-Kenntnissen der Nutzer liegen, an der hohen Verbreitung der für Malware-Attacken besondern empfänglichen mobilen Endgeräte wie Smartphones, und daran, dass so genannte „sozialen“ Netzwerke wie Facebook hierzulande beliebt sind. Diese sind indirekt besonders effektive Einfallstüre für schädliche Software, weil sie vom Nutzer verlagen und ihn dazu erziehen, die von Experten empfohlenen Sicherheits-Features – wie das Verbot „aktiver Inhalte“ – abzuschalten. Wer Datenspionage per default erlaubt, öffnet potentiell auch Einfallstore für bösartige Dateien, die den Rechner zum Teil eines Botnetzes machen können.

In den letzten Jahren häuften sich die Meldungen über „entscheidende Schläge“ gegen Botnetze – wie Srizbi, Rustock, Mega-D, Pushdo.A, Storm, and Waledac. Das Waladec-Botnetz sollte nach Angaben von Microsoft bis zu 1,5 Milliarden Spam-Mails täglich verschickt haben, das Rustock-Botnetz sogar bis zu rund 44,1 Milliarden. Obwohl diese Botnetze durch eine Kombination juristischer und technischer Aktionen lahmgelegt wurde, nahm die Zahl der unerwünschten Werbemails aber nicht signifikant ab.

Der Kampf gegen Spam ist ein Kampf gegen eine Hydra, die immer wieder nachwächst. Der Versand unerwünschter Werbung mit Hilfe eine Botnetzes ist ein erfolgreiches, effektives und kostengünstiges Geschäftsmodell. „Sie haben dreißig Trilliarden Dollar gewonnen – klicken sie hier!“ – „Ihr Konto wurde gesperrt und wenn sie nicht 100 Euro sofort überweisen, schalten wir ihren Rechner ab.“ Es gibt Leute, die tun alles, was man ihnen sagt. Da die menschliche Dummheit bekanntlich unendlich groß ist, wird es daher auch Botnetze unendlich lange geben.

Thor Steinar und die Blümchenshorts des Bösen

Aus aktuellem Anlass hier noch einmal ein vier Jahre alter Artikel von mir in der taz über das Modelabel „Thor Steinar“, das bei den Lichterkettenträger die gewohnt sinnfreien pawlowschen Reflexe auslöst. Wenn man sich politisch nicht mit bestimmten Dingen auseinandersetzen will, dann diskutiert man über die Kleiderordnung.

Seit einem halben Jahrzehnt verkauft die Firma MediaTex aus Königswusterhausen bei Berlin Textilien für die Dame, den Herrn und sogar für Kinder – eine ostdeutsche Erfolgsgeschichte. Die Symbole auf der Kleidung sind vielen Menschen jedoch ein Dorn im Auge, weil sie wie germanische Runen aussehen. Sie finden: „Da muss man doch was tun?“

An sich bedeuten diese Zeichen, die Tiwaz- oder die Gebo-Rune, allerdings erst einmal nichts: sie sind genauso „nordisch“ oder „völkisch“ wie blondes Haar oder blaue Augen. Es könnte aber sein, befürchten die runenkundigen Gegner der Marke, dass Neonazis sich dabei etwas Neonazistisches denken, wenn sie diese Textilien tragen, und sich gegenseitig daran als Neonazis erkennen. Das wiederum wäre nicht gut, will man doch den Faschisten keinen Fußbreit undsoweiter. Also muss man mahnen, warnen, sich empören, entlarven und mindestens mit Lichterketten werfen gegen Läden, die Thor-Steinar-Ware im Sortiment führen.

Filialen der einschlägigen Ladenkette Tonsberg in Leipzig, Magdeburg, Dresden und Berlin-Mitte stoßen bei Antifa-Gruppen wie braven Bürgern jedenfalls stets auf Protest. In mehreren Fußballstadien der neuen Bundesländer, im Bundestag und im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern ist es gar verboten, mit Kleidung dieses Labels aufzukreuzen. Ein Sweatshirt aus Königswusterhausen ist offenbar gefährlicher als ein Taschenmesser – das würde einem im Parlament nicht abgenommen.

