Im Memoriam Wilbert Neuser

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Mein ältester Freund Wilbert Neuser ist in der letzten Woche im Alter von 60 Jahren an Lungenkrebs gestorben, nur ein halbes Jahr, nachdem er die Diagnose erhalten hatte.

Am 19.11.2011 hatten wir noch gemeinsam unser 40-jähriges Abitur-Jubiläum in Unna gefeiert. Als ich ein Jahr später einen Kurzurlaub in meiner Heimatstadt machte, haben wir uns wieder getroffen, da wusste er schon, dass ihm eine Chemotherapie bevorstand. Er hoffte noch, er würde die Krankheit besiegen können.

Man wird nachdenklich, wenn Gleichaltrige an Krankheiten sterben, die einen vielleicht auch treffen können (obwohl ich zum Glück nicht mehr rauche).

Wilbert hat ein ganz anderes Leben geführt als ich – er war Leitender Regierungsschuldirektor (2009) im Dezernat 43 der Bezirksregierung Arnsberg, kurz: im Schulamt. Vorher hatte er sich als Schulleiter im Reichenbach-Gymnasium in Ennepetal Meriten erworben. Eine fremde und ganz eigene Welt für mich – auf der sicheren Seite des Lebens.

Er hätte sich einen schönen Lebensabend machen können, zusammen mit seiner Frau, die ich schon genauso lange kenne – ich war Trauzeuge bei ihrer Heirat (das muss 1971 oder 1972 gewesen sein).

Ich verdanke ihm meinen ersten Einstieg in die Politik – als Schüler fuhren wir zusammen in die Universitätsstadt Münster und demonstrierten gegen die NPD. Wilbert hatte damals schon Kontakte zur APO. Zu dritt waren wir die einzigen Demonstranten, die den damaligen Bundeskanzler Hans-Georg Kiesinger (CDU, NSDAP, Mitgliedsnummer 2633930) störten, als der 1969 in Unna aus diesem Balkon eine Rede hielt. Unser Klassenkamerad Volker Borbe (der nicht mehr aufzufinden ist) hielt ein selbst gemaltes Schild in die Höhe: „Hallo PG!“ So etwas schwieg damals die Lokalpresse natürlich tot.

Ich war damals „Chefredakteur“ der Schülerzeitung „Eselsohr“ des Pestalozzi-Gymnasiums Unna, und Wilbert war der „Politikredakteur“. Wir haben gemeinsam die Politik an unserer Schule im Rahmen unserer Möglichkeiten kräftig aufgemischt. Sein Artikel „Die Protestierenden werden gebeten, den städtischen Rasen nicht zu betreten – Oder: Sicherheit durch Recht und Ordnung“ (1969) sorgte für großen Unmut bei den Lehrern. Er schloss mit dem immer noch aktuellen Satz: „Was tun gegen den Terror von Rechts?“

Eselsohr

Ausriss (klicken zum Vergrößern): „Das Eselsohr“ Nr. 15, 1969, Schülerzeitung des Pestalozzi-Gymnasiums Unna, Bild oben: Wilbert Neuser, ebd.

Wir kannten uns seit 1965 – 48 Jahre, eine unfassbar lange Zeit, die aber in der Rückschau schrecklich schnell vergangen ist. Am 5. März letzten Jahres haben wir noch in der Rohrmeisterei Schwerte seinen 60-sten Geburtstag, gefeiert, da war er noch quietschfidel. Wilberts Sohn Fabian arbeitet dort als Koch.

Was bleibt, sind Erinnerungen. Du wirst mir fehlen.

Foto unten: Sportabitur 1971. Ich (auf der Matte) versuche, möglichst elegant zu einer „Rolle rückwärts“ anzusetzen. Wilbert steht daneben und scheint zu überlegen, ob er eingreifen sollte, falls mein Unternehmen nicht vom Erfolg gekrönt sein würde.)

sportabitur 1971

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Kommentare

11 Kommentare zu “Im Memoriam Wilbert Neuser”

  1. Jan-Malte am März 12th, 2013 5:15 pm

    Wofür steht PG?

  2. admin am März 12th, 2013 5:26 pm

    Parteigenosse, bezog sich auf Kiesingers NSDPA-Mitgliedschaft

  3. ... der Trittbrettschreiber am März 12th, 2013 7:58 pm

    Trost? Hilfe? Wohl kaum. Sinn? Vielleicht: Lyrik.

    Der Tod ist groß.
    Wir sind die Seinen
    lachenden Munds.
    Wenn wir uns mitten im Leben meinen,
    wagt er zu weinen
    mitten in uns.

    R.M.Rilke

  4. Martin am März 18th, 2013 7:47 pm

    Über http://www.sterbefall-hilfe.de/todesanzeigen
    kann man eine Gedenkkerze für Herrn Neuser entzünden
    sowie online Kondolieren!

  5. Matthias Gollan am April 22nd, 2013 1:38 pm

    Solche wie Herrn Neuser sollte Schule – und vor allem auch die sog. Schulaufsicht – mehr haben. Als Mensch und Pädagoge ein Verlust sicher für alle, die ihn kannten und mit ihm arbeiteten.

