Soziales Konformitätsverlangen oder: Ist Currywurst links?

currywurst

Nach der Regel der Distanzierung vom physiologisch Ursprünglichen (bzw. der ‚Reinheitsregel‘) gilt, daß mit wachsendem Druck der sozialen Situation auf die an ihr beteiligten Personen das soziale Konformitätsverlangen dahin tendiert, sich durch die Forderung nach strikter Kontrolle der körperlichen Funktionen auszudrücken.*

„Das Wort vegan geht auf den Engländer Donald Watson zurück, der 1944 die Vegan Society gründete, eine Abspaltung der englischen Vegetarian Society (Vegetarier-Gesellschaft).“ Über Donald Watson lesen wir: „Zu welchem Zweck die Schweine dienten, erkannte er, als er sah, wie eines geschlachtet wurde – was sein Leben grundlegend veränderte. (…) Außerdem lehnte er jeglichen Konsum von Alkohol, Zigaretten oder anderen Suchtmitteln strikt ab.“

Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Veganismus ist eine Form der protestantischen Askese und politisch reaktionär, was viel über das Lebensgefühl der Pseudolinken hier in Deutschland aussagt, unter denen diese esoterische Religion zur Zeit grassiert.

„Askese“ ist ein komplizierter Begriff und natürlich nicht auf den Protestantismus beschränkt. Im Prinzip geht es um Magie: Man verzichtet auf etwas in dem Glauben, die Götter seien einem dann gewogen. Die Askese ist ethnologisch verwandt mit dem Opfer. Magisches Verhalten dient insbesondere dazu, eine Gruppe und ein soziales Milieu zu schaffen, dessen Mitglieder sich untereinander erkennen wollen, „ein Milieu, das (…) von anderen Milieus abgegrenzt und unterschieden werden soll. Streng genommen genügen eine einfache Haltung, ein Gemurmel, ein Wort, eine Geste oder ein Blick, um anzuzeigen, daß dieses Milieu vorliegt.“**

Es reicht also nicht, nur bestimmte Vorschriften zu beachten, was die Nahrung betrifft, sondern es geht um ein Lebensgefühl, das sich in jedem Detail der Attitude wiederspiegelt: Wer heutzutage vegan isst, mag auch Wursthaare, wird vermutlich kaum ein traditionelles Holzfällerhemd oder ein Kostüm tragen und weiß, was ein „Plenum“ (Latein!) ist.

Der Kapitalismus ist bekanntlich nicht in einer „Krise“, sondern die Krise ist ein Feature desselben: Die Armen sollen ärmer werden und die Reichen reicher, weil der tendenzielle (nicht der absolute!) Fall der Profitrate das Kapital in „konjunkturellen Schüben“ dazu zwingt, die Löhne zu senken, eine industrielle Reservearmee auf Vorrat zu halten, um das Proletariat zu disziplinieren, und sich neue Ressourcen und Märkte zu erobern, um die Profite zu garantieren.

Vegetarisch zu leben oder gar vegan, ist teuer. Die Armen können sich das gar nicht leisten. Ich meine nicht die relativ Armen in Deutschland, wo niemand verhungern muss, sondern die wirklich Armen in aller Welt, denen es nicht darum geht, die Nahrung als Teil der Attitude zu verstehen, mit der man ausdrücken will, gut zu sein, sondern die schlicht nichts zu fressen haben und sich sorgen müssen, dass sie nicht verhungern. Man isst das, was es gibt, weil man es sich nicht aussuchen kann. Um vegan zu essen, braucht man ein spezielles Geheimwissen, welche Nahrung woraus hergestellt ist. Bolivianische Bergleute kann man das nicht fragen – die essen eben Cuy und kauen Koka-Blätter.

Der Veganismus-Asketismus ist eine neue Form des Opium des Volkes, wie die Esoterik insgesamt: „Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist“.“ Man protestiert nicht gegen die Produktionsverhältnisse, sondern dagegen, wie Tiere behandelt werden, weil man sich Ersteres nicht traut.

Wer vegan isst, ist auch mit großer Wahrscheinlichkeit für „fairen“ Lohn und „fairen“ Handel, hat also von Ökonomie keine Ahnung.

