Ciompi und andere

Feudalismus

Neulich habe ich beim TV-Zappen ein wenig in die Borgia-Serie hineingeschaut. Die kleinen Leute kommen natürlich nie vor, nur als Staffage. Derartige Filme dienen auch nicht dazu, die Leute zu bilden oder ihnen womöglich lehrreiche Beispiele vorzuspielen, um sie aufzurütteln, dass sie ihr Schicksal in die Hand nehmen, sondern dazu, das Volk ruhig zu halten aka unterhalten. Falls ein Aufrührer und Rebell aufträte, dann würden dessen Rezepte und Methoden, könnte man sie auf die heutige Zeit übertragen, selbstredend zensiert.

Es gibt natürlich Ausnahmen, die kommen aber nicht zur Prime Time. Die Masse will sie auch nicht sehen, das wäre viel zu anstrengend. Die „Borgias“ sind eher Mantel-und Degen-Filme für Oberstudienräte und ihre Gattinnen.

Ich habe heute Ernst Piper seit langer Zeit wieder durchgeblättert: „Der Aufstand der Ciompi. Über den ‚Tumult‘ der Wollarbeiter im Florenz der Frührenaissance“ – gekauft 1978 als Taschenbuch. Es geht hier zwar um das 14. Jahrhundert, also etwas früher als die Borgias, kann aber trefflich das Thema soziale „Schichten“ demonstrieren und außerdem der Glaubensgemeinschaft Freier Markt(TM) zeigen, wie dämlich ihre Mitglieder sind.

Karl Kautsky schrieb 1895 über die Textilindustrie in Italien im späten Mittelalter:
Weder die Bergarbeiter, noch die Handwerksgesellen noch die unorganisirten städtischen Proletarier waren berufen, die Träger der Anfänge der kommunistischen Arbeiterbewegung zu sein. Nur eine Arbeiterschicht gab es, welche die Verhältnisse nicht nur für kommunistische Tendenzen empfänglich machten , sondern der sie gleichzeitig die nöthige geistige Anregung gaben, aus diesen Tendenzen ein neues Gesellschaftsideal herausarbeiten, der sie aber auch die nöthige Energie verliehen, an diesem Ideal festzuhalten in Zeiten, in denen seine Erreichung völlig aussichtslos erschien. Diese Arbeiter waren die der Textilindustrie, namentlich die Wollenweber.

Und Burks rückte seinen Oberlehrer-Hut zurecht und sprach: Was war noch mal gleich der Unterschied zwischen Feudalismus Michele di Landound Kapitalismus? Da heulen sie gleich auf, die „Der freie Markt muss frei bleiben und alle werden reich und glücklich“-Gläubigen: Es gab und gibt immer noch einen erbitterten Streit zwischen „linken“ und „rechten“ Historikern, ob man das „Mittelalter“ so nennen sollte oder vielleicht das „Lehnswesen“ oder ob man nicht besser „Feudalismus“ sagen sollte, was unsere „bürgerlichen“ Historiker natürlich rundheraus ablehnen, nicht aus inhaltichen Gründen, sondern weil Marx auch „Feudalismus“ sagte, und was Marx sagte, ist in Deutschland tabu, verpönt und darf nicht zitiert werden. (Zum Glück war Marx kein Mathematiker, der behauptete, zwei plus zwei seien vier, dann wären Mathematiker, die dem beipflichteten, im heutigen Deutschland Linksextremisten.)

Was sagt also der Markt zum Mittelalter? Es gab ihn nur rudimentär; in Südeuropa vermutlich sogar erheblich weniger als im römischen Weltreich.

Die römische Antike fußte zwar auf der Arbeit freier Bauern, aber die „Massenproduktion“ vieler für den Handel benötigten Güter, wenn man davon sprechen will, wurde durch Sklaven auf den Latifundien organisiert.
Latifundien kamen in Italien nach dem Zweiten Punischen Krieg auf und verdrängten in der späten Republik in vielen Gegenden die bisherige kleinbäuerliche oder auf Gutshöfe mittlerer Größe gestützte Landwirtschaft. Sie wurden unter Einsatz zahlreicher Sklaven bewirtschaftet, neben denen freie Landarbeiter als Saisonkräfte zum Einsatz kamen. Hauptsächliche Wirtschaftsform der Latifundien war die Viehzucht, daneben auch der Oliven- und Weinanbau. Der Getreideanbau hingegen war im Rahmen der Sklavenwirtschaft unrentabel.

Warum eigentlich? Das ist doch eine interessante Frage. Und wenn man sich dann das 12. Jahrhundert in Deutschland ansieht, bemerkt man Erstaunliches: Erst dann wurde die Dreifelderwirtschaft „erfunden“. Ein „richtiger“ Pflug kam erst im 18 Jahrhundert zum Einsatz, ebenso die Dampfmaschine, die die industrielle Massenproduktion ermöglichte und somit den Kapitalismus.