Im Land, das den protestantischen Bildersturm erfunden hat, ist ein Kampf um Symbole in der Regel hoch emotionalisiert: er regt die Leute mehr auf als der Streit um politische Inhalte. Wer aber glaubt, dass Runen auf Hemden, Pullis und Jacken politisch „wirken“, der huldigt primitiver Magie. Er könnte genausogut an Gespenster glauben oder in eine katholische Messe gehen.

Völkerkundler wissen: ein beliebiges Zeichen beeinflusst die Gruppendynamik erst dann, wenn die Mitglieder sich a priori und oft unbewusst darauf verständigt haben, beim Anblick dieser Symbole etwas zu empfinden. Ein Baby sieht bei einem Hakenkreuz schwarze Striche, ein Inder ein Symbol für Glück. Und der Deutsche? Gehört er zu den sittlich Gefestigten, dann gruselt er sich, wie es sich moralisch gehört.

Nur zur Erinnerung – und weil auch in der taz schon das Gegenteil behauptet wurde: Die Marke Thor Steinar war nie verboten. Das Tragen der Kleidung ist nie rechtskräftig zum Strafttatbestand erklärt worden. Keines der vom Label benutzen Symbole ist verfassungsfeindlich. Über 200 Strafverfahren wurden wegen Thor Steinar angestrengt, alle wurden eingestellt. Der Verfassungsschutz hat nie behauptet, der Firma gehörten Rechtsextremisten an. So what?

Was sich eine Firma für eine erfolgreiche und teuren Werbekampagne wünscht, wurde dem Label durch seine Gegner gratis frei Haus geliefert: Mediale Aufmerksamkeit durch Proteste, Schärfung des Profils durch popkulturelles Geraune von „rechtem Schick“ und „Kultmarke“, dazu ein eigener Eintrag bei Wikipedia mit detaillierter Produktbeschreibung: „martialisch“, „Streetwear“ – so etwas weckt Neugier bei der potenziellen jugendlichen Kundschaft. Für Werbefachleute wäre Thor Steinar ein Leckerbissen. Hinzu kommt das Gütesiegel durch den Verfassungsschutz, Thor Steinar sei „identitätsstiftend“ für die rechte Szene, ein juristischer Persilschein und – am wichtigten, um für Underdogs attraktiv zu sein – das Hausverbot in Fußballstadien und Parlamenten.

Was will man mehr? Wer die Textilien von Thor Steinar erwirbt, der besitzt Kleidung, die es garantiert nie von der Stange und im Kaufhaus geben wird. Statt dessen macht sie den Träger – wie schon die klassischen Lieblingslabels der Skinheads, Fred Perry, Ben Sherman, Lonsdale oder Everlast, zum Mitglied einer Gruppe von Eingeweihten, die sich untereinander erkennen. Sie können sich fühlen wie Besitzer einer seltenen Automarke, die sich auf der Straße mit ihren Geführten zufällig begegnen und sich flüchtig grüßen, obwohl sie sich nicht kennen. Thor Steinar – da weiß man, was man hat. Das beflügelt den Verkauf.

Betrachtet man den Katalog von Thor Steinar, erstaunt eher, wie fantasielos die Produktpalette ist: Das Top „Turboelfe“ für „Mädels“ klingt wie ein Accessoire für Opel-Manta-Fahrer, „Shorts Sigrid“ nach dem Regal einer schwedischen Möbelfirma, und die wetterfeste Kleidung für Jungs besteht im wesentlichen aus aufgebrezelten Bomberjacken. Die Feinstrickpullis erscheinen wie eine Mischung aus Matrose gewollt, aber nicht gekonnt und einem Outfit für Hooligans im Seniorenheim. Ganz multikulti kommen die Badeshorts „Samoa“ und „Sansibar“ im Blümchenmuster (für Männer!) einher. Modebewusste Rechtsextremisten mit prallem Geldbeutel tragen offenbar kein Feinripp mehr: das lässt immerhin hoffen. Dann gibt es noch die Farbauswahl schwarz, weiß und rot. Ein Schelm, wer überhaupt was dabei denkt.

