Zocker Sarrazin oder: Men in black

sarrazin

Bild: Aufsichtsratsitzung der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG, Abbildung ähnlich)

Der Spiegel berichtet, dass Thilo Sarrazin als Aufsichtsrat der Berliner BVG in vier Minuten einem „Finanzgeschäft“ zustimmte, ohne es zu verstehen. Damit wurden 200 Millionen Dollar verzockt („Aus 7,8 Billionen Dollar Gewinn wurden 204 Millionen Dollar Verlust, mit denen die BVG für faule Kredite einstehen soll.“)

Original-Zitat von Andreas Sturmowski, dem ehemaligen BVG-Chef, über die J.P.Morgan-Investmentbanker, die in der Aufsichtsratsitzung auftauchten:
Die Menschen, die uns gegenübersaßen, hatten schwarze Anzüge an und dunkle Brillen, äh, was aber durchaus auf Seriösität schließen ließ.

Ich vermute, dass es bei Finanzthemen in der EU und allgemein in der Politik auch nicht anders zugeht. So sind „Volkswirte“ aka „Volkswirtschaftler“ eben.

Sarrazin kandidiert für Berliner FDP

Mir fällt grad kein Aprilscherz ein, aber der lustigste steht zweifellos im Tagesspiegel, und es wäre zu schön, um wahr zu sein: „Mit einem spektakulären Befreiungsschlag will die Berliner FDP aus dem Umfragetief herauskommen: Auf dem kommenden Landesparteitag soll Thilo Sarrazin als Spitzenkandidat für die Wahl im September nominiert werden.“

Frau Sarrazin und die Nationalpädagogik

Spiegel-Vorabmeldung: „Massive Vorwürfe gegen den Erziehungsstil von Ursula Sarrazin gibt es länger als bislang bekannt. So kam es im März 2009 zu einer Sammelbeschwerde von gut 50 Eltern. ‚Viele Kinder litten unter dem autoritären Lehrstil von Frau Sarrazin‘, sagt Ines Zimzinski, eine der Mütter, die das Schreiben bei der Schulaufsicht abgab. In der Beschwerde hieß es unter anderem, dass die Lehrerin ‚im Unterricht die Beherrschung verliert und die Kinder anschreit‘. Eltern eines japanisch-deutschen Jungen hatten sich außerdem beklagt, dass Sarrazin ihren Sohn wiederholt wie eine Automarke in ‚Suzuki‘ umtaufe. Dies geschehe ‚zum Teil unter dem Gelächter der Klassenkameraden, die ihn dann prompt auch so nennen‘.

Gleich zu gleich gesellt sich gern, weiß schon der Volksmund. Auf der Website der betreffenden Schule, an der Frau Sassazin lehrt, steht: „Wir orientieren uns dabei an großen Pädagogen, wie z.B. Herman Nohl, der den von ihm so genannten ‚Pädagogischen Bezug‘ zwischen Lehrendem und Lernenden als die Basis des Lernens bezeichnet hat.“ Wikipedia ist recht aufschlussreich: „Schon vor Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft waren Nohls Schriften geprägt von völkischem und rassistischem Gedankengut. So forderte er immer wieder eine ‚Nationalpädagogik‘, die der besonderen politischen Situation Deutschlands Rechnung trägt.“

Ich frage mich ernsthaft, wie doof eine Schulleitung und ein Kollegium sein müssen, ein positives Bekenntnis zu einem Rassisten und völkischen Pädagogen auf ihre Website zu stellen? Dann meinen die es erst mit ihrer Nationalpädagogik.

Warum Sarrazin nicht aus der SPD ausgeschlossen werden wird

Bei Partei- und Vereinsausschlüssen bin ich sozusagen unfreiwillig Experte. Im vergangenen Jahrzehnt hat der Deutsche Journalisten-Verband (DJV bzw. sein Berliner Landverband) schon vier Mal versucht, mich u.a. wegen allzu kritischer Äußerungen auszuschließen – jedes Mal erfolglos.

Bei Legal Tribune Online kann man nachlesen, warum der Ausschluss Sarrazins aus der SPD auch nicht funktionieren wird – wenn der sich wehrt und nicht einknickt.

„Die zentrale Norm ist § 10 Abs. 4 PartG: Ein Mitglied kann danach nur ausgeschlossen werden, wenn es bestimmte Schutzgüter in qualifizierter Weise verletzt und dadurch für die Partei einen schweren Schaden verursacht. Schutzgüter sind die Satzung, die Grundsätze und die Ordnung der Partei. Der Satzungsbegriff entspricht demjenigen des sonstigen Vereinsrechts. Mit Ordnung sind alle Verhaltensregeln gemeint, die eingehalten werden müssen, damit eine Partei funktionieren kann.“

Vereins- und Parteifunktionäre neigen dazu, die jeweilige Organisation als ihr persönliches Eigentum zu betrachten und lästige Kritiker per Formalia loszuwerden. Dummerweise wehren sich die meisten nicht, weil sie nicht wissen, dass das deutsche Partei- und Vereinsrecht gegen einen Ausschluss hohe Hürden vorgesehen hat.

„Zuletzt muss der qualifizierte Verstoß einen schweren Schaden für die Partei verursachen.“ Den Nachweis vor Gericht zu erbringen wird dem Lichterketten-tragenden Parteivorstand der SPD wohl schwer fallen. Aber das sind ja Autisten – die Welt als Wille und Vorstellung ist per default gesetzt. Sarrazin und der SPD-Vorstand passen also gut zusammen. Man sollte das, was zusammengehört, nicht auseinanderreißen.

Sarrazin: Ossis sind dümmer als Wessis

Sarrazin no tiene cojones

Es ist doch immer wieder amüsant zu sehen, dass die dunkel- und hellbraunen Kameraden und solche, die es noch werden wollen, rechte (!) Jammerlappen sind. Ich bin bekanntlich ein Erzlinker, aber wenn ich sehe, dass ein Kackbrauner schon vor einer Lichterkette Reißaus nimmt, wünscht man sich Gegner, die härtere Eier haben als etwas Sarrazin, um das kubanisch zu formulieren. Weicheier!