Interessant ist es zu beobachten, dass dieser Lebenstil vor allem von Leuten gepflegt wird, die eben nicht arm sind, sondern priviligiert, von Studenten etwa, die besonders in Deutschland vorwiegend aus den bürgerlichen und sozial abgesicherten Schichten stammen. Diese Milieus haben etwas zu verlieren. Die Angst vor dem sozialen Abstieg führt bei denen eben nicht dazu, sich gegen die Verhältnisse zu empören, was auch dazu führen würde, dass sie ihre eigenen Privilegien verlören, sondern zum Zwang, sich innerhalb des Milieus konform zu verhalten. Wer meint, dass man sich an Regeln halten müsse, damit man auf der sicheren Seite sei, gehört weder der herrschenden Klasse an noch zu denen, die wirklich die Systemfrage stellen. Ich schrieb dazu 1998: Nur die Mittelschichten fordern von allen anderen, sich an Regeln zu halten, weil sie „Angst vor dem Absturz“ (Barbara Ehrenreich) haben. Wer aufsteigen will, muß die Werte der Gesellschaft verinnerlichen und sich selbst kontrollieren.

Iss vegan, kontrolliere dich selbst freiwillig beherrsche dich, und tue Gutes! Gib den Armen etwas und kümmere dich um Flüchtlinge (aber nicht um Alte, die in Heimen dahinvegetieren oder um Obdachlose – die sind nicht sexy genug, um Mitleid zu erregen)!

vegan

*Mary Douglas: „Ritual, Tabu und Körpersymbolik. Sozialanthropologische Studien in Industriegesellschaft und Stammeskultur. Frankfurt am Main 1974, S. 3 – eines der interessantesten und klügsten Bücher, das ich besitze.
**Marcel Mauss: Soziologie und Anthropologie Band I: Theorie der Magie – soziale Morphologie, München 1978, S. 83

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Kommentare

11 Kommentare zu “Soziales Konformitätsverlangen oder: Ist Currywurst links?”

  1. elvis am April 10th, 2014 9:20 pm

    Vegetarisch zu leben oder gar vegan, ist teuer. Die Armen können sich das gar nicht leisten. Ich meine nicht die relativ Armen in Deutschland, wo niemand verhungern muss, sondern die wirklich Armen in aller Welt, denen es nicht daru

    Das stimmt nicht Burks!
    Die in Indien, die Armen, die fressen vornehmlich vegetarisch. Einer meiner Verwandten hat dort auf einer SIEMENS Baustelle gearbeitet. Da waren auch Inder beschäftigt. Er hat Fotos von denen gemacht. Die waren mehr oder weniger in Lumpen gekleidet und wurden von Sub-Unternehmern bezahlt. Weil die da viel gebuddelt haben, wurden auch viele Löcher – also Rattenwohnungen – ausgebuddelt. Die haben sich die Inder gefangen. Ich meine die Ratten und zwar bevor die flüchten konnten – die Ratten. Danach wurden die auf einen Stock aufgespiesst und über Lagerfeuer gegrillt. Also mit Haaren und allem was eine Ratte so im Leib hat. Das haben die Inder tatsächlich gefressen. Soll aussehen wie Hähnchenfleisch. Mein Verwandter hat das bei einer Geburtstagsfeier erzählt. Das fanden die anwesenden Damen gar nicht lustig. Als er dann ein Video von einem dieser Grillfeste zeigen wollte, da war vielleicht was los. Naja, andere Länder andere Sitten. Aber wie gesagt, der normale Inder isst vegetarisch.

  2. Möchtegernburksinator am April 10th, 2014 11:40 pm

    Auch wenn ich wichtige Aspekte deiner Ansicht teile, ist mir deine Darstellung im Gesamten zu vereinfachend, zu binär, zu „burks like“.

    Ich gehe mit dir durchaus konform, dass Abgrenzung nach „unten“ eine wichtige Rolle bei vielen Veganern oder Vegetariern spielt. Man möchte etwa nicht zu jenen gehören, die nach einer Schicht am Fließband in der Bahn sitzend mit einem übel riechenden Schinkenbrötchen ihren Heißhunger stillen und bei den Mitfahrern Brechreize provozieren.

