Ein Stück Rixdorfer Geschichte geht verloren

scatter the old world

Traurige Nachricht: Meine Stammkneipe schließt im Juni endgültig – das „Stumpfe Eck“ am Böhmischen Platz in Rixdorf, auch bekannt als Berlin-Neukölln. Die Vermieter des Hauses wollen dort auch keine Gastronomie mehr haben. Es bleibt uns also immerhin eine neue Veganerfraß-Neue-Mittelschichten-Bude erspart.

Neulich sagte mir jemand im im Red Lion (vgl. hier, auch in Laufweite), Leute mit Laptops seien dort nicht gewollt. Man sei ja kein Café. WLAN haben die dort auch nicht, aber einen Fratzenbuch-Eintrag. Nein, da muss ich nicht hin, auch wenn da nette Frauen herumlaufen. Dann schon lieber eine waschechte Rixdorfer Proletarierkneipe mit allem, was dazugehört – und 24 Stunden geöffnet. Nur auf die dämlichen Spielautomaten könnte man verzichten – aber die bringen wohl einen großen Teil der Miete rein.

Die Preise der „Stumpfen Ecks“ kann man auch nicht toppen: Ein großes Bier zwei Euro, und einen Glengrant für 2,50 – da zahle ich vermutlich in Charlottenburg das Doppelte. In Neukölln muss es so billig sein, sonst kommt eben niemand. Die Preise, die Studenten freiwillig zahlen, können Arbeiter eben nicht aufbringen. Die Klassenfrage spürt man auch beim Bier.

Die B-Lage wäre eine Alternative, aber die sind mir zu spießig und politically correct, der gefühlte linke Veganer-Mainstream tropft dort permanent von den Wänden. Außerdem spielen die fast immer extrem grauenhafte Techno-Mucke. Ich halte das „Linke“ dort nur für eine bequeme und zeitweilige Attitude der studentischen Gäste. An ihren Liedern sollt ihr sie erkennen…

Im „Stumpfen Eck“ gab es hingegen alles, und die Gäste konnten sich was wünschen, wenn die Tresenkraft guter Laune war. Man musste zwar ab und zu deutsche Schlager ertragen, aber dafür gab es hinreichend Hardrock, von Creedence Clearwater Revival (die Lieblings-Band meiner Jugendzeit) über die Rolling Stones bis ACDC und noch härteren Sachen. Auch Pink Floyd, Gary Moore und vergleichbare Ohrwürmer. Ich kann mich noch erinnern, als wir einmal im „Stumpfen Eck“ unter Freunden (ausschließlich Politik- und Computer-affine Leute) unter uns waren, früh am Morgen, dass wir uns die Brandenburgischen Konzerte gewünscht habe – und auch bekamen. Das hatte was.

image_pdfimage_print

Kommentare

5 Kommentare zu “Ein Stück Rixdorfer Geschichte geht verloren”

  1. Tom am März 29th, 2014 5:47 pm

    „Veganerfraß“ – wenn man wollte, könnte man bei dem doch sonst nicht gerade Mainstream-affinen Burks da etwas herauslesen. Wie wärs mit einer apostolischen Schädigung in Kindheit und Jugend?

  2. kynik am März 29th, 2014 7:58 pm

    was für ein alptraum schon wieder. ich verfolge hier im blog die einträge über das „stumpfe eck“ mit interesse und vergnügen und hatte mir auch vorgenommen beim nächsten berlin-aufenthalt die kneipe mal zu besuchen. leider sind meine berlin-trips nicht fest geplant und ob ich bis juni nochmal hinkomme ist fraglich.
    die kneipenkultur in diesem land, wie man sie kannte, geht dahin. *seufz*
    ich hoffe es gibt in rixdorf noch was vergleichbares und du wirst deinen bloglesern das auch mitteilen.

  3. Marianne am März 30th, 2014 10:13 am

    Finde ich nicht so schlimm. Eine Kneipe weniger wo sich Sexistenpack treffen tut.

  4. ...der Trittbrettschreiber am März 30th, 2014 11:08 pm

    Ich war einmal da, nett und urig.
    Wann immer man irgendetwas überlebt hat – es folgt die Frage: Was nun?

  5. Godwin am März 31st, 2014 10:31 am

    Wenn Heinz Sielmann doch noch leben würde:
    Der Lebensraum des gemeinen Linken wird mehr und mehr bedroht. Seine Art droht auszusterben. Seine natürlichen Feinde (Hipster, Schwaben, Studenten mit Geld etc.) rennovieren mehr und mehr die alten, halbzerfallenen Wohnviertel. Instandbesetzungen werden durch professionelle firmen unmöglich gemacht…
    (irgendwie sowas in der Art…) ^^

Schreibe einen Kommentar