Was lesen wir das bei Spiegel offline? „Er habe in den vergangenen 14 Tagen „massiven Druck“ gespürt, sagt er. „Das war für mich nicht einfach.“ Er habe sich überlegt: „Kann ich es mir leisten, mich mit der gesamten politischen Klasse in Deutschland und 70 Prozent der öffentlichen Meinung anzulegen?“ Die Antwort war nein. „Diese Situation hält auf Dauer keiner durch“, gesteht Sarrazin. „Schade“, ruft ein Mann im Publikum.“

Ich war nicht der Mann, der das gerufen hat und ich sympathisiere auch nicht mit Sarrazins abgegriffenen völkischen Sprechblasen. Er kann es sich nicht leisten, sich mit der öffentlichen Meinung anzulegen? Da kommen einem ja die Tränen! Das ist Feigheit vor dem Feind, Sarrazin! Außerdem hat er sein Schäflein doch ohnehin im Trockenen, und die verlogene mediale Hysterie wird ein Übriges tun, um genug Tantiemen in seine Tasche zu spülen, damit er den Rest seines Lebens auf der faulen Haut liegen und die „Junge“ Freiheit lesen und mit denen Fan Schönbohm Kaffee trinken kann.

„Der erste Termin seiner Lesereise in Hildesheim war aus Sicherheitsgründen abgesagt worden, auch beim Berliner Literaturfestival wurde er ausgeladen. In Potsdam hätte die Lesung ursprünglich an einem anderen Ort stattfinden sollen, doch auch dort knickten die Veranstalter ein.“

Ist das nun Hysterie? Ja, sie drehen alle durch. Fehlt nur noch, dass jemand das beliebte Stichwort „Kinderpornografie“ in den Saal ruft, um die Stimmung auf den Siedepunkt zu bringen. Passt nur irgendwie nicht zu Sarrazin.

Ich kann mich erinnern, dass ich irgendwann in den 90-er Jahren in Heidelberg aus „Im Griff der rechten Szene“ lesen musste und irgendein bescheuerter Nazi meinte, er müsse irgendeinem aufgeregten Lokaljournalisten ankündigen, man werde etwas gegen den Linken Schröder machen. Ich hatte daher den Sall voll mit mehreren hundert Leuten und sogar Polizeischutz. Dabei hätte ich den kackbraunen Kameraden doch gern selbst ins Gesicht gesagt, was ich von ihnen halte.

Wer Sarrazin jetzt auslädt, beweist doch nur, dass gar niemand über Einwanderer und die Deutschen, die sich dazu verhalten, diskutieren will. Feige Bande. Aber es war ja klar: Wenn man in dieser Soße rührt, kommt noch mehr Kackbraunes zum Vorschein, in allen so genannten Volksparteien inklusive den kleineren konservativen Parteien wie den Grünen. Davor haben sie alle Angst.

Also, Sarrazin, Butter bei die Fische: Was ist deutsch und warum?

Sarrazin: Öfter mal kalt duschen

girl

Laut sueddeutsche.de sagte Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin etwas zur derzeitigen Hartz-IV-Debatte. „Er verteidigte die geltenden Sätze und nannte sie ausreichend. Letztlich sei es keine Geldfrage, sondern eine Frage der Mentalität, des Wollens und der Einstellung. ‚Wo diese fehlt, hilft auch kein Geld, und wo diese da ist, ist das Geld gar nicht so wichtig.‘ Als Sparmöglichkeit nannte Sarrazin das Duschen: ‚Kalt duschen ist doch eh viel gesünder. Ein Warmduscher ist noch nie weit gekommen im Leben.'“

Kabale und Sarrazin zum vielleicht Letzten

Ich mag die FAZ nicht, aber zum Thema Sarrazin hat sie den besten Artikel von allen geschrieben: „Kabale unter Bundesbankern“. Gut ist der Artikel, weil er die Hintergründe erklärt. „Kabale“ bedeutet Intrige. Das weiß nur jemand, der Goethe, Schiller und das Feuilleton für’s gefühlte Bildungsgroßbürgertum liest.

„Weber hat getan, was er konnte, um öffentlichen Druck gegen Sarrazin aufzubauen, ihn zum Rücktritt zu pressen. Entlassen kann er ihn nämlich nicht. Da spielt man dann über Bande. Das Mittel ist die Skandalisierung, auf die sprungbereite Intoleranz öffentlicher Meinungsbildner ist in solchen Fällen unbedingt Verlass. Sie sind im Allgemeinen für die Meinungsfreiheit, aber im Einzelfall nie um Gründe verlegen, anderen das Maul zu verbieten.“

Sarrazin zum Vierten

Welt.de „In einer repräsentativen Emnid-Umfrage für die „Bild am Sonntag“ stimmten 51 Prozent der 501 Befragten Sarrazins Aussage zu, ein Großteil der arabischen und türkischen Einwanderer sei „weder integrationswillig noch integrationsfähig“. 39 Prozent der Befragten lehnten diese These ab. Nur Grünen-Wähler stimmen der Aussage mit 64 Prozent mehrheitlich nicht zu (Ja: 24 Prozent). Die größte Zustimmung gibt es mit 59 Prozent bei Unionswählern (Nein: 31 Prozent), gefolgt von Linke-Wählern, von denen 55 Prozent Sarrazins Ansicht teilen (Nein: 36 Prozent)“

Welt.de (Springer) verlinkt nicht auf bild.de (Springer). Nun, das ist deren Problem. Hier das Original: „Nur bei den Grünen-Wählern stößt Sarrazins These auf Ablehnung (Ja: 24 %; Nein: 64 %). Zustimmung kommt von den Anhängern von SPD (Ja: 50 %; Nein: 42 %), CDU/CSU (Ja: 59 %; Nein: 31 %), FDP (Ja: 54 %; Nein: 42 %) und der Linken (Ja: 55 %; Nein: 36 %). 69 Prozent der Bundesbürger finden sogar, es sei richtig, dass Sarrazin eine Debatte über Integration angestoßen hat. Nur 22 Prozent meinen, er hätte besser seinen Mund gehalten.“

CDU-Wähler sind mit denen der Linken am einigsten, wenn man „einig“ steigern könnte. Har har. Warum wohl?

