Argentinien: Die Hedgefonds haben sich verzockt

Ich habe viele Jahre damit verbracht, den Journalismus und die intellektuelle Korruption, die von ihm ausgeht, mit ganzer Seelenkraft zu verabscheuen. (Karl Kraus)

Ich schrob am 08.08.2012 („Wertpapiere, oder: Banken im Kapitalismus, revisited“):

„Kurzes Intermezzo: Wie war das mit dem Staatsbankrott Argentiniens 2002?
Am Höhepunkt der Krise (Mitte 2002) stieg die Armutsrate auf 57 %, die Arbeitslosenrate erreichte 23 %. (…) Eine Privatisierungswelle Anfang der 90er Jahre, bei der viele Staatsbetriebe zum Teil unter Wert verkauft wurden, führte dazu, dass weite Teile der argentinischen Wirtschaft vom Ausland abhängig wurden. Dies machte das Land anfällig für Spekulation und Kapitalflucht, ein Phänomen, das Ende 2001 maßgeblich zur Bankenkrise beitrug.“

Übrigens: Griechenland wird zur Zeit dazugezwungen, alle Staatsbetriebe zum Teil weit unter Wert zu privatisieren. Kommt das irgendjemandem jetzt bekannt vor?

Im Jahr 2004 wurden den Vertretungen der Gläubiger mehrmals Vorschläge unterbreitet, die einen Kapitalschnitt von 75%, später 65% vorsahen. Sie stießen zunächst besonders bei den ausländischen Gläubigern, die mehr als 55% des Schuldenvolumens reklamieren, allgemein auf Ablehnung und trübten auch Argentiniens Verhältnis mit dem IWF. Durch mehrere diplomatische Missionen gelang es jedoch Argentinien, die meisten Gläubigergruppen zu überzeugen, Widerstand gab es bis zum Ende noch von den deutschen und vor allem von den italienischen Gläubigern.

Die Währung Argentiniens wurde nach dem Staatsbankrott gegenüber dem Dollar extrem abgewertet. Aber: „Das Wachstum in Argentinien blieb seit Mitte des Jahres 2003 stetig hoch. Dieses Wirtschaftswachstum kann vor allem durch die positiven Erfolge der Abwertung begründet werden.“

Abwertung = Wirtschaftswachsum. Alles klar soweit? Puls und Atmung noch normal?“

Es war nicht anders zu erwarten, wie die deutschen Mainstream-Medien titeln würden: „Argentinien zockt sich in den Staatsbankrott“ und „Das südamerikanische Land ist ein fiskalischer Serientäter“ (Welt online). Die Fakten werden zwar aufgezählt, aber suggestiv bewertet. Dazu bietet uns Welt online die umwerfende Erkenntnis an: „Pleiten erfolgen meistens in Wellen entlang historischer Ereignisse wie Kriege, Revolutionen oder globaler Wirtschaftskrisen.“ Ach.

America21.de eröffent mit der Schlagzeile: „Argentinien beugt sich Hedgefonds nicht“. Das ist korrekt. Im Artikel auf Welt online steht das weit unten:
Denn das Land hat durchaus noch genügend Geld, um die Gläubiger zu bedienen. Die Währungsreserven betragen knapp 30 Milliarden Dollar – genug, um die Pleite abzuwenden.
Die Regierung in Buenos Aires hatte sich geweigert, den Hedgefonds die von einem New Yorker Gericht zugesprochenen 1,33 Milliarden Dollar plus Zinsen auszuzahlen. Die Hedgefonds hatten die Anleihen mit einem kräftigen Preisnachlass erworben, einen Schuldenschnitt verweigert und dann auf volle Auszahlung geklagt. Der New Yorker Richter hatte geurteilt, dass ohne die Lösung dieses Konflikt [sic] auch die Besitzer der restlichen Anleihen nicht bedient werden dürfen.

Das nenne ich nicht „verzockt“, sondern vernünftig entschieden. Verzockt haben sich die Hedgefonds.

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Kommentare

6 Kommentare zu “Argentinien: Die Hedgefonds haben sich verzockt”

  1. Horst Horstmann am Juli 31st, 2014 1:33 pm

    Der Link unter „die Hedgefonds“ funzt nicht.

  2. admin am Juli 31st, 2014 1:39 pm

    Danke für den Hinweis. Ist repariert.

  3. Nina Tabai am August 1st, 2014 4:17 pm

    Argentinien hatte doch gar keine andere Wahl, dabei ging es schließlich nicht „nur“ um die 500 Millionen mehr, die Paul Singer für seinen Geierfonds herausholen wollte, sondern um die reale Gefahr, damit die Box der Pandora zu öffnen:

    Die Nachforderung jener der 70% Schulden, welche die restlichen 97% der Gläubiger seinerzeit beim Deal mit den Argentiniern abgeschrieben haben. Dabei geht es um zweistellige Milliardensummen.

    Wer darüber nicht berichtet, hat sich als Journalist einfach disqualifizert und sollte direkt zu einer PR-Agentur oder Think Tank wechseln. Dort gibt es ohnehin mehr zu verdienen.