Zugegeben: wer sich an den Kampagnen gegen Thor Steinar beteiligt, der meint es meist gut. Doch in Wahrheit schlummert hinter der Antifa-Attitüde, eine clevere und politisch zynische Geschäftsidee mit Mitteln des Strafrechts oder gar mit Gewalt bekämpfen zu wollen, das typisch deutsche Obrigkeitsdenken, dem auch Linke und Lichterkettenträger allzugern immer wieder verfallen. Sie finden, der Staat müsse gegen das Böse – hier: Thor Steinar – hart durchgreifen. Melde gehorsamst: gefährliche Symbole entdeckt! Bitte Verbot durchführen!

Dabei dürfte sich auch bei der Räuber-und-Gendarm-Antifa herum gesprochen haben, dass eindeutig zweideutige Mimikri inzwischen auch zum Reportoire der ganz braunen Kameraden gehört. Ein Rassist und Antisemit kann, wenn er hip sein will, auch ein Che-Guevara-T-Shirt tragen, ein Pali-Tuch sowieso. Es gibt keine subkulturellen Zeichen mehr, die eindeutig für eine politische Idee stehen. Das ist auch gut so: Wer Symbole umdeutet, sie flexibel einsetzt, schwächt ihre Bedeutung im kulturellen Kontext. Es würde dem Ruf der Marke bei überzeugten Rechtsextremen eher schaden, wenn sie Normalos oder Linke trügen, als wenn man ihr den Nimbus des Besonderen zubilligte.

Thor Steinar ist in Sachen Mode, was die Böhsen Onkelz für die Musik sind: ein Angebot für den rechten Rand, für den „White Trash“ und alle Verlierer mit Trotzhaltung, aber auch für die nur gefühlt bösen Jungs, die am liebsten ihr Wohnzimmer mit deutscher Eiche ausstaffierten.

Wie sehen sich die Kunden von Thor Steinar selbst? Darauf gibt eine Umfrage auf der Website Auskunft: „Mit überwältigender Mehrheit stuften sich die Käufer der Marke als politisch uninteressiert oder in der Mitte der Gesellschaft befindlich ein.“ Was nichts anderes heißt als: wer Thor Steinar trägt, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit für rechtspopulistische Parolen empfänglich und steht politisch genau dort, wo Rassismus und Antisemitismus ihre stärksten Wurzeln haben: mittendrin in Deutschland.

Pornos machen das Netz schneller

Ein Artikel von mir in der taz: „Wer heute nur eine Stunde mit den am häufigsten benutzten Suchworten im Internet surft, bekommt mehr nackte Menschen zu sehen als die englische Königin Viktoria in ihrem ganzes Leben. Pornografie macht nicht nur einen großen Teil der Datenmenge aus, sondern ist auch der Motor des technischen Fortschritts. Von der Porno-Industrie im Internet lernen heißt siegen und Aufmerksamkeit erheischen lernen.“

Das Geschäft mit der Angst

Ein Kommentar von mir in der taz: „Das Geschäft mit der Angst (…) Eine Firma, die Anti-Virenprogramme programmiert und verkauft, entdeckt einen neuen Virus? Ach. Wer hätte das gedacht?“

Liquid Feedback – Dunning Kruger gefällt das

Ein Artikel von mir in Telepolis über Liquid Feedback: „Die Piratenpartei Berlin veranstaltete am Wochenende den 2. Liquid-Feedback-Thementag. Die Software LQFB ist die corporate identity und der Unique selling point der Partei.“

Wenn das letzte Gedicht verkauft ist

urheberrecht

Ein Kommentar von mir in der taz: „Wer das Urheberrecht antastet, tastet die heilige Kuh des Kapitalismus an. (…)