Und warum kommt niemand bei Sarrazin auf das Nächstliegende – dass er die richtigen Probleme ganz richtig angesprochen hat, so, dass sich die Leute aufregen und anfangen nachzudenken, aber die falschen Schlüsse aus den Problemen gezogen und die falschen Lösungen angeboten hat?

Sarrazin zum Dritten

Ich empfehle ef-online („Volksverhetzung: Das hat Sarrazin wirklich gesagt“):mit der Original-Passage des umstrittenen Interviews:

„Man muss aufhören, von ‚den‘ Migranten zu reden. Wir müssen uns einmal die unterschiedlichen Migrantengruppen anschauen. Die Vietnamesen: Die Eltern können kaum Deutsch, verkaufen Zigaretten oder haben einen Kiosk. Die Vietnamesen der zweiten Generation haben dann durchweg bessere Schulnoten und höhere Abiturientenquoten als die Deutschen. Die Osteuropäer, Ukrainer, Weißrussen, Polen, Russen weisen tendenziell dasselbe Ergebnis auf. Sie sind integrationswillig, passen sich schnell an und haben überdurchschnittliche akademische Erfolge. Die Deutschrussen haben große Probleme in der ersten, teilweise auch der zweiten Generation, danach läuft es wie am Schnürchen, weil sie noch eine altdeutsche Arbeitsauffassung haben. Sobald die Sprachhindernisse weg sind, haben sie höhere Abiturienten- und Studentenanteile usw. als andere. Bei den Ostasiaten, Chinesen und Indern ist es dasselbe. Bei den Kerngruppen der Jugoslawen sieht man dann schon eher ‚türkische’ Probleme; absolut abfallend sind die türkische Gruppe und die Araber. Auch in der dritten Generation haben sehr viele keine vernünftigen Deutschkenntnisse, viele gar keinen Schulabschluss, und nur ein kleiner Teil schafft es bis zum Abitur. […] Je niedriger die Schicht, um so höher die Geburtenrate. Die Araber und Türken haben einen zwei- bis dreimal höheren Anteil an Geburten, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht. Große Teile sind weder integrationswillig noch integrationsfähig.“

Sehr lesenswert Gerda-Marie Schönfeld auf stern.de: „Sarrazin hat recht“:

„Seither ist Sarrazin der Muslim-Fresser schlechthin. Aber warum eigentlich? Der Mann hat – böse, aber zutreffend – nichts anderes formuliert als das, was im letzten Integrationsbericht der Bundesregierung und in einer Berliner Migrantenstudie steht: Von allen Einwanderern sind die Muslime am wenigsten integriert. 30 Prozent haben keinen Bildungsabschluss, das Abitur schaffen nur 14 Prozent. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Schon vor Jahren beklagte der deutsche Politologe Bassam Tibi, als Muslim in Syrien geboren, dass die islamische Integration in Europa komplett gescheitert sein. Die „europäische Leitkultur“, so Tibi, habe sich bei den eingewanderten Muslimen nicht durchsetzen können.“

Noch mal Sarrazin

Noch mal zu Sarrazin. Auch wenn ihr mich alle teert und federt: Ich finde den medialen Diskurs über Sarrazin reaktionärer als ihn selbst.

Spiegel „online“: „Bundesbanker, die mit dem Vorgang vertraut sind, drücken es so aus: Weber habe Sarrazin die Veröffentlichung „regelrecht verboten“. Sarrazin aber habe sich von Weber nicht „zensieren“ lassen wollen und den Text „unverändert“ in der dann veröffentlichten Fassung autorisiert. Seither ist der Streit eskaliert.“

Eben: Es geht mittlerweile um das Thema Zensur. Um nicht mehr und nicht weniger. Die Freiheit der Rede. Das muss man den Deutschen erklären, das ist was Ausländisches. Jeder, der Sarrazin zwingen will dem Mund zu halten, kann gleich Zensursula wählen. Der gesamte Diskurs ist so typisch deutsch („Parteiausschluss, jawoll, denn die Partei, die Partei, die hat immer recht), dass man schier erbrechen könne. Da sagt ein Banker etwas, was auf Stammtisch-Niveau ist, und alle regen sich auf. Warum eigentlich?

Und „Anti-Ausländer-Äußerungen“, wie es im Nachrichtenmagazin heißt? Das ist ein rassischer Diskurs – alle Einwanderer pauschal zu „Ausländern“ zu erklären. Mit Verlaub: Dazu habe ich schon 2003 etwas in der Jungle World geschrieben. Wer es etwas anspruchsvoller haben will, der lese den Gastbeitrag von Kien Nghi Ha in meinem alten Blog spiggel.de (22.03.2004): „Koloniale Migrationsdiskurse in der Gegenwart“.

Was erwartet man von Bankern? Linksliberales Getue? Paternalistisches Multikulti-Gefasel? Oder soll das Finanzkapital das Maul halten? Nein, ganz im Gegenteil – wie es in der Dreigroschenoper heißt: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“

Die Faz als Zentralorgan der gefühlten herrschenden Klasse schreibt: „Thilo Sarrazin ist beim Zurückkriechen kein Jota mehr souverän, oder gar Oberschicht. Nur noch einer, der um seinen Job Angst hat, wie viele andere da unten auch. Das ganze Drama erscheint mir wie eine dieser Gerichtsshows, in denen man Gangs und deren Unterschichtenverhalten gleichzeitig bestraft und vermittelt: Er kam als Sarrazin und ging als Unterschichten-Thilo.“ (via Don Alphonso)

Mir wäre es am liebsten, wenn Ackermann und Konsorten ganz offen zugäben, dass sie alle Linken am liebsten zusammenschießen würden, wenn die die Machtfrage stellen. Ich rege mich eher auf, dass nach dem Arbeitermörder und SPD-Mitglied Zörgiebel Straßen in Berlin benannt wurden.

