Diese jämmerlichen Figuren

„…bis dann der PW [prisoner of war] sich endlich aufbäumt und ausruft: „Was wollen Sie eigentlich von mir? Was konnte ich denn tun! Ich bin doch nur ein kleiner Mann. (…)

Nur ein kleiner Mann. Das Kleine-Mann-Thema wird in den ganzen Krieg hindurch beschäftigen (…).Die kleinen Leute, die Armen, die Unterdrückten, sind ja seine Leute; mit ihnen hat er sich immer solidarisiert, denn er hat gewußt, welche Kraft sie sind, geeint: wer war es denn, der die Bastille stürmte und den Winterpalast, wenn nicht die kleinen Leute? Aber wo war nun das andere, das wahre Deutschland, von dem er geträumt und geredet und geschrieben hatte? Sollten es diese etwa gewesen sein, diese jämmerlichen Figuren, die immer nur gekuscht hatten und, nach eigenem Geständnis, in jedesmal eigenen Worten vor ihm abgelegt, nie auch nur auf den Gedanken gekommen waren, nach der eigegen inneren Überzeugung zu handeln, sich zusammenzutun, in den Betrieben, in der Armee, wo immer sie eine Macht hätten sein können, und wenigstens einen Versuch zu unternehmen zu Widerstand, Streiks, Meutereien, Sabotage: Nur ein kleiner Mann – das entband sie ihrer Verantwortung, als Einzelne, als Gruppe, als Nation. (…)

Es hat Jahre gedauert, und ich mußte erst wieder unter Deutschen leben, bis ich verstand (…) und bis ich die Manipulierbarkeit des Menschen durch den Menschen in ihrer ganzen Vielfalt begriff.“

(Stefan Heym in seiner Funktion als US-amerikanischer Offizier über die Vernehmung deutscher Kriegsgefangener 1944 in der Normandie, aus: „Nachruf„)

Sehr aktuelle Sätze…

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Kommentare

14 Kommentare zu “Diese jämmerlichen Figuren”

  1. .... der Trittbrettschreiber am Oktober 18th, 2013 10:58 am

    …und was lernen wir daraus – Blogwart?

  2. ninjaturkey am Oktober 18th, 2013 12:05 pm

    @Trittbrettschreiber: Wie wärs denn mal mit einer Haltung, einer unverrückbaren Grenze an der ein „Mit mir NICHT“ steht, oder klassisch ein „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“. Das wär schon mal ein guter Anfang.

  3. .... der Trittbrettschreiber am Oktober 18th, 2013 1:08 pm

    @ninjaturkey: Na was Martin so vollbracht hat, is‘ ja auch nicht so das Gelbe.
    Ich suche täglich den Hausmeister, Blockwart, Spießer, Feigling und andere Spezien meines Verhaltens zu beschwichtigen, nur im Sinne des Allgemeinwohls (um den Kantianern auch mal zu gefallen). Gebracht hat es bisher wenig.
    Wie ich mich im dritten Reich verhalten hätte?
    Ich weiß es nicht, große Klappe habe ich nur wenn es die Verfassung zulässt. Wenn ich dann ruhig gestellt werde, finde ich immer noch genug Argumente für den überlebenswichtigen Dissonanzausgleich: Schweigen ist Gold. Damit wäre ich wieder bei der Gier des kleinen Mannes.
    Also was, frage ich und vor allem wie lernen wir daraus? Meditation? Ommmm? Die andere Backe?
    Bin gespannt, Gandhi ;)

  4. bombjack am Oktober 18th, 2013 1:55 pm

    […] und wenigstens einen Versuch zu unternehmen zu Widerstand, Streiks, Meutereien, Sabotage[…]

    Keine Ahnung wo aufgeschappt, war u.U. der Spiegel:

    War Bericht über einen Transport zu Fuß Richtung KZ. Reichsdeutsche erdreisten sich den Häftlingen was zum Essen zuzustecken oder (weiß es nicht mehr so genau) protestierten gegen die Behandlung der Häftlinge durch die Bewacher.
    Hängen geblieben ist bei mir das Zitat: „Hör auf damit, ansonsten kannst Du gleich mitgehen.“

    Sorry, im Nachhinein tut man sich immer verdammt leicht die Klappe aufzureißen….GESTAPO, Stasi und Co. kommen ja nicht mehr….und noch mal sorry….auch wenn ich damit anecke, der Herr Heym hat da auch den leichteren Weg gewählt und sich 1933 dezent in die USA abgesetzt. Schön für ihn, dass er die Möglichkeit hatte…viele haben sie eben nicht gehabt….etwas was man immer im Hinterkopf behalten sollte, meiner Meinung nach….

    bombjack

  5. admin am Oktober 18th, 2013 3:01 pm

    Mein Großvater hat russische Kriegsgefangene mit Lebensmitteln versorgt, obwohl das verboten war. War eben auch eine Eierfrage und eine der Menschlichkeit und Ehre und Moral. Sowas kennt nicht jeder.

  6. .... der Trittbrettschreiber am Oktober 18th, 2013 3:22 pm

    „und ich mußte erst wieder unter Deutschen leben, bis ich verstand (…)“

    also irgendwo geht mir doch jetzt der Hut hoch (mit Krempe sieht das einem Heiligenschein nicht unähnlich :)
    Was unterschied deutsche Kleinbürger von anderen?
    Zumindest heute sehe ich keinen Unterschied.

    PS Burks, das mit den Eiern habe ich in meiner Jugend tausendfach (auch von meinen und den anderen Großeltern)gehört und geht mir so ganz almählich auf dieselben – wie wär’s mal mit Kondomen, Koks oder [bitte selbst ausfüllen]?

