Last Exit Bundesfamilienministerium

Dieser Artikel erschien auf burks.de am 21.09.2008 und ist gerade mal wieder aktuell. In fünf Jahren werde ich ihn vermutlich wieder publizieren – ohne Hinweis auf das Dateum würde es ohnehin niemand merken. Manche Textbausteine in den Medien wiederholen sich eben immer wieder, weil es nicht um Inhalte, sondern um Moraltheologie geht. Und bei derselben liest man am liebsten das Althergebrachte und Gewohnte.

Tagesschau

Medien, das wissen wir nicht erst seit Hal Faber von heute, betreiben nicht nur Aufklärung, sondern auch Volksverdummung. Wir alle machen Fehler. Ärgerlich wird es nur, wenn diejenigen, die Falschmeldungen verbreiten, diese weder zugeben noch korrigieren. Die Tagesthemen vom 06.09.2008, 23.15 Uhr, sind ein lehrreiches Beispiel dafür, dass bei bestimmten Themen nicht Recherche, sondern unkritische Public Relations und das Motto „Kopf ab zum Gebet“ angesagt ist.

Die Kernsätze des Beitrags über „Aussteigerprogramme“ für Neonazis: „Die Szene“ werde „immer aggressiver“ (der Komparativ ist bei alarmistischer Attitude gesetzt). „Wer aus der aktiven Neonazi-Szene aussteigen will, dem droht meist brutale Rache.“ – „Das geht kaum ohne Hilfe.“

Das ist natürlich eine urbane Legende und kompletter Unfug. Die Autoren Boris Hermel und Martin Polansky haben offenbar nicht recherchiert, sondern blind alles übernommen, was ihnen von Exit Deutschland eingeflüstert worden ist. [Beim RBB wollte man mir den telefonischen Kontakt zu Hermel wegen einer Stellungnahme nicht herstellen.] Wenn jemand, der den Aussteig zum Beruf gemacht hat wie Matthias Adrian, der „Kronzeuge“ bei Exit, von einer „Hetzjagd im Internet“ faselt, dann muss man jedes Wort überprüfen. Die Fakten sprechen gegen Adrian – die vermeintliche Bedrohung existiert nicht, sondern dient nur der Selbstvermarktung.

Vater aller „Neonazi-Aussteiger ist übrigens Richard Scheringer. Zahlreiche Ex-Nazis haben Bücher geschrieben oder können bestätigen, dass der Ausstieg aus einem sektenähnlichen Milieu keinesfalls gefährlich ist: Ingo Hasselbach, Danny Thüring, Detlef Nolde, Michael Petri, Gabriel Landgraf, Tanja Privenau, Odfried Hepp, Jan Zobel, Stefan Michael Bar, Stefan Jähnel, Jörg Fischer, Michael Wobbe, Christine Hewicker, Nick W. Greger, Torsten Lemmer und Norbert Weidner. Wenn es Hermel und Polansky um ernsthaften Journalismus gegangen wäre, hätten sie mehr als eine Quelle befragt. Bei diesem Thema findet man das aber kaum, sondern nur Lichterkettenträgerei und Moraltheologie mit den seit zwei Jahrzehnten sattsam bekannten sinnfreien Textbausteinen.

Die eigentliche Falschmeldung ist aber die These, das Bundesarbeitsministerium habe den Förderantrag von Exit abgelehnt. Offenbar hielt es die Redaktion der „Tagesthemen“ noch nicht einmal für nötig, dort nachzufragen. Ich habe es getan. Der Antrag war noch gar nicht beschieden worden und wies auch, wie bei anderen Antragstellern, formale Mängel auf. Exit hat also schlicht gelogen. Auf meine Nachfrage bei Exit wurde behauptet, die Lage sei „noch unklar“. Am letzten Montag sei ein Gespräch mit dem Ministerium angesetzt. Auch das war frei erfunden – das Bundesarbeitsministerum wusste davon nichts.

Tagesschau

Ich habe die „Tagesthemen“ drei mal per E-Mail zu einer Stellungnahme aufgefordert – eine Antwort bekam ich nicht. Vielleicht ist die E-Mail in einem virtuellen Bermuda-Dreieck verschwunden, vielleicht ist das Thema auch zu unwichtig, als dass man sich damit befassen müsste.
„Lieber Kollege Hinrichs, ich hätte gern eine Stellungnahme der Redaktion der ‚Tagesthemen‘ zur Sendung vom 06.09.2008, 23.15 Uhr „‚Initiative „Exit‘ für Aussteiger aus der Neonazi-Szene vor dem Aus“.
1. Die Autoren Boris Hermel und Martin Polansky behaupten, das Bundearbeitsministerium habe den jüngsten Förderantrag von Exit abgelehnt. Welche Quelle gibt es für diese These? Die zuständige Stelle im Bundesministerium für Arbeit und Soziales sagt auf Anfrage, über den Antrag sei noch gar nicht entschieden worden.
2. Welche unabhängigen Quellen gibt es für die These, Exit habe 290 Rechtsextremen zum Ausstieg verholfen? Wurde diese Behauptung überprüft oder beruht sie ausschließlich auf der Selbstdarstellung von Exit?
3. Welche Belege gibt es für die in der Sendung aufgestellte These, Aussteigern aus dem rechtsextremen Milieu drohe „meist brutale Rache“?
4. Warum wird in der Sendung nicht erwähnt, dass Exit auch vom Bundesfamilienministerium gefördert wird?“

Das Hamburger Abendblatt verriet vor fünf Jahren unfreiwillig, wie die Aussteiger-Zahlen von Exit zustandegekommen sein könnten, wenn überhaupt etwas Wahres dran ist: „170 Ausstiegswillige wurden bis heute von „Exit“ betreut. 35 von ihnen haben den Ausstieg geschafft.“ Aber sicher: Jeder, der dort anruft, ist damit offenbar gleich ein „Aussteiger“ und schönt die Statistik. Was „Ausstieg“ bedeutet, kann ohnehin niemand überprüfen.