  6. Christopher Hellmich am Oktober 3rd, 2013 6:02 pm

    Herr Neuser war mein Deutschlehrer, bei dem ich Abitur gemacht habe und der mich stark geprägt hat.
    Er war ein toller Lehrer und vor allem – eine herausragende Persönlichkeit.

  7. Peter Kook am April 20th, 2015 7:31 pm

    Ich bin heute zufällig auf diesen Eintrag gestossen und bin sehr, sehr erschrocken.
    Wilbert Neuser war auch mein Deutschlehrer – zudem haben wir zusammen Theater gespielt. Thornton Wilders „Wir sind noch einmal davon gekommen“ und „Romulus der Grosse“ von Dürrenmatt…
    Herr Neuser hat mich als Schüler sehr beeindruckt – er war authentisch.

  8. Caro Malessa am Juni 23rd, 2015 2:07 am

    Auch ich bin eher zufällig hier und tief betroffen. Ich erinnere mich noch gerne an die Studienfahrt nach Reims 1993. Ein Dreiergespann an Lehrern (der Englisch-LK musste mit, weil London zu teuer war), was einfach unschlagbar war. Ich denke da an einen ganz speziellen Nachmittag/Abend in der Champagne, bei der wir mit etwa 10 Personen (7 Schüler, 3 Lehrer, darunter Herr Neuser) – der Rest der Truppe war wieder in die Stadt gefahren – auf einem Weinfest auf dem Lande versackt sind und ziemlich viele Sorten Champagner/Wein durchprobiert haben. Bei einem gewissen Alkoholpegel schrieben wir (d.h. in großen Teilen ich) eine Postkarte an den nunmehr ehemaligen Rektor mit einer tiefgründigen Beschreibung der süffisanten Tropfen. Nachdem die Karte dann im Briefkasten war, wurde mir von der Lehrergruppe eröffnet, dass das Ganze ja urkomisch wäre, da der Rektor Antialkoholiker sei. Als ich kreidebleich wurde, wurde von Lehrerseite nur gelacht und abgewunken: Rektor D. verstehe Spaß … und so war es dann auch.
    Es tut mir sehr leid, dass Wilbert Neuser nicht mehr lebt. Damals, als wir die „Buddenbrooks“ von Thomas Mann lasen, musste ich wegen Krankheit die Klausur nachschreiben und werde nie vergessen, wie Herr Neuser mir hinterher unbedingt noch einige wichtige Textstellen erklären wollte und auch tat. So bin ich tatsächlich bei Thomas Mann hängengeblieben. Danke! Ich bin mir sicher, dass Herr Neuser vielen am Mariengymnasium in Erinnerung geblieben ist und weiterhin bleibt, weil er einfach menschlich war.

  9. Meike am April 20th, 2018 12:04 pm

    Das ist eine sehr traurige Nachricht 😭. Ich feiere dieses Jahr „30 Jahre Abi“ und auch ich hatte Deutsch-Lk bei ihm und war in seiner Theater-AG. Ich habe ihn sehr gemocht …

  10. Sabine Weiner, geb. Peukert am Juni 3rd, 2022 2:28 am

    Abijg. 1982, LK Deutsch bei W. Neuser; ein Lehrer, der uns gefordert und ein Mensch, der uns mit seiner Haltung (keine Angst vor Konfrontation) ernst genommen und berührt hat – bis hin zum eigenen beruflichen Werdegang (Germanistik, Verlag).
    Erinnerungen: Kurswahl Wewelsburg; Kochen in Hemmerde; We dont need no Education…: Ihr seid doch privilegiert u freiwillig hier und könnt ja stattdessen morgen arbeiten gehen.“ Theaterstücke: Biedermann und die Brandstifter. Wiedersehen beim Abitreffen. Und in Erinnerung: ja, das Rauchen.
    Danke für das Foto in diesem Blog (Gruß an Christopher; s.o. 2013…)

  11. Dorothea Rohden am Dezember 12th, 2023 12:41 am

    Wilbert,tempus fugit….

    Früher, da trugen wir in Herz Jesu die Fahnen,Du schonBanner, ich noch Wimpel.Etwas später schwänzten wir die Sonntagsmesse, parlierten, diskutierten.
    Wir sahen uns in der Schule wieder,Du Pestalozzi, ich A.v.D.H.
    Sabine in meiner Klasse und Sabine an Deiner Seite. Ihr hattet
    Euch schon früh gefunden und wart unzertrennlich. Traf man sich bei Eduscho oder Tchibo zum Kaffee (50 Pfg. Inkl. Milch und Zucker) ,
    dann warst Du gerade weg oder da oder wurdest erwartet -permanent.
    Wir haben für die WAZ geschrieben, Du politisches Zeitgeschehen, wir über Mode, Freizeit, TOP 10
    Die Colabälle – unvergesslich. Sabine’s Feten auch. Wir hatten alle eine schöne Zeit – und haben sie gelebt. Nun bist Du nicht mehr hier und Sabine ist Dir gefolgt – paradox – so wie früher.
    Ich werde Euch in Hemmerde besuchen,ganz sicher.
    Doro

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