  7. elvis am Oktober 18th, 2013 3:55 pm

    Kleine Männer?

    Gott sei dank gibt es in der Bundesrepublik Deutschland keine kleinen Männer bzw. Frauen und Jugendliche mehr. Das wurde zwar nicht gerichtlich verboten, aber seit Demjanjuk ist damit Schluss und es wird entsprechend verfolgt.

    Das gilt also für alle Nazis und sonst niemanden.

    Jetzt muss die Richterschaft nur noch überzeugt werden das auch in den deutschen Amtsstuben aufgeräumt wird, denn dort gibt es immer noch jede Menge kleine Frauen und Männer, die streng deutsche Gesetze abarbeiten.

    Mehr hat Demjanjuk damals auch nicht getan oder der 16-jährige von der Waffen-SS.

  8. elvis am Oktober 18th, 2013 4:03 pm

    Hi hi hi …

    …. der Trittbrettschreiber am Oktober 18th, 2013 3:22 pm

    PS Burks, das mit den Eiern habe ich in meiner Jugend tausendfach (auch von meinen und den anderen Großeltern)gehört und geht mir so ganz almählich auf dieselben

    Ja, nicht nur bei den Österreichern gab es nie niemals Nazis, weil eben alle ausnahmslos im Widerstand waren.

    Wenn Burks von Eiern schreibt dann meint er übrigens Hoden. Männer mit kleinen Hoden sind übrigens die besseren Väter.

  9. .... der Trittbrettschreiber am Oktober 18th, 2013 6:28 pm

    @elvis:

    „Wenn Burks von Eiern schreibt dann meint er übrigens Hoden.“

    ACHSO – hab’ich wohl was verwechselt.
    Man kommt aber auch ganz durcheinander mit dieser vergangenheitsorientierten Sprache:
    Eierfrage, Hodenfrage – was war da noch? Da war noch was.

    Sprache entlarvt nicht immer, lässt sich aber sehr gut instrumentalisieren. Ich habe mal einen Studenten-Job verloren. Bei einem Umzug hatte ich nach getaner Arbeit glücklich eine Privatbibliothek als bücherfrei gemeldet.

    Seither lebe ich anonym.

  10. ninjaturkey am Oktober 18th, 2013 8:15 pm

    @Trittbrettschreiber: Es st immer eine gute Frage, was man selbst in einer Diktatur getan hätte oder tun würde. Ich bin nur froh in dieser Postdemokratie zu leben, da mir meine große Klappe und mein Jähzorn bei Ungerechtigkeiten schon seit der Grundschule Probleme bereitet. Zudem kann ich bei Gefahr für andere nicht wegschauen, warum weiß ich auch nicht. Immerhin fühlt man sich danach immer so gut (wird wohl Adrenalin sein), dass es für mich auch nach 50 Jahren noch keinen Grund gibt, an dieser Praxis was zu ändern.

    @elvis (Du lebst?): Die Studie zu dem kleinen Hoden wurde lt. gut unterrichteten Kreisen von Männern mit kleinen Hoden erstellt ;-)

  11. Eike am Oktober 18th, 2013 9:43 pm

    Juhu vom KZ direkt zu den Eiern. Du bist Deutschland oder wie? Nöööööö…..
    @bombjack: Doch! Mnachmal kommen sie wieder…Wenn Du en Bild für die zukunft brauchst, dann schaue nach Ungarn.

  12. Michael am Oktober 19th, 2013 12:15 am

    Sicher ist nicht jeder zum Helden geboren. Aber es wäre schon viel gewonnen, wenn man nicht immer allzu beflissen mitziehen würde, und das geht immer. Und mal ehrlich: Die meisten nutzen doch nichtmal das, was jetzt & hier an Protest und Widerstand erlaubt ist. NSA-Affären? Sinnlose Megaprojekte? Politiker, die Verwandten Pöstchen verschaffen? Krieg führen? Dafür wird man hier & heute mit absoluten Mehrheiten belohnt. Es ist diese nicht nur deutsche Mischung aus Lethargie, Biederkeit, Ängstlichkit, Opportunismus, Autoritätsgläubigkeit, Borniertheit und agressivem Konformismus (welcher sich gegen alles richtet, was irgendwie anders oder fremd ist) den man mit dem wunderschönen Wort „Spießigkeit“ bezeichnet. Sicher: Früher war’s noch schlimmer, aber es ist immer noch schlimm genug.

    Ich will es mal so zuspitzen: Die wichtigste Stütze jeder Diktatur ist nicht die Geheimpolizei sondern der Spießer. So, und diese will ich jetzt mal gar fürchterlich erschrecken:

    Deutsche! Die Kommies&Anarchos wollen euch eure Gartenzwerge und Blümchentapeten wegnehmen!11!!

  13. .... der Trittbrettschreiber am Oktober 19th, 2013 9:29 am

    @Michael
    „Deutsche! Die Kommies&Anarchos wollen euch eure Gartenzwerge und Blümchentapeten wegnehmen!11!!“

    Ich grinse da mal mit:
    Umgekehrt wird ein Schuh draus.
    Jene auf dem Weg durch die Institutionen sind in fett gepolsterten biogegerbten Leder-Chefsesseln stecken- bzw. sitzen geblieben. Zur Freude des Thüringer Gartenzwergs, der den Rasen des Eigenheims all derer konsequenterweise ziert.

  14. Alter Nihilist am Oktober 21st, 2013 12:55 pm

    @Michael:
    A propos Marsch durch die Institutionen: gestern Nacht blieb ich beim Duo Precht + Roter Danny vorm TV kleben. Letzterer hat mich mit seiner ständigen Rechtfertigung für den »Bosnieneinsatz« unangenehm berührt. (Sieg hier für den doch oft humorlosen Precht.)

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