Sarrazin über die Türken und Araber

Wieso kann ich mich über das, was der ehemalige Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin so alles sagt, nie richtig aufregen oder gar empören, sondern muss vielmehr schmunzeln? Spiegel Offline: „Sarrazins türkenfeindliche Tiraden lösen Entsetzen aus“. Entsetzen. Geht es nicht ein bisschen kleiner?

Spiegel Offline geruht uns keinen Link mitzuteilen, wo das Original-Interview mit Sarrazin nachzulesen ist – in der aktuellen Ausgabe der Kulturzeitschrift Lettre. Dort sagt Sarrazin:

„Es kamen die Achtundsechziger und alle, die Berlin eher als Lebensplattform suchten. Menschen, die gerne beruflich aktiv waren, wurden ersetzt durch solche, die gerne lebten. Dieser Austausch führte zu einer gewissen Stagnation. Berlin war immer hip und toll, barbusige Frauen im Tiergarten konnte man schon 1975 bestaunen.“

Leider, und das entschuldigt die linkfreien deutschen Medien zu einem Viertel, ist auf der Website von Lettre nur ein langer Teaser und nicht die interessanten Passagen. „Für besondere Empörung sorgen jetzt vor allem die despektierlichen Beschreibungen der ausländischen Bevölkerung der Stadt. Er müsse ’niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert‘, findet der Bundesbanker. „Das gilt für 70 Prozent der Türken und für neunzig Prozent der arabischen Bevölkerung.“

Und: „Sarrazin müsste also wissen, was er tut, wenn er über mehr als eine Seite lang seine Anschauungen zur Integrationspolitik darlegt. ‚Das klingt alles sehr stammtischnah‘, erklärt er denn auch einsichtig in dem Interview, behauptet aber: ‚Man kann das empirisch sehr sorgfältig nachzeichnen.'“

Bestimmt kann man das. Vermutlich hat Sarrazin auch Recht. Seine Schlussfolgerungen sind jedoch Stammtisch-Unfug. Ich amüsiere mich aber darüber, wie herrlich „politisch inkorrekt“ Sarrazin redet. Ihm ist es schnurzpiepegal, was andere über ihn denken. Find ick jut.

Man kann es sich vorstellen: Journalisten rufen Berufsbetroffene und -immigranten und Personen an, deren Vorfahren irgendwann eingewandert sind und die deshalb in Neusprech einen „Migrationshintergrund“ haben (welcher Deutsche hat den nicht?). Frage: „Sarrazin hat gesagt, Einwanderer aus arabischen Ländern und der Türkei hätten eine höhere Geburtenrate. Wie finden sie das?“ Genau: Alle sind empört, entsetzt und betroffen. Wahr bleibt es trotzdem. Also atmet mal entspannt aus.

Avatare sehen dich nicht an, revisited

avatar

Mein Avatar sitzt da im Hintergrund und lacht sich vermutlich kaputt. Vielleicht stellt er sich vor, diesen Screenshot auf „sozialen Medien“ veröffentlichen zu wollen. Ich hatte heute wenig Zeit:

– Erdbeertorte essen.

– Den Rechner entsnappen und den neuen alten Browser synaptisieren und neu einrichten (der hat natürlich alle Passwörter vergessen, was nervt).

– Die uralte Mutter besuchen und darüber staunen, dass der Vermieter eine kaputte Heizung nicht sofort reparieren lässt, sondern einer 96-Jährigen stattdessen ein Päckchen mit Heizdecken schickt (nein, er heißt nicht Sarrazin). Meine Schwester, die mir, wie nicht anders zu erwarten, gewissermaßen ähnelt, aber zusätzlich noch mit der Attitude einer Schuldirektorin ausgestattet ist, kümmert sich drum – sie ist schon einmal von einer Security aus einer Rettungsstelle geworfen worden, weil sie nie nachgibt und, falls jemand ihr dumm kommt, noch mehr motiviert ist, das vorher Gesagte nachdrücklicher zu wiederholen.

– Mit Freunden zum Essen treffen.

– Ivrit lernen und wiederholen.

– Morgen muss ich um 4.20 Uhr aufstehen.

Was sonst noch…

das leben ist schön

Ich müsste die letzten drei Tage aufbereiten, welche Miszellen die Weltläufte an mich herantrugen…

Ich hatte schon gefühlt zehn Dutzend Male angemerkt, dass es äußerst schwierig ist, jemanden aus einer Partei oder einem Verein auszuschließen. Mit nicht mehr erklärbarer Dummdreistigkeit ignorieren fast alle Journalisten diese Tatsache, sei es bei Thema Sarrazin oder jetzt beim Nazi Andreas Kalbitz. Wenn Nazis Nazis ausschließen, sollte man feixend danebenstehen, und, wie zu erwarten, ist die AfD sogar zu blöde, den Mitgliedsantrag Kalbitzens zu finden. Den brauchen sie aber dringend, um vor Gericht zu beweisen, dass er eventuell falsche Angaben gemacht hat.

Ich schrieb hier vor zehn Jahren:
„Die zentrale Norm ist § 10 Abs. 4 PartG: Ein Mitglied kann danach nur ausgeschlossen werden, wenn es bestimmte Schutzgüter in qualifizierter Weise verletzt und dadurch für die Partei einen schweren Schaden verursacht. Schutzgüter sind die Satzung, die Grundsätze und die Ordnung der Partei. Der Satzungsbegriff entspricht demjenigen des sonstigen Vereinsrechts. Mit Ordnung sind alle Verhaltensregeln gemeint, die eingehalten werden müssen, damit eine Partei funktionieren kann.“

Vereins- und Parteifunktionäre neigen dazu, die jeweilige Organisation als ihr persönliches Eigentum zu betrachten und lästige Kritiker per Formalia loszuwerden. Dummerweise wehren sich die meisten nicht, weil sie nicht wissen, dass das deutsche Partei- und Vereinsrecht gegen einen Ausschluss hohe Hürden vorgesehen hat.