  4. Lemmy Caution am August 1st, 2014 10:11 pm

    viel, viel Unsinn zu dieser Argentiniens-Beziehungen-zu-den-Internationalen-Finanzmärkten Krise.
    Blog de Abel läuft zu Hochform auf. Dieser Link kommt aus dieser Schatztruhe jenes alten denkenden links-peronistischen Bürgers der Stadt Buenos Aires. Nehmt euch die Zeit und lest das Ding.
    https://medium.com/@felixsalmon/the-griefault-trade-ebdc2c62aead

  5. admin am August 1st, 2014 10:28 pm

    Abel ist schon länger hier in der Blogroll.

  6. Lemmy Caution am August 4th, 2014 6:22 am

    Etwas im Wohnzimmerschrank stehen zu haben und es wahrzunehmen können 2 unterschiedliche Dinge sein.

    Abel ist zumindest ein Linker, der sich auf die Komplexität dieses Falles einlässt. Ein sehr rares Gut.

    Ein paar Beispiele:
    FR faselt davon, dass Argentinien durch einen Default Zugang zum Internationalen Kapitalmarkt verlieren könnten… Dabei haben die seit 2002 keinen wirklichen Zugang zum Internationalen Kapitalmarkt … weil Zinsen von 13% und mehr keinen wirklichen Zugang bedeuten … wie willst Du 13% Rendite aus Staatsprojekten erwirtschaften? … und die letzten 10 Jahre waren nicht die schlechtesten für die Argentinier … eben ohne diesen Zugang.

    Dieses Wochenende verhandelte offenbar ein Konsortium mehrerer Großbanken mit den Singer-Fonds, damit die Kupon-Zahlungen der Gläubiger, die seit 2005 den Schuldenschnitt akzeptiert haben, weiterbezahlt werden. Im Konsortium JP Morgan, Citibank, Deutsche Bank. Natürlich nicht aus Sympathie, sondern damit die Geldflüsse der Schuldenschnitt-Akzeptierer weiterlaufen und weil default einfach ein notwendiges Werkzeug für Staatsfinanzen bleiben sollte. Auch gibt es eine Aufforderung verschiedener namenhafter Ökonomen – darunter Dani Rodrik und Robert Solow – an den US-Kongress sich einzuschalten.

    Die Singer-Fonds scheinen so etwas wie eine politische Agenda zu haben. Wenn es denen „nur“ um viel Geld ginge, hätten sie vielleicht schon dem Vorschlag der Argentinischen Banken letzte Woche zustimmen können. Wenn sie jetzt auch mit den Internationalen Großbanken zu keiner Einigung kommen, bewerte ich das als Tea Party Terrorismus.

    Für die deutschen und italienischen Anlegern, die dem Schuldenschnitt zunächst nicht zugestimmt haben, befanden sich afaik ausschliesslich Agenten von Kleinanlegern, die mit diesen Anlagen etwa ihre Rente finanzierten. Ich hab ja selbst anlagen-gebundene Rürup-Rente und ich ärger mich auch, wenn die fallen.
    Finde aber nicht, dass diese Rentensparer im Recht wären. Wer auf solche hochriskanten Anlagen wie Argentinische Schuldtitel unter der Menem-Regierung setzt, muss mit sowas leben. Auch wenn der Schuldenschnitt von 2005 nach dem Recht, unter dem diese Schuldtitel ausgegeben wurden, nicht gedeckt ist. Es war aber eine gute Lösung, angesichts der Lage 2002/03 in Argentinien scheisslegal wies rechtlich war.

    Die Nicht-Berücksichtigung dieser vielen, vielen Details befördert nur die Demagogie. Dies macht aber einen Diskurs über das wichtige Thema wie Staatsschulden praktisch unmöglich.

    Sehr gut im weiteren Zusammenhang übrigens der Dokumentationsfilm über einen Investmentbanker, der auspackt, vom letzten Dienstag (29.7.) in der ARD. Sollte noch von der Mediathek downloadbar sein. Nicht rezipiert vom deutschen Polit-Blogging.

    Letztlich geht es um diese Frage: Welche Finanzierung bietet unser westliches Finanzsystem Schwellenländern zur Entwicklung von Sozialsystemen, wirtschaftlicher Entwicklung, Bildung an?
    Der Singer-Fall ist ein weiteres Beispiel dafür, dass wir vor einem totalen Desaster stehen. Chile stieg 1982 teilweise aus, indem es einfach unter der Diktatur das Rentensystem zu einer inländischen Zwangsspar-Institution für einfache Leute machte, mit deren Mitteln inländische Investitionen finanziert werden konnten. Ergebnis war eine gewisse Autonomie von den Internationalen Finanzmärkten … und desaströse Renten für 90% der Bevölkerung. Bestimmt keine Lösung.

    Ich verfolge Argentinische Finanzpolitik ziemlich genau seit Studentenzeiten Mitte der 90er. D.h. ich kenn auch noch die Papers etwa des Kieler Instituts der Weltwirtschaft aus der Zeit, als die Schulden aufgehäuft wurden. Oder die des IWF. Sehr interessantes Archiv-Material für ein paar Fragen an Wissenschaftler, btw.
    Hatte sehr viel später auch die Möglichkeit Investment-Banking ein wenig von innen kennenzulernen. Gehörten kurz zu meinen IT-Kunden. Vor der Finanzkrise und sehr kurz. Aber mit meinem ökonomischen background war mir da nach sehr kurzer Zeit klar, dass die eine Gefahr für die Menschheit darstellen. Deshalb bekämpfen, aber macht eure Hausaufgaben.

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