    Und es gibt aus meiner persönlichen Erfahrung durchaus eine Korrelation zwischen veganer Ernährung und Homöopathie, Waldorfbullshit, Tibetflaggen sowie Räucherstäbchen. Also dem Stuss, den du richtigerweise mit Esoterik betitelst. Das beschränkt sich übrigens nicht auf Deutschland, sondern mindestens auf große Teile Europas.

    So weit, so nachvollziehbar.

    Dann wirfst du bedauerlicherweise den Burksinator an, streust eine Prise Pseudoantikapitalismus, präseniler Ignoranz und eine Menge Unwissenheit über Landwirtschaft ein, und verschwurbelst das Ganze derart, dass am Ende wieder alles in dein schwarz-weißes Weltbild passt.

    Veganer / Vegetarierer = Kapitalisten = Böse und Fleischesser = Unterdrückte = Gute.

    „Es geht doch nichts über ein einfaches Weltbild. Wenn man weiß, wer der Feind ist, hat der Tag Struktur.“ (frei nach Pispers)

    Aus technischer Sicht ist meine Hauptkritik am vorherrschenden überzogenen Konsum von Fleisch – oder allgemeiner: Tierprodukten -, der immense Verbrauch von Öl, die dieses Form der Landwirtschaft benötigt.

    Das Futter für die Tiere wird wie wir wissen zu großen Teilen gar nicht dort angebaut, wo es gefressen wird, sondern um den halben Globus geschifft. Dazu kommt der riesige Ölverbrauch bei der Herstellung und Nutzung landwirtschaftlicher Fahrzeuge. Nicht zu vergessen seien die ölbasierten Pestizide.

    So, jetzt werfen wir mal den Burksinator an.

    Die Grundlage für den hohen Konsum von Tierprodukten liegt schlicht und ergreifend in der Ausbeutung der Menschen und ihrer Umwelt in ärmeren Teilen der Welt.

    Ausbeutung von Menschen, deren Vorfahren durch den Kolonialismus Schulden zugewiesen wurden, von denen aber nur ihre damaligen Herrscher profitierten und die jetzt zurückgezahlt werden sollen, ohne dass dies je möglich oder gewollt wäre (was beides das Gleiche bedeutet).

    Nur durch die Akzeptanz dieser Schuld, diesem kolonialistischen Verbrechen, dieser Sklaverei ist unser Fleisch so billig.

    Gäbe es diese historische Schuld nicht mehr und müssten wir unser Essen wieder hier anbauen, wäre dieser abartige Konsum aus rein natürlichen Bedingungen eingeschränkt.

    Wenn du also, Burks, vom Grunde auf Menschen, die sich kritisch mit diesem Problem auseinandersetzen und daraus für sie selber Konsequenzen ziehen, derart verunglimpfst wie oben, bist du den verhassten Kapitalisten näher als dir lieb ist.

    Und nein, ein Verzicht auf Einlösen dieser kolonialistischen Schulden ist natürlich nicht hinreichend für ein Ende der Ausbeutung, aber es ist dazu definitiv notwendig!

    Und nein, ich bin weder Vegetarier noch Veganer. Und ja, ich habe Jahre in der Landwirtschaft gearbeitet. Lass die Strohpuppe also im Keller.

  3. admin am April 11th, 2014 12:32 pm

    Gegen Vegetarier habe ich nichts. Indien bestätigt doch nur meine These, dass bestimmte Vorschriften, die nahrungsaufnahme betreffend, religiös sind (vgl. mit den jüdischen Speisegeboten).

    Der Mensch hat schon immer Fleisch gegessen. Dass unter kapitalistischen Umständen das forciert wird, ist unstrittig. Der Kapitalismus kann aber auch mit Veganismus klar kommen.