„Zuletzt muss der qualifizierte Verstoß einen schweren Schaden für die Partei verursachen.“ Den Nachweis vor Gericht zu erbringen wird dem Lichterketten-tragenden Parteivorstand der [Parteinamen bitte selbst ausfüllen] wohl schwer fallen. Aber das sind ja Autisten – die Welt als Wille und Vorstellung ist per default gesetzt. [Name des auszuschließenden Mitglieds bitte selbst ausfüllen] und der [Parteinamen bitte selbst ausfüllen]-Vorstand passen also gut zusammen. Man sollte das, was zusammengehört, nicht auseinanderreißen.

Wenn Kalbitz vor Gericht zöge, wäre er bald wieder Mitglied.

future
1962 an Italian magazine described what the world would look like in 2022.

Jetzt haben wir noch das deutsche Antisemitenpack. Die Süddeutsche berichtet:
Am Montag haben 377 Wissenschaftler und Künstler aus 30 Ländern ein Schreiben veröffentlicht, in dem sie sich gegen „politische Einmischung“ verwehren, die darauf abzielt, „Befürworter*innen der völkerrechtlich garantierten Rechte von Palästinenser*innen zum Schweigen zu bringen“.

Gendersternchen! Da weiß man, was man bekommt. Ich sehe da einen Zusammenhang.

Ein Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung haut dem kamerunischen Philosophen und Historiker Achille Mbembe dessen Statements um die Ohren: „Es ist, Entschuldigung, einfach lächerlich, wenn er so tut, als sei es üble Nachrede, ihn mit BDS in Verbindung zu bringen.“

Die Besetzung Palästinas ist der größte moralische Skandal unserer Zeit, eine der entmenschlichsten Prüfungen des Jahrhunderts, in das wir gerade eingetreten sind, und der größte Feigheitsakt des letzten halben Jahrhunderts.
Und da sie nur bereit sind, einen Kampf bis zum Ende anzubieten, sind sie bereit, den ganzen Weg zu gehen – Gemetzel, Zerstörung, schrittweise Ausrottung -, und es ist Zeit für globale Isolation. (Mbembe ‚On Palestine‘, 2015)

Wer so etwas sagt, ist Antisemit, und ein dummer dazu. Ganz einfach. Ich halte alle Unterzeichner dieser ominösen Erklärung auch für Antisemiten. Ich hätte Lust, nach den Deutschen auf der Liste einzeln zu googeln, aber es ist Sonntag, ich brauche mehr Kaffee und habe besseres zu tun, als mich mit Pappnasen zu beschäftigen.

Simone Seguin

Zur Erholung möchte ich auf die Biografie Simone Seguins aufmerksam machen.
Simone Segouin, mostly known by her codename, Nicole Minet, was only 18 when the Germans invaded. Her first act of rebellion was to steal a bicycle from a German military administration, slicing the tires of all of the other bikes and motorcycles so they couldn’t pursue her. She found a pocket of the Resistance and joined the fight, using the stolen bike to deliver messages between Resistance groups.

She was an extremely fast learner and quickly became an expert at tactics and explosives. She led teams of Resistance fighters to capture German troops, set traps, and sabotage German equipment. As the war dragged on, her deeds escalated to derailing German trains, blocking roads, and blowing up bridges, helping to create a German-free path to help the Allied forces retake France from the inside. She was never caught.

Segouin was present at the liberation of Chartres on August 23, 1944, and then the liberation of Paris two days later. She was promoted to lieutenant and awarded several medals, including the Croix de Guerre.

After the war, she studied medicine and became a pediatric nurse. She is still going strong, and this October (2020) will turn 95.

haushaltsübliche menge

Noch etwas: Der Schockwellenreiter schreibt über digitale Keilschrifttafeln. Der Nachruf der Süddeutschen über Rolf Hochhuth ist lesenswert. Ebenso die NZZ über Boris Palmer und die opportunistische deutsche Journaille. Wer noch nicht genug hat, sollte bei Hal Faber weiterlesen.

Moralisierende Selbstgerechtigkeit und die Religiotisierung

identitaetspolitik

Klaus von Dohnanyi verteidigt in der Süddeutschen Thilo Sarrazin. Der Artikel ist lehrreich, nicht, weil ich mit den Thesen übereinstimmte, sondern weil man die Argumente des politischen Gegners widerlegen sollte, falls es sich nicht um bloße Vorurteile handelt, was in diesem Fall strittig ist, die bekanntlich jeder Vernunft trotzen, ganz gleich, welches Argument man vorbrächte.

Richtig ist, dass der öffentliche Diskurs aka die Mainstream- und die so genannten „sozialen Medien“ nur selten, wenn überhaupt, das Für und Wider abwägen, sondern meistens danach trachten, das nicht Erwünschte in eine Schublade zu packen, womit das Thema zwar nicht vom Tisch, aber erledigt zu sein scheint. Die Berliner Morgenpost zitierte den ehemaligen ARD-Journalisten Joachim Wagner: „Beim Thema Zuwanderung hat unsere Gesellschaft ihre Dialog- und Streitfähigkeit in weiten Teilen verloren. Die Bereitschaft, andere Meinungen überhaupt zu hören, erodiert. Nach einer Allensbach-Umfrage haben ja 71 Prozent der Menschen den Eindruck, man kann sich nur mit Vorsicht zur Flüchtlingsthematik äußern. Das hat zwei Ursachen: Es gibt eine moralisierende Selbstgerechtigkeit auf der links-grünen Seite, aber auch im kirchlichen Milieu – diese dominiert die Debatte in der medialen Öffentlichkeit. Und es gibt die Hetze auf dem rechten Rand. In der Mitte regiert die Sprachlosigkeit, aus Angst in die rechte Ecke gestellt zu werden.“

Was auch immer von solchen Umfragen zu halten sei: „Moralisierende Selbstgerechtigkeit“ beschreibt das, was ich meine korrekt: Politik wird von den Mittelschichten durch Moral ersetzt, bei welchem Thema auch immer – das enthebt einen der unbequemen Frage, ob der Kapitalismus an sich zu kritisieren sei, was zwangweise die Machtfrage auf die Bühne bringt, oder nur seine Auswüchse Risiken und Nebenwirkungen, etwa das Klima, Genderfragen oder das Finanzkapital.