Waren also die alten Römer zu blöd, um eine Dampfmaschine oder einen vernünftigen Pfug zu bauen? Und wenn die Dreifelderwirtschaft dafür sorgte, dass sich die landwirtschaftiche Produktion vervielfachte, warum kam das erst im „Mittelalter“, wo doch die Römer sogar Aufzüge im Colosseum hatten und Fußbodenheizung, während die alten Rittersleut sich auf ihren zugigen Burgen einen abfroren?

Erfindungen, die die Gesellschaft verändern, fallen eben nicht zufällig vom Himmel. Und wie Arbeit organisiert wird, auch nicht. Der Markt ist nicht wichtig, sondern die so gennannten Produktionsverhältnisse und Produktivkräfte. Will sagen: Mit Feudalherrn und abhängigen Bauern kriegt man keinen Kapitalismus mit Arbeitern hin, die nichts zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft. Und mit Sklaven hat Kapitalismus auch keine Zukunft – das wissen die US-Amerikaner aus ihrem Bürgerkrieg.

Bank in der Renaissance

Zurück zu den Ciompi. Am 18. Juni 1378 trat Salvestro de‘ Medici, einer der reichsten Männer von Florenz, auf den Balkon der Signoria und rief: „Es lebe das Volk.“ Er meinte das Volk als Hilfstruppen für seine Interessen, aber die „Ciompi“, die Arbeiter der Wolltuchindustrie, einer der Vorformen der kapitalistischen Massenproduktion, nahmen ihn ernst, entmachteten den Adel und schufen die erste Demokratie der Neuzeit in Mitteleuropa.

Darüber würde ich gern mal eine TV-Serie anschauen, aber das wird nie passieren. Aber wir wollten uns den Gläubigen des niederen Wesens „Freier Markt“ widmen.

Die Keim und Emryonalformen einer neuen Gesellschaft schlummern also sehr lange innerhalb des Alten. Die Arbeiter der Wolltuchindustrie waren mit die ersten ihrer Art, und genau so kämpferisch wie 300 Jahre später die Bergarbeiter des Erzgebirges. Dann dauerte es aber noch einmal 300 Jahre, bis die industrielle Produktion die vorherrschende Form war, die Arbeit zu organisieren, also den Besitzern der Produktionsmittel zu ermöglichen, sich den Mehrwert anzueigen.

Ich glaube, jetzt muss ich doch mal endlich etwas über die Theorie des Werts schreiben. Aber ist ein so hochwissenschaftlichen Unterfangen etwas für die wohlwollenden Leser und geneigten Leserinnen?

Foto Mitte: Michele di Lando, credits: Sailko

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Kommentare

12 Kommentare zu “Ciompi und andere”

  1. andreas am Dezember 24th, 2012 12:43 am

    ist es.

  2. Entitaet am Dezember 24th, 2012 1:28 am

    „Ich glaube, jetzt muss ich doch mal endlich etwas über die Theorie des Werts schreiben. Aber ist ein so hochwissenschaftlichen Unterfangen etwas für die wohlwollenden Leser und geneigten Leserinnen?“

    Mach et Otze!

  3. elvis am Dezember 24th, 2012 9:56 am

    Falls ein Aufrührer und Rebell aufträte, dann würden dessen Rezepte und Methoden, könnte man sie auf die heutige Zeit übertragen, selbstredend zensiert.

    Blödsinn!
    Ich fordere hiermit Deine sofortige Ausweisung.

    Als eifriger Seher von ARD und ZDF weiß ich das die Bürger dieses Landes ein Volk von Revolutionären sind. Besonders die Frauen! Ich brauche keine Beispiele nennen. Lies einfach die TV-Programmseite Deiner Lieblingszeitung.

    Ich verstehe Dich. Durch den Schnee, die Kälte und das Glatteis wurdest Du gezwungen das Joggen äh diese Stadtwanderungen zu stoppen. Das schlägt aufs Gemüt. Wahrscheinlich leidest Du jetzt sogar unter Fresssucht. Bist einsam und hast Depressionen. Durch zu viel Zucker kommt Deine Gehirntätigkeit zum erliegen. Da kommen einem solche verwirrten Gedanken.

    Ich glaube, jetzt muss ich doch mal endlich etwas über die Theorie des Werts schreiben. Aber ist ein so hochwissenschaftlichen Unterfangen etwas für die wohlwollenden Leser und geneigten Leserinnen?

    Bloss nicht. Koch Dir lieber was leckeres und nutzt die Dir verbleibende Zeit mit ARD und ZDF TV. Du sitzt schließlich in der ersten Reihe!

    Ich wünsche Dir gute Besserung und Frohe Weihnachten!