  4. 11. Blog-Freitag: 300 Clips, Cash und Red « ENDE DER AUSBAUSTRECKE am April 11th, 2014 4:48 pm

    […] zu ärgern – um der höheren Ziele willen, der Debatte nämlich – sei hier auf einen Beitrag von Burkhard Schröder hingewiesen, der mal ganz links argumentiert und trotzdem – oder gerade deshalb – von Veganismus überhaupt nichts hält. Kommentare […]

  5. Bill am April 12th, 2014 9:57 am

    der einleitende Satz trifft es. Der zunehmende Drang zur Selbstkasteiung (vegan/vegetarisch, Sport bis der Arzt kommt, kein Porno, keine Schokolade, keine Computergames etc.)
    ist der Versuch des sich immer nahe am Abrutschen in die Unterschicht befindlichen Mittelschichtlers durch Kontrolle seiner selbst die Illusion der Kontrolle der Lebensumstände zu erreichen.

  6. ernte23 am April 12th, 2014 4:28 pm

    Es kann also gar nicht sein, dass sich wer für Veganismus entscheidet, aber dennoch weiß, dass Verzicht allein nichts am Kapitalismus ändern wird?

    Die Tendenzen zu Esoterik oder Askese erkenne ich zwar ebenfalls, was eine allzu pauschale Verurteilung der „nur-noch-Gemüse-Leute“ trotzdem nicht rechtfertigt.

  7. ...der Trittbrettschreiber am April 12th, 2014 6:45 pm

    Burks, hast Du schon mal einer Sau in die Augen geschaut? Da fällt Dir die Religion wie Schuppen aus den Haaren – in diesem Blick gibt es nur Herz, Liebe und tiefste Gewissheit, dass das Universum freundlich sein will.

  8. Temnitzbiber am April 12th, 2014 10:41 pm

    Um die gleiche Menge Nahrungsstoff zu erzeugen, braucht der Viehzüchter die siebenfache Menge an Fläche wie der Ackerbauer und ein Mehrfaches an Zeit. Kartoffeln setzt man, düngt etwas und erntet sie, danach wird das Feld umgepflügt – und das wars. Die Tiere müssen täglich gefüttert, vetrerinär betreut werden, bis sie zum Schlachthof gebracht werden. Kostet auch viel Strom und Wasser. Viel mehr Aufwand! Ohne höhere Subventionen wäre Fleisch viel teurer als Feldfrüchte. Zudem haben die armen Menschen früher nur Sonntags Fleisch gegessen. Täglicher Fleischfraß war ein Privileg der Oberschichten. Das hatte nix mit Religion zu tun, sondern damit, wieweit die Produktivkräfte in der Landwirtschaft entwickelt waren. – Allerdings: Es gibt tatsächlich einen Trend, dass sich das umkehrt: Der Prolet frisst Billigfleisch aus den Massenhaltungen z.B. der Kolchosen(nachfolger) in der Sonderwirtschaftszone, und die Mittelschichten werden immer vegetarischer. Ist aber nicht schlecht, sondern auch gut für das Klima und die eigene Gesundheit. Bin morgens oft erschüttert, was für kleine Fleischberge sich da auf den Schulweg machen. Die werden nicht durchhalten bis zur Rente mit 67 oder so, sondern recht früh den Krankenkassen zur Last fallen.

  9. spaetburgunder am April 15th, 2014 9:57 am

    Vegetarisch teuer?! Quatsch. Ernähr Dich mal ein paar Wochen vegetarisch und zähl dann nach, was Du gespart hast. Allerdings: Kochen muss dann sein … wer es kann.

    PS: und diese Tatsache wird auch dadurch nicht unwahrer, dass Nicht-Fleisch-Essen teilweise zur Pseudoreligion erhoben wird (und auch „teuer“ zelebriert werden kann).

  10. Veganismus-Asketismus, reloaded : Burks' Blog am Mai 14th, 2014 10:15 am

    […] Meine These, dass es sich bei Veganismus-Asketismus um Religion handelt, wird jetzt von indonesischen Ethnologen bestätigt. […]

  11. Microimplants : Burks' Blog am Mai 20th, 2014 8:57 pm

    […] der ausschlägt, wenn jemand in meiner Umgebung etwas Religiöses und/oder Esoterisches (z.B. Veganismus-Asketismus) sagt. Mir stehen dann sofort die Haare zu […]

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