Wagner sagt: „Von allen Migrantengruppen schneiden die Schüler mit türkischem und arabischem Hintergrund nach allen Bildungsvergleichen am schlechtesten ab. Das hängt mit dem sozioökonomischen Status der Bevölkerungsgruppen zusammen, aber auch mit dem teilweise mangelnden Bildungsehrgeiz.“

Ist diese These nun Sarrazinismus? Klaus von Dohnanyi: „Sarrazins Behauptung, dass es besondere, kulturelle Eigenschaften von Volksgruppen gibt, kann heute niemand mehr mit Sachkenntnis bestreiten. Die amerikanische Enzyklopädie der Sozialwissenschaften nennt das social race: „soziale Rasse“. Sarrazin sieht nun bei Teilen islamischer Gruppen eine Ablehnung der Integration und darin Gefahren für unsere Bildungs- und Leistungsgesellschaft.“

Hier geraten wir in die Nähe des reaktionären „Multikulti“-Begriffs des „grünen“ Milieus: „Kultur“ ist nie (in Worten: überhaupt nicht) eine Eigenschaft von Menschen, und schon gar nicht von „Volksgruppen“. Kultur ist immer ein Projekt und kann sich jederzeit ändern. Natürlich gibt es Traditionen und kollektive Gewohnheiten, die sind aber selbst wieder schon das Resultat, warum und wie man sich der Gesellschaft angepasst hat oder nicht.

Race is a “social concept, not a scientific one” claimed geneticist J. Craig Venter following the discovery that humans share 99.9% of the same genetic code irrespective of our skin color.

Das widerlegt IMHO Dohnanyi und Sarrazin sowieso, weil letzterer dumm und biologisch, also rassistisch daherfaselt. Und noch mehr gilt das matürlich für das Konzept der „Rasse“ beim Homo sapiens. (Daraus folgt: „Racism is a Social Product of Race“. Und es wundert überhaut nicht, dass es für den Eintrag Race and society kein deutsches Wikipedia-Pendant gibt.)

Richtig ist, dass große Teile des Einwanderer-Milieus, dazu gehören auch Deutschtürken, sich nicht mit der Gesellschaft, in der sie leben, identifizieren. Warum wählen Deutsche türkischer Herkunft den Diktator Erdogan?

Die Araber“ stimmt vielleicht, wenn man nur die Sprache meint, im Detail wird das aber kompliziert.
Eine Studie hat gezeigt, dass die durchweg höchsten Leistungen im Leseverständnis als auch in naturwissenschaftlichen Kompetenzen die Kinder erreichen, deren beide Eltern in Deutschland geboren wurden. Signifikant niedriger fallen die Leistungen aus, wenn ein Elternteil im Ausland geboren wurde und die niedrigsten Werte haben Kinder, deren beide Eltern nicht in Deutschland geboren wurden (IGLU-Studie). (…) Viele hier lebende „Araber“ sind beispielsweise Kurden, sie kommen zwar möglicherweise aus einem Land, in dem die Amtssprache arabisch ist, ihre eigentliche Muttersprache ist jedoch kurdisch. Auch sind nicht alle Araber Muslime.

In der Neue Zürcher Zeitung argumentiert Kacem El Ghazzali – wohltuend ohne Hyperventilation – unter der Überschrift: „Ich kritisierte den politischen Islam und die Identitätspolitik. Und plötzlich galt ich als «rechts». Warum eigentlich?“

Auch hier schimmert „Multikulti“ durch: Die Verehrung höherer Wesen gilt im grünen Milieu als „Kultur“ und muss deshalb verteidigt werden. Ich erinnere daran, dass Ströbele einen islamischen Feiertag forderte.

Zum Thema muss man nur eine Presseerklärung der Aleviten lesen (nicht mehr online, von 2009): „Die Dominanz und das Selbstbewusstsein, mit dem der politische Islam in Deutschland eine Form der Religiösität in den Mittelpunkt der Gesellschaft rückt, der in seiner Ausprägung mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht vereinbar ist, verängstigt nicht nur alevitische Mitbürgerinnen und Mitbürger in Deutschland zunehmend. (…) Dieses Urteil (das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 29.09.2009 (AZ.: VG 3 A 984.07), wonach einem muslimischen Schüler das Recht eingeräumt wurde, einmal täglich sein Gebet in der Schule verrichten zu dürfen) ist die Fortführung einer befremdlichen Tradition der deutschen Justiz. Das betäubungslose Schächten von Tieren, die Teilnahme am Schwimmunterricht im Burkini, Kinder die Jihad heißen sowie Frauen, die mit Verweis auf die Scharia keine Härtefallscheidung von prügelnden muslimischen Ehemännern bekommen. All das hat den Segen der freiheitlich demokratischen Justiz in Deutschland. Dieses Maß an Liberalität bei Entscheidungen deutscher Gerichte in Bezug auf den Islam vermissen wir in Entscheidungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit z.B. in ausländer- und asylrechtlichen Entscheidungen“.

Wahrscheinlich würden die gefühlten „Linken“, die die Hijabisierung glauben verteidigen zu müssen, auch die Aleviten als „Rechte“ beschimpfen (wenn sie wissen, was Aleviten sind).

