Snowpiercer oder: Wie man die Revolution nicht verfilmt

snowpiercerGestern habe ich mir den Film Snowpiercer angesehen. Fazit: Solides Action-Kino, hervorragendes und ästhetisch anspruchsvolles Ambiente, der Plot aber nicht herausragend, und der Schluss ist sehr unbefriedigend. Was will man von der Verfilmung eines französischen Comic-Strips („Le Transperceneige„) schon erwarten…

Immerhin bekam das „Road-Movie“ auf Schienen des koreanischen Regisseurs Bong Joon-ho eines der gößten Vorab-Komplimente, das man sich denken kann: Laut Tagesspiegel ist das „US-Kinopublikum zu dumm für den Film“.

Plot: Der Film spielt in einer postapokalyptischen Zukunft, in der ein misslungenes Experiment, das die globale Erwärmung stoppen sollte, eine Eiszeit nach sich zieht und fast alles Leben auf der Erde zerstört. Die einzigen Überlebenden der Menschheit sind auf engstem Raum im Snowpiercer zusammengepfercht, einem massiven Zug, der rund um den Planeten reist und durch ein Perpetuum mobile angetrieben wird.

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Im Zug herrscht von Anfang an ein Zweiklassensystem, wobei die Elite im vorderen Teil des Zuges im überschwänglichen Luxus lebt, während die ‚Schmarotzer‘ ihr erbärmliches Dasein ganz hinten fristen müssen. Der schlechten Lebensbedingungen überdrüssig, starten sie einen Aufstand und versuchen, die Kontrolle über die Maschine zu erlangen.“

Der Guardian rezensiert den Film ausführlich und vergleicht sehr klug: „Basically, this is the exact plot of Neill Blomkamp’s Elysium, but on a train and a bit cheaper looking. (…) To take down the aristocracy once and for all, they find Song Kang-ho, a noted security specialist. (…) The moral of Snowpiercer is that everyone should know their place. The end.“

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Ein klassischer Revolutions-Plot also. Wirklich? Wie es sich gehört, sieht sich der Anführer der Revoluzzer am Schluss vor das Problem gestellt, ob er nur den bösen Tyrannen ersetzen oder das System – metaphorisch: den Zug – verlassen will. So weit denkt noch nicht einmal die „Linke“ in Deutschland. Das Problem erinnerte mich an Bertolt Brechts Gleichnis des Buddha vom brennenden Haus: „Wem der Boden noch nicht so heiß ist, dass er ihn lieber Mit jedem andern vertausche, als dass er da bliebe, dem Habe ich nichts zu sagen“. Nur ist es hier nicht ein brennendes Haus, sondern eine genauso unwirtliche Eiswüste.

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Sehr hübsch auch eine „Schule“ im Zug, in der die Kinder auf das Lob des Systems („die Maschine“) und ihres Schöpfers indoktriniert werden. Man glaubt sich in eine Vorlesung der Volkswirtschaftslehre versetzt, in der der Freie Markt(TM) gepriesen und gelobhudelt wird. Das ist aber nicht neu, und von Goerge Orwell schon besser erzählt worden. Wer sich den Wirtschaftsteil der Mainstream-Medien und das Gefasel der Gesundbeter des Kapitalismus anschaut, kann auch gleich in die AfD eintreten oder die wählen.

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Leider stellt keiner der bisherigen Rezensenten die einzig interessante Frage: Wenn man das Thema Revolution behandelt, warum muss man dann ein „Science-Fiction“-Ambiente nehmen? Warum behandelt man nicht die realen Klassenkämpfe? Das müsste doch auch ähnlich unterhaltsam und mit genug Action zu machen sein?

Spontan dachte ich, dass die kapitalistische Unterhaltungsindustrie natürlich auch eine Teilmenge des Opium für’s Volk ist und somit dazu beitragen muss, dass die Untertanen das System an sich nicht in Frage stellen, sondern ihre Kritik auf die Charaktermasken des Kapitals | das Finanzkapital | die pöhsen Oligarchen richten. Andererseits muss die unterdrückte, aber unterschwellig vorhandene Sehnsucht, dass sich etwas ändere und die da unten zumindest theoretisch die Chance haben, weiter nach oben zu kommen, irgendwie bedient werden. Der „Förster im Silberwald“ (1954) und ähnlicher Schwachsinn reicht eben nicht mehr.

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Schon klar. Den Plot von Goldsborough als Action-Movie zu verfilmen, würde Hollywood nicht zulassen, und das hiesige Feuilleton würde darauf herumtrampeln, weil die politischen Konsequenzen verheerend wären: Wo kämen wir denn da hin, wenn im Kino der Kapitalismus die freie Marktwirtschaft(TM) nicht als Endlösung der Geschichte dargestellt würde? Und wenn dann noch die Revolutionäre, wie im „Snowpierce“, gewalttätig sind und die Bösen umbringen, muss die Zensur eingreifen der Jugendschutz derartige Machwerke unter den Ladentisch oder besser gleich in den Giftschrank verbannen. Das würden die Pfaffen und andere Gaucke nicht erlauben.

Es ist immer erhellender zu sehen, was nicht verfilmt wird.

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Kommentare

3 Kommentare zu “Snowpiercer oder: Wie man die Revolution nicht verfilmt”

  1. altautonomer am Mai 1st, 2014 3:50 pm

    Ein Krawallstreifen, der von Gewaltszenen und Klischees lebt. Klassen besser und sozialkritischer, trotzdem nicht weniger spannend fand ich „Assault on Wall Street“. Noch zu sehen auf kinoX.to.:-(

    http://www.n-tv.de/leute/film/Amoklauf-an-der-Wall-Street-Uwe-Boll-bricht-Hollywood-Tabu-article11433186.html

    Darin geht es auch um Rache. Danach hatte ich ein gutes Gefühl, während Snowpiecer eher so was wie ein cineastischer Mac-Burger für mich war.

  2. admin am Mai 3rd, 2014 12:00 pm

    „Dass am Ende scharf geschossen wird und sich Baxfords angesammelte Wut auf das Finanzsystem in einem Amoklauf entlädt, macht gierig auf mehr.“

    Das FINANZsystem ist nicht das Problem.

  3. neutronal am Oktober 14th, 2014 10:50 pm

    sehr unbefriedigender schluss? ich wage mal zu behaupten, daß weder du noch der altautonome snowpiercer verstanden hat.

    elysium war schlicht scheisse, no doubt bout that.

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