Man darf sich als Journalist auch mit der „guten Sache“ nicht gemein machen, also auch nicht lügen, um dem Guten zu helfen. Ich zweifele daran, dass „Aussteigerprogramme“ etwas „Gutes“ sind. Man könnte sie ersatzlos streichen, und niemandem würde das unangenehm auffallen. Sie dienen ohnehin der Politik nur als moralischen Feigenblatt. „Gut“ ist die Berichterstattung über das Thema, weil sie als pädagogisch wertvolles Paradebeispiel für mangelnde Recherche und den desaströsen Zustand des Journalismus in Deutschland dienen kann.

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Kommentare

8 Kommentare zu “Last Exit Bundesfamilienministerium”

  1. elvis am März 30th, 2013 1:22 pm

    Natürlich kann niemand diese Zahlen nachprüfen. Es lassen sich fast keine von der Bundesregierung gelieferten Zahlen und Statistiken nachprüfen. Das gilt auch für Umsatzstatistiken von Opel, BMW oder von E.ON. Es wird aber auch nirgendwo von den federführenden Journalisten hinterfragt. Das hier im blog etwas hinterfragt wird ist schön und deswegen lese ich hier. Das beweist aber auch nichts. Kann falsch aber auch richtig sein aber auch Volksverhetzung sein.

  2. Jens am März 30th, 2013 5:12 pm

    In welchem Szenario könnte das denn Volksverhetzung sein?

  3. Nick Greger am März 31st, 2013 3:05 am

    ja lieber elvis, dass möcht ich auch gern mal wissen. wieso könnte der obige bericht volksverhetzung sein? schaut aus als hast du vom strafgesetzbuch genauso wenig ahnung wie von exit bzw. der thematik von der hier gesprochen wird.
    ich kann hier dem jens nur beiplichten, auch wenns nicht schön klingt was er schreibt aber es ist entspricht den tatsachen und da kannst du dich jens jederzeit auf mich berufen falls dir wegen deinem artikel jemand was reinwürgen will.

  4. Kay Diesner: “Ich will mit der Nazi-Scheiße nichts mehr zu tun haben” | Detlef Nolde am März 31st, 2013 9:20 pm

    […] Zur “Nazi-Aussteigerhilfsorganisation” EXIT-Deutschland: https://www.burks.de/burksblog/2013/03/30/last-exit-bundesfamilienministerium […]

  5. Detlef Nolde am März 31st, 2013 9:28 pm

    Daß es „kaum ohne Hilfe“ geht ist tatsächlich falsch, ich kann es ebenso bestätigen.

  6. elvis am April 1st, 2013 1:03 pm

    Ah, yeah!

    Hier haben wir wieder den typischen Burks Blog Leser. Der liest was und liest auch wieder nichts.

    Wo hat „elvis“ geschrieben das der Beitrag von Burks „Volksverhetzung“ ist?

    Im übrigen sollten sich die betreffenden „Leser“ einmal mit den Urteilen betreffend Volksverhetzung beschäftigen. Das ist teilweise sehr lustig. Da geht es nicht „nur“ und immer um Nazis.

    Volksverhetzung im rechtlichen Sinne ist ein weites Feld. Das ist quasi ein Universal§. Gäbe es noch die Todestrafe liessen sich damit sogar Todesurteile begründen. Vielleicht bald, wenn die ANTIFA an der Regierung ist … :)

    Gefälschte Statistiken passen in diesen §en auch rein. Zum Beispiel die Arbeitslosenstatistik. Es muss nur die „passende“ Regierung kommen, die das entsprechend im Sinne dieses § auslegt. Alles ist möglich!

  7. Ex-Nazi Gabriel Landgraf: “Ich habe mich von ideologischen Torheiten und Zwängen gelöst” | Detlef Nolde am April 1st, 2013 9:25 pm

    […] nicht dazu führen muß, sich anderen politkriminellen Regimen anzubiedern, z. B. dem von der sog. “Nazi-Aussteigerhilfe EXIT” (für die sich leider auch Gabriel Landgraf hat einspannen hat lassen) geforderten Prozionismus, […]

  8. nick greger am April 2nd, 2013 3:02 am

    hi elvis,hab jetzt deinen punkt nicht ganz vertanden und hättst dich halt oben einfach verständlicher ausdrücken müssen.das der 130er und der 86er nicht nur an einer adress greifen kann ist ja klar,wir können uns auch noch an die kurden prozesse der 90er erinnern als kurden wegen des schwenkens ihrer PKK fahne bzw. linke sympathisanten deswegen den 86er reingewürgt bekommen haben. aber was hat nun das volksverhetze mit dem obigen bericht zu tun? was könnte denn nun volksverhetzung sein das du angesprochen hast? naja das es die dumpfbacken der antifa an die macht schaffen halte ich genauso für nicht erkennbar wie auch eine NPD nicht an die macht kommen wird. schon mal deswegen nicht weil wir bereits mitten im polizeistaat angekommen sind und hier so oder so schon alles zu spät ist. weder die antifa noch die npd hat irgendwelche köpfe die es mit dieser regierung aufnehmen könnten und das ist für beide seiten ein grauenvolles armutszeugnis…aber sonst wären sie ja auch nicht bei der npd oder antifa.

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