Der 20. Juli, die Anleger und die Vorteile einer guten öffentlichen Präsentation

spitzeder

„Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt. Die Tausenden von Gefangenen werden unserer Landwirtschaft recht gut tun. In Deutschland sind sie sicher gut zu gebrauchen, arbeitsam, willig und genügsam.“ (Claus Schenk Graf von Stauffenberg)

Nein, das wird kein Beitrag über die Operation Walküre am 20. Juli 1944. Ich kann mich mit dem damaligen „Widerstand“ à la Stauffenberg auch nicht identifizieren. Wenn überhaupt, dann nur mit Georg Elser.

Der angeblich weiße Elefant Abul Abbas, der am 20. Juli 802 auftauchte, war mir bisher unbekannt, auch der Zusammenhang mit Karl May. Kennen die Ossis bzw. die Mitbürgerinnen und Mitbürger aus dem Beitrittsgebiet eigentlich Hadschi Halef Omar? Gehört das bzw. der zum Bildungskanon? Vielleicht kann man sich darauf einigen, dass wenigstens Sitting Bull bekannt sein sollte, der am 20. Juli 1881 gegenüber der US-Armee kapitulierte.

Am 20. Juli 1905 begann in Deutsch-Ostafrika der Maji-Maji-Aufstand. Es würde mich schon interessieren, in welchen Schul-Geschichtsbüchern (gibt es das überhaupt noch?) der erwähnt wird – und wie. Aus der Zeit des deutschen Kolonialismus und der brutalen Unterdrückung des afrikanischen Widerstands (Auspeitschungen, Freiheitsentzug, Zwangsarbeit, Raub, Konfiszierung des Viehs, Vergewaltigung, Taktik der verbrannten Erde) stammt der affirmative Begriff „Schutztruppe„, der – aus vergleichbaren Gründen – von deutschen Medien heutzutage benutzt wird, wenn die Handelswege am Hindukusch und auch anderswo geschützt werden müssen. Es hat sich nicht viel verändert.

Man könnte auch etwas über das aktuelle Thema Polnisch-Sowjetischer Krieg schreiben, oder über den 20. Juli 1974, an dem die Türkei den Nordteil Zyperns einfach besetzte (ich kann mir schon vorstellen, was in den türkischen Schulbüchern steht). Und natürlich sollte man den Satz kennen: „The Eagle has landed.“

Am interessantesten fand ich aber den 20. Juli 1873: „Adele Spitzeder wird zu drei Jahren Zuchthaus wegen betrügerischen Bankrotts mit ihrer Dachauer Volksbank verurteilt. Durch hohe Zinsversprechen hat sie in einem Schneeballsystem mehr als 30.000 Einleger geschädigt. (…) Spitzeder wusste um die Vorteile einer guten öffentlichen Präsentation; sie bestach mehrere Redakteure mit bis zu fünfstelligen Guldenbeträgen für ein positives Presseecho.“

Spitzeders System, die Leute um ihr Geld zu brigen, demonstriert auf’s pädagogisch Wertvollste den quasi-religiösen Glauben der breiten Masse und der medialen Lautsprecher des Kapitals, Geld „arbeite“ und man könne es irgendwo „anlegen„, dann werde es schon mehr. Adele Spitzeder war in Wahrheit eine Geistliche des populären Kults, der sich um den Waren- und Geldfetisch dreht und der im Wirtschaftsteil fast aller deutschen Medien täglich fröhliche Urständ feiert.

Der „Federfuchser“ („ein Wanderer zwischen zwei Welten“) schreibt: Jeder Einleger erhielt sofort seine zwanzig Prozent als Zins für die ersten zwei Monate ausgehändigt, und die dritte Rate zu zehn Prozent wurde zum Kapital gebucht und weiter verzinst. Die Bücher konnten nicht genau geführt werden; denn an manchen Tagen gingen allein 100 000 Gulden in bar ein. Bargeld sammelte sich an, mit dem nichts anzufangen war. Es wurde teils ‚verlebt‘, teils von den Zinsen aufgezehrt. Sonst ging freilich alles nach Wunsch. Man machte ein Loch auf, um das andere zu schließen. Die Spitzeder gab mit vollen Händen aus und verschenkte oder stiftete auch viel. ‚Aus dem Volk für das Volk!‘ war über der Spitzederschen Volksküche am Platzl zu lesen. Hier wurde jeder um so billiges Geld verpflegt, dass Adele noch große Summen zuschießen musste. In der Schönfeldstraße erwarb sie ein eigenes Haus und bewohnte mit ihrer ‚bedenklichen‘ Freundin die sechs Zimmer im ersten Stock, die mit Kruzifixen, Heiligenbildern, ewigen Lampen und Hausaltären mehr als andächtig herausgeputzt waren. Sie hängte sich, für alle sichtbar, ein goldenes Kreuz um den Hals und ging fleißig in die Kirche, was von der Geistlichkeit durchaus gewürdigt wurde.

Der Dame sollte man ein Denkmal setzen, ihr die Ehrendoktorwürde in Volkswirtschaftlehre überreichen und die Ehrenmitgliedschaften der FDP und AfD.

image_pdfimage_print

Kommentare

2 Kommentare zu “Der 20. Juli, die Anleger und die Vorteile einer guten öffentlichen Präsentation”

  1. Andi am Juli 21st, 2014 11:51 am

    Um deine Frage zu beantworten: Karl May wurde im Osten sehr sehr viel gelesen (und im Fernsehen geschaut). Auch das Karl May Museum in Radebeul existierte schon zu Ostzeiten. Also ja, wenn jemand Hadschi Halef Omar kennt, dann Ossis ;-)

  2. Temnitzbiber am Juli 21st, 2014 9:50 pm

    In meiner Schulzeit (1965/77) war Karl May allerdings noch eine Unperson. Die Bücher wurden erst in den 1980ern verlegt, waren vorher offiziell verboten. Meine Klassenlehrerin bezeichnete die gar als „faschistisch“, weil ein deutscher Supermann im Mittelpunkt steht. Um ein Gegengewicht zu den May-verfilmungen im Westen zu haben, wurde eine ganze Reihe DEFA-Indianerfilme gedreht (mit dem berühmten Gojko Mitic in den Hauptrollen, der war immer der Gute – und ließ sich angeblich nie doubeln!). Diese hatten die erklärte Absicht, ein realistischeres Bild vom Leben und Kämpfen der nordamerikanischen Indianer zu geben. Ich finde die heute noch besser als die May-Filme, wo doch immer nur ein Superheld gewinnt. Naja, und Rothäute dieser Art, die gegen den gleichen Us-Imperialismus kämpften wie das „Volk Vietnams“, waren den Bonzen halt sympatischer. – Als May dann legal war, hat er mich nicht mehr interessiert. Icvh war inzwischen halt erwachsen und Besseres gewohnt.

Schreibe einen Kommentar