Darf man geistiges Eigentum verbreiten, auch wenn man nicht die Rechte daran hat? Je nach Perspektive fällt die Antwort sehr unterschiedlich aus. Vermutllich würden die Hopi heute weissagen: ‚Erst wenn das letzte Gedicht verscherbelt, das letzte Foto bei Getty Images, das letzte Buch in Verlagsbesitz und die letzten Filmrechte vergeben sind, werdet ihr merken, dass man Gedanken Anderer nicht verkaufen kann.'“

Runtergefahren

Ein Artikel von mir im Tagesspiegel: „Sie nennen sich „browsergamer“, „antifant“, „zensursula“, „semperfidelis“ oder „The Dude“. Wer die deutschen Sympathisanten der amorphen Protestbewegung „Anonymous“ im Internet verstehen will, muss sich mit der Folklore des Netzes vertraut machen. Nur so kann man die subtilen Anspielungen und indirekten Zitate verstehen, die sich auch in den gewählten Pseudonymen widerspiegeln.“ (mehr… )

Schlapphüte reloaded

Dieser Artikel von mir (pdf, 2,1 Mb) ist in der aktuellen Ausgabe von Nitro erschienen.

Der Verfassungsschutz kann nicht abgeschafft werden – seine Existenz fußt auf der Lebenslüge der Bundesrepublik. Trotz zahlloser Skandale brauchen und unterstützen die Medien den Inlands-Geheimdienst.

Die Deutschen lieben ihre Geheimdienste. Die Forschungsgruppe Wahlen fand in einer repräsentative Telefonumfrage im Auftrag des ZDF im November 2011 heraus: 54 Prozent der Befragten möchten den Geheimdienstagenten erlauben zu töten, wenn es um die Abwehr von Gefahren geht. Licence to kill für den BND, MAD und Verfassungsschutz also.

Heribert Prantl erkühnt sich in der Süddeutschen Zeitung (7./8.01.2012), den Verfassungsschutz grundsätzlich in Frage zu stellen, denn der Geheimdienst schütze die Verfassung nicht, er gefährde sie. Darauf kann man durchaus kommen, schließlich waren die für „Rechtsextremismus“ zuständigen Schlapphüte ein Jahrzehnt nicht in der Lage, die Nazi-Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) zu entlarven und ihr Einhalt zu gebieten. Viel schlimmer noch: Der Spiegel schrieb (31.12.2011), die Verfassungsschützer hätten bis 2011 sogar genau über die Aktionen der untergetauchten Neonazis Bescheid gewusst. Das gehe aus einem Geheimbericht vor, der dem Magazin vorliege.

Gleichzeit beobachteten aber fast genau so viele Mitarbeiter der Behörde Parteimitglieder der Linken – nach nicht nachvollziehbaren Kriterien, da sowohl Pragmatiker als auch wortradikale Retro-Kommunisten ins Visier gerieten und sogar mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht wurden.

Wer das aber aus guten und vernünftigen Gründen kritisiert, vergisst, dass Argumente diejenigen nicht überzeugen werden, die sich an der Existenz des Inlands-Geheimdienstes festklammern, als müssten sie sich vor dem weltanschaulichen Ertrinken retten. Der Verfassungsschutz ist die Inkarnation einer Geschichtsinterpretation, die behauptet, die labile Demokratie der Weimarer Republik sei zwischen den „Extremen“ von links und rechts zerrieben worden.

Der Verfassungsschutz ist die Inkarnation einer falschen Geschichtsinterpretation.

Diese These ist, obzwar falsch, immer noch der Konsens des politischen Selbstverständnisses der Bundesrepublik Deutschland. Wer diesen Konsens in Frage stellt, zwingt den diskursiven Mainstream, über die Wurzeln nachzudenken, woher rassistischer Terror und antisemitische Hetze stammen. Das aber ist nicht gewollt. Die Gefahr ist zu groß, dass auf einen kontroversen gesellschaftlichen Diskurs über die Frage „Was ist deutsch?“ zu viele völkische und in der Wolle dunkelbraun gefärbte Antworten zu hören wären.