Einen hab ich noch. Der Deutschlandfunk zitiert französische Islamwissenschafter (!), darunter den hier oft lobend erwähnten Gilles Kepel.
Gilles Kepel, der schon in den 90er Jahren die Entstehung eines originären Islam in Frankreich diagnostizierte, spricht von einem Kulturkampf, der sich heute in Frankreich abspielt:

„Es ist ein Kulturkampf zwischen denen, die unsere muslimischen Mitbürger mit ihrer salafistischen Vision in Geiselhaft nehmen, eine Vision, die direkt zum Dschihad gegen die Ungläubigen führt – und auf der anderen Seite jenen, die daran glauben, dass es in der französischen Gesellschaft für alle Menschen, unabhängig von ihrem Glauben, den gleichen Platz gibt, nach dem Prinzip der Laizität.“

Darum geht es: Soll der Staat weltlich (laizistisch) sein – oder nicht? Deutschland ist nicht säkular, solange Staat und Kirchen nicht getrennt werden, solange der Staat die Kirchensteuer einzieht, solange Religionsunterrricht in den Schulen stattfindet, solange die Kirchen in Rundfunkräten sitzen und vieles andere mehr.

Sorry, der Text ist viel zu lang, aber mir kam so manches in den Sinn…

Error 403

Nein, sehr geehrte Schiedskommission der SPD: Was „rechtens“ ist, bestimmt immer noch die Justiz, nicht eine Partei.

Nicht, dass ich irgendwelche Sympathien für Sarrazin hätte, aber wenn er sich dagegen wehrte, bliebe er Mitglied. Das so genannte „parteischädigende Verhalten“, was ihm vermutlich zum Vorwurf gemacht wird, muss nachgewiesen werden, und da geht es nicht um Gefühle, sondern um nachweisbare Fakten.

Wer hat uns verraten, revisited

berliner senat

Thilo Sarrazin hat als SPD-Finanzsenator 2004 die GSW mit 65.000 Wohnungen und Gewerbeeinheiten verschleudert. Die Käufer waren so genannte Heuschrecken.

Die Whitehall-Fonds der US-amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs umfassen ein Investitionsvolumen von rund 66 Mrd. US$. Sie haben im Immobilienbereich 11,9 Mrd. US$ Eigenkapital in ca. 17.000 Projekte investiert. Der Großteil des Vermögens der Whitehall-Fonds wird von der Archon-Gruppe verwaltet, einer hundertprozentigen Tochter von Goldman Sachs. Archon Deutschland verwaltet ein Vermögen von 397 Mio. €. Die US-amerikanische Fondsgesellschaft Cerberus und ihre Töchter verwalten Investmentfonds mit einem Vermögen von mehr als 13 Mrd. US$. Die Fonds konzentrieren sich u.a. auf den Immobilienmarkt, allein in den USA werden zurzeit mehr als 200.000 Wohneinheiten gemanagt. (Aus der damaligen Presseerklärung der Berliner Senats)

Jetzt soll ein Teil der Wohnungen zurückgekauft werden:
Konkret geht es um rund 50.000 Wohnungen, damals vom rot-roten Senat unter Klaus Wowereit für 405 Millionen Euro verkauft. Im Schnitt 8000 Euro pro Wohnung. Heute gibt die Deutsche Wohnen den Buchwert mit etwa 7 Milliarden Euro an, fast das 17-fache! Der Konzern hat Bereitschaft signalisiert, bei etwaigen Verkäufen das Land Berlin als Käufer zu bevorzugen. Es wäre ein gutes Geschäft – für die Deutsche Wohnen.

Wer hat damals verhandelt – ausser Wowereit und Sarrazin? Die PDS war damals mit an der Regierung – also die heutige Partei „Die Linke“. Was für Heuchler!

Und raus bist du (nicht)

Die SPD will schon wieder Sarrazin rauswerfen. Falls er sich juristisch wehrt, wird das nicht gelingen. Eine Partei ist wie ein Verein: „Vereinsschädigendes Verhalten“, das in den meisten Satzungen als Grund für einen Ausschluss genannt wird, wird von den Gerichten, wenn diese dann angerufen werden, nur müde belächelt. Die „Geschädigten“, hier die SPD, müssen den Schaden nachweisen – es geht nicht um einen gefühlten Schaden. Darauf bin ich gespannt.

Das Landgericht Bremen hat 2015 aber ein Urteil gefällt, von dem man denken könnte, die bisherige Praxis werde in Frage gestellt. Merksätze:

Der satzungsmäßig vorgesehene vereinsinterne Rechtsbehelf wurde vorliegend ausgeschöpft, so dass die staatliche Gerichtsbarkeit angerufen werden kann. Wichtig: Erst dann können ordentliche Gerichte angerufen werden.

Vereinsrechtliche Disziplinarmaßnahmen sind nur einer beschränkten Kontrolle durch die staatlichen Gerichte unterworfen, die sich darauf erstreckt, ob die verhängte Maßnahme eine Stütze im Gesetz oder in der Satzung hat, ob das satzungsmäßige Verfahren beachtet worden ist, sonst keine Satzungsverstöße vorgekommen sind und ob die Maßnahme nicht grob unbillig oder willkürlich ist (vgl. BGHZ 87, 337 [Tz. 19]; 102, 265 [Tz. 15]; BGH, NJW 1997, S. 3368).

In Respektierung dieses Selbstbestimmungsrechts überprüft die Rechtsprechung Ausschlussentscheidungen dieser Vereine nur auf Gesetzwidrigkeit, grobe Unbilligkeit oder Willkür. Eine strengere Kontrolle vereinrechtlicher Sanktionen findet dagegen bei sogenannten Monopolverbänden statt, d.h. Vereinigungen, die einem Aufnahmezwang unterliegen. Merke: Weder ein Berufsverband (von denen es fast immer mehrere zur Auswahl gibt) noch eine Partei sind Monopolverbände.

Vielmehr ist die Vereinigung kraft der auch ihr zustehenden Privatautonomie grundsätzlich frei bei der Festlegung der Voraussetzungen für den Erwerb der Mitgliedschaft; auch wenn die satzungsmäßigen Voraussetzungen für eine Aufnahme erfüllt sind, kann sie in der Regel frei entscheiden, ob sie einen Mitgliedschaftsbewerber aufnehmen will, Merke: Hier geht es aber um die Aufnahme, nicht aber um den Ausschluss. Wenn erst jemand Mitglied ist, wird es schwer, ihn wieder loszuwerden. In dem hier zitierten Verfahren hat der Kläger, ein NPD-Mitglied, auch versäumt, sich im vereinsinternen Ausschlussverfahren zu äußern. Dumm, dümmer, NPD, wie gehabt.

In der Satzung der SPD heisst es in Paragraf 35:
Auf Ausschluss kann nur erkannt werden, wenn das Mitglied vorsätzlich gegen die Statuten oder erheblich gegen die Grundsätze oder die Ordnung der Partei verstoßen hat und dadurch schwerer Schaden für die Partei entstanden ist.

Merke: Weise a) den Vorsatz bei Sarrazin juristisch nach. Weise b) den schweren Schaden juristisch nach.

Also: Vergesst es.

Sorry, mir macht es Spaß, das Kleingedruckte zu lesen. Man hat vor mehr als einem Jahrzehnt vier Mal versucht, mich aus dem DJV zu werfen – es ist immer gescheitert. Dafür bin ich jetzt Experte dafür, erfolgreiche Ausschlussanträge zu stellen.

Zornige alte weiße Männer in unbeliebten Bademänteln

selfie

Grandioser und gut geschriebener Artikel von Hilmar Klute in der Zeit über den Kolumnisten Harald Martenstein: „Es sind aufgeregte Zeiten, in denen Männer nicht zu wissen glauben, was sie sagen dürfen“. Für mich stimmt das natürlich nicht, aber vielleicht ja für andere Männer. Mein Beileid.

„Anfang der Fünfzigerjahre geboren, Arbeiterhaushalt, Dosenravioli und keine Bücher im elterlichen Wohnzimmer. Da muss man nicht, aber da kann man natürlich Kommunist werden, in die DKP eintreten, das hat Martenstein gemacht.“ Alles stimmt bei mir auch, ausser natürlich das mit der DKP. Ich suchte damals etwas Radikaleres.

Harald Martenstein und Deniz Yücel sind für mich großartige Journalisten, so wie es sein müsste, die besten Schreiber, die Deutschland hat. (Das Foto oben zeigt natürlich nicht Martenstein, dessen Bademantel ist weiß.)

Ransom Polizeiarbeit: Das Geld geht immer nach Russland

Der mutmaßliche Entwickler des Bundes BKA-GriechenTrojaners sei in Neuseeland Dubai festgenommen worden, meldet Heise.

Die Polizei hatte Daten aller Europäer auf Vorrat gespeichert ganz normal und gründlich ermittelt. „Weltweit seien laut spanischer Polizei DAUs mit offener digitaler Hose „Millionen Rechner“ von einem Naturereignis, das sich installiermichbitte.exe nannte, befallen infiziert worden.

„Die den Spaniern ins Netz gegangene Gruppe, bestehend aus sechs russischen, zwei ukrainischen und zwei georgischen Staatsbürgern habe mit dem Trojaner jährlich etwa eine Million Euro gesammelt.“ Ach, und ich dachte die wären aus Nigeria Mali?!

By the way, Heise, in diesem grauslichen Satz fehlt ein Komma nach „Staatsbürgern“, und ausserdem sollte man den zerhacken, damit verständliches Deutsch dabei herauskäme.

„Staatsbürger“ ist Polizeijargon, wenn eben dieselben etwas Böses getan haben, worum es hier geht. Oder denkt ihr, man diskrimierte die Russen, weil es auch Georgier mit russischen Pass gibt bzw. umgekehrt? Nun gut: Nur in Deutschland sollte man eine Ausnahme erlauben, weil der Deutsche an sich denkt, dass alle Neger Afrikaner und alle Einwanderer „Ausländer“ und alle Israelis Juden seien – da sollte man, wenn es eine Rolle spielt, sagen: Das Nazi-Arschloch war Sachse stammte aus dem Beitrittsgebiet Der Vorsitzende der FDP sieht asiatisch aus ist – wie auch der französische Hugenotte Sarrazin – deutscher Staatsbürger.

Die kriminelle Gruppe bestand aus Russen, Ukrainern und Georgiern. Sie hatte mit dem Griechen dem trojanischen Pferd der Malware dem schädlichen Programm jährlich etwa eine Million Euro gesammelt.

Nein, ich bin noch immer nicht zufrieden. „Bestehen aus“ – das hört sich doch scheußlich an. Das Ganze besteht aus der Summe der Teile – das machte nur Sinn, wenn es Hegel oder Euklid ein Mathematiker sagte. „Die Gruppe besteht aus“ klingt schon sehr stark nach seinem sehr hellen Schimmel, wenn man den sprachlichen Erbsenzähler-Modus per default eingeschaltet hat. Die Leser lesen nach „bestand aus“ nicht mehr weiter, weil eine Gruppe immer aus etwas besteht. Was das Publikum schon weiß, muss man – wenn es um Journalismus geht – nicht sagen, weil es sich sonst langweilt.

Die Cyberkriminellen Kriminellen sind Russen, Ukrainern und Georgier und hatten haben (das Plusquamperfekt wäre nur angebracht, wenn die Bösen ihre Staatsbürgerschaft schon verloren hätten) mit dem Griechen dem trojanischen Pferd der Malware dem schädlichen Programm jährlich etwa eine Million Euro gesammelt. Die Kohlen gingen aber nach Russland.

Nächste Einträge →