Aus diesem ideologischen Schoß kroch die Totalitarismus-Doktrin, die von Extremismus spricht. Es gibt jedoch kaum ein Medium im Deutschland, das sich dieser propagandistischen Worthülse entzieht. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (30.01.2012) beginnt einen immerhin kritischen Artikel über den Verfassungsschutz folgendermaßen: „Was kann und soll ein Inlandsgeheimdienst?“ Dann aber kommt sofort die Gleichung Rot gleich Braun: „Und wer schützt uns künftig vor Extremisten?“ Ein CDU-Hinterbänkler würde noch hinzufügen: „von links und rechts“.

Das Magazin Focus (06.02.2012) ist in seiner Wortwahl deutlich: „Die linksmotivierte Gewalt hat nach einem Zeitungsbericht stark zugenommen. (…) Rechte Gewalttaten hätten nur unwesentlich abgenommen.“ Linksmotiviert und rechtsmotiviert: Man weiß zwar nicht mehr, um welche Inhalte es geht, aber der Totalitarismus-Doktrin ist Genüge getan: Die „Extremen“ sind das Problem, und um die kümmert sich bekanntlich der Verfassungsschutz. Die Süddeutsche zitiert (25.01.2012) genau diese „Argumentation“ des Innenministers: „Man müsse, so sagt Friedrich, die Linken auch deswegen beobachten, weil man sonst nicht begründen könne, Landtagsabgeordnete der NPD zu überwachen. Schließlich gelte der Gleichbehandlungsgrundsatz.“

Quod erat demonstrandum. Auch wenn man das „Heilige Einfalt“ nennt wie die Süddeutsche – den betonharten Diskurs der Totalitarismus-Theoretiker ficht das nicht an. Der „Extremismus“-Diskurs ist keine wissenschaftliche These, sondern ein fast religiöser Mythos, der der alten Bundesrepublik weltanschaulich ermöglichte, vom Kampf gegen den Bolschewismus der Nazi-Zeit bruchlos zum Antikommunismus des Kalten Krieges überzugehen, ohne erklären zu müssen, warum man das zum Teil mit demselben Personal machte – wie etwa dem Ex-Gestapo-Mann und SS-Hauptsturmführer Erich Wenger, der beim Bundesamt für Verfassungsschutz in der Abteilung „Spionage-Abwehr“ tätig war.

Die Medien zitieren den Verfassungsschutz gern, wenn es um „Rechtsextremismus“ geht. Das erspart eigene Recherchen.

Die Medien zitieren den Verfassungsschutz gern, wenn es um Rechtsextremismus geht. Das erspart eigene Recherchen und erweckt den Anschein, man berufe sich auf seriöse, quasi behördliche Quellen, auch wenn diese meistens weder nachgeprüft wurden noch seriös waren. Das widerspricht der Maxime seriöser Journalisten, etwas nur zu veröffentlichen, wenn es mindestens zwei unabhängige Quellen gibt. Die Behörde Verfassungsschutz betreibt aber Lobby-Arbeit in eigener Sache und ist also genauso „seriös“ wie die Pressestelle eines Unternehmens, das über sich selbst informiert.

Die Unsitte hat mit Geben und Nehmen zu tun: Journalisten, die einen guten Draht zu einzelnen Mitarbeitern des Geheimdienstes haben, können darauf hoffen, interessante Details zu erfahren – ohne recherchieren zu müssen. Im Gegenzug wird erwartet, dass die Thesen des Verfassungsschutzes ungeprüft in die Medien übernommen werden. „Der Verfassungsschutz warnt vor“ ist eine gebetsmühlenartige und gängige Floskel, die man tausendfach wiederfindet.

Immerhin hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung das Problem erkannt: Deutschland mache sich „zum Gespött“. „Der Verfassungsschutz mit seinem Bundesamt und seinen 16 Landesämtern ist ein Sonderweg der Bundesrepublik. Es ist ja die geheimdienstliche Beobachtung etwa der italienischen Kommunisten oder des französischen „Front National“ uns bisher nicht bekannt geworden, wir wüssten von keiner Behörde in den Nachbarländern, die über ihre Befunde zum Extremismus jährlich Bericht erstattete.“

Und was wäre die Konsequenz? Der Verfassungsschutz sollte ersatzlos aufgelöst werden. Niemand würde sein Fehlen bemerken. Nur müssten die Journalisten, die über Rassisten und Antisemiten berichten oder über Gewalttäter, die sich als „links“ verstehen, persönlich recherchieren. Und die Deutschen müsste darüber nachdenken, was zu tun sei, wenn man die Ränder der Gesellschaft als Symptom und nicht als die Ursache gesellschaftlicher Probleme ansieht.

Wer aber fordert, den Inlandgeheimdienst aufzulösen, denkt so illusionär wie jemand, der fordert, in Deutschland müssten Staat und Kirche getrennt werden oder der „Kampf gegen Drogen“ sei ein Irrweg.

Verfassungsschutz-Skandale in der Vergangenheit (Auswahl)

1954 Affäre John: Der erste Chef des Verfassungsschutzes flieht in die DDR. Otto John behauptet später, er sei entführt worden.

1963 Telefon-Affäre: Der Verfassungsschutz hört ein Kooperation mit den Alliierten unbefugt zahllose Telefonate mit, sogar von CDU-Abgeordneten.

1968/69 Peter Urbach – V-Mann und Agent Provocateur des Berliner Verfassungsschutzes – liefert Molotowcocktails an Studenten, Waffen für die terroristische Rote Armee Fraktion (RAF) und eine Bombe für einen Anschlag auf das jüdische Gemeindehaus.

1977 Das Kölner Bundesamt und das Innenministerium lassen Verfassungsschützer in das Haus des Physikers Klaus Traube einbrechen, um dort Wanzen anzubringen. Der Verfassungsschutz intrigiert bei Traubes Arbeitgeber Siemens; Traube wird entlassen. Der Spiegel titelt: „Verfassungsschutz bricht Verfassung“.

1983 offenbart sich in Berlin Werner Lock der Polizei, ebenfalls ein V-Mann. Er berichtet von einem konspirativen Treffen am 17. Juni 1977, bei dem Nazi-Terroristen der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ und der „Deutschen Aktionsgruppen“ des Manfred Roeder Absprachen für Anschläge und Überfälle getroffen hatten. Ein Zehntel der Anwesenden Nazis bei diesem Treffen waren V-Männer.

1983ff: Die Neonazi-Partei „Nationalistische Front“ wird 1983 mit Geldern aufgebaut, die der Verfassungsschutz dem V-Mann Norbert Schnelle zahlte, der sich nur zum Schein hatte anwerben lassen.

1985 bis 1987: Ludwig-Holger Pfahls wird er Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Pfahls hat später in mehreren Fällen Schmiergelder in Höhe von mehreren Millionen Mark angenommen. 1999 setze er sich ins Ausland ab und wurde mehrere Jahre steckbrieflich gesucht.

1992/1993 Der Solinger V-Mann Bernd Schmitt integriert Jugendliche in die rechte Szene und bildete sie in seiner Kampfsportschule aus. NRW-Innenminister Herbert Schnoor sagte, er sei mit der Arbeit des V-Mannes Schmitt „sehr zufrieden.“ 1993 werden in Solingen fünf Menschen ermordet. Drei der später für den Brandanschlag verurteilten Neonazis hatte in Schmitts Kampfsportschule trainiert.

2001ff. NPD-Verbotsverfahren: Die Verfahren werden vom Bundesverfassungsgericht am 18.März 2003 eingestellt, weil V-Leute des Verfassungsschutzes auch in der Führungsebene der Partei tätig sind.

2011 Nach Informationen der Berliner Zeitung haben Thüringer Landeskriminalamt und Verfassungsschutz bei ihren Fahndungen nach der terroristischen Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund gegeneinander gearbeitet. Der Verfassungsschutz räumte direkte Geldzahlungen an das Trio ein.

Just another mere IRC-Channel

Ein Artikel von mir auf taz online: „Neues Projekt in der Anonymous-Szene: Nur ein weiterer Chat-Kanal?“

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