  4. Stefan Wehmeier am Dezember 24th, 2012 1:39 pm

    Die Lösung der Sozialen Frage

    Staatliche Planwirtschaft und Sozialgesetzgebung … versuchen dem Kapitalismus ein freundliches Lächeln aufzuschminken, ohne indes an der monopolbedingten Ausbeutung etwas zu ändern. So entwickelt sich allmählich eine Art „Sozialkapitalismus“, ein Mittelding zwischen Privat- und Staatskapitalismus, eine Übergangserscheinung von der einen zur anderen Ausbeutungsform. Im „Sozialkapitalismus“ haben die Vertreter des Privatkapitalismus und des Pseudo-Sozialismus ihren Frieden geschlossen. Der Zins wird sozusagen staatlich garantiert und im Übrigen einer wirtschaftlichen Depression, die das ganze Kartenhaus zweifelhafter Kompromisse zusammenstürzen lassen würde, durch das Mittel der dosierten Inflation vorgebeugt.

    Die im Zuge dieser Fehlentwicklung fortschreitende Monopolisierung wandelt den „Sozialkapitalismus“ allmählich zum Staatskapitalismus. An die Stelle der lediglich von einigen Monopolen verfälschten Marktwirtschaft tritt immer mehr die auf eine vollständige Monopolisierung hinzielende staatliche Befehlswirtschaft.

    Privat- und Staatskapitalismus bilden also, entgegen einer weit verbreiteten Ansicht, keine Gegensätze, sondern sind trotz aller äußerlichen Unterschiede völlig gleichartig, da beide ihrem Wesen nach auf Monopolen beruhen, das heißt auf einer Einschränkung, wenn nicht gar auf dem Ausschluss der Konkurrenz. Das Ausbeutungsprinzip ist bei beiden das gleiche. Privatkapitalismus ist eine halbmonopolistische Wirtschaftsform, Staatskapitalismus eine ganzmonopolistische. An die Stelle des individuellen Kapitalisten im Privatmonopolismus tritt im Staatsmonopolismus das „solidarische Korps der Führer der herrschenden Partei“, die ein allgemeines Wirtschaftsmonopol des Staates aufgerichtet haben und mit seiner Hilfe die unterjochte Masse grenzenlos ausbeuten. Der Staat ist zugleich Machtapparat und Ausbeutungsinstrument in den Händen der Führer der herrschenden Einheitspartei.

    Im Hinblick auf das Ausbeutungsprinzip besteht also zwischen Privat- und Staatskapitalismus kein Wesens-, sondern nur ein gradueller Unterschied. Hingegen besteht in der Form des wirtschaftlichen Regulierungsprinzips ein sehr wesentlicher Unterschied: Im Privatkapitalismus ist es der – durch Monopole allerdings bis zu einem gewissen Grad verfälschte – Markt, im Staatskapitalismus ist es der „Befehl von oben“. Beide Wirtschaftsformen sind Anfang und Ende ein und derselben Fehlentwicklung, deren letztes Ergebnis der Totalitarismus, die schrankenlose Staatsdespotie bildet.

    Den tatsächlichen Gegenpol sowohl zum Privat- als auch zum Staatskapitalismus bildet einzig und allein die – bisher noch niemals und nirgends verwirklichte – freie Marktwirtschaft. Unter einer freien Marktwirtschaft ist eine von Monopolen freie Wirtschaft zu verstehen. Eine solche entmonopolisierte Wirtschaft ist zugleich der Idealtypus einer echten Sozialen Marktwirtschaft.

    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2012/12/die-losung-der-sozialen-frage.html

  5. Tom am Dezember 24th, 2012 4:06 pm

    „ist es.“
    ! :)

  6. Georg am Dezember 24th, 2012 8:06 pm

    Aber unbedingt hinaus aus den Brackwasser des Feuilleton!

    Ich möchte Theorie und keine Meinungsromanze wie sie die Anhänger des „freien“ Marktes pflegen die durch ihre Reinheitsfantasien der unbeschränkten Wirtschaft irrlichtern.

  7. Heinz-Herwig Mascher am Dezember 25th, 2012 11:46 pm

    Zurück zu „Borgia“: Habe da letztes Jahr schon mal reingeguckt, sgar zwei Folgen – und es dann gelassen. Es ging tatsächlich nur um die Querelen dieser Familie. Tieferes kam nicht vor. „Dallas“ für Mittelalterfreaks, aber nochmal weichgespült. Und dafür zahlt man GEZ…

  8. Juza46 am Dezember 26th, 2012 2:14 pm

    Schreib es, Burks, im Sinne von Kant. Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit.

  9. Häufig gestellte Fragen über die Zukunft : Burks' Blog am Januar 22nd, 2013 3:21 pm

    […] Wie man am Beispiel der Ciompi sieht, gab es in Europa erste Ansätze, Vorformen des kapitalistischen Marktes auch politisch zu […]

  10. Der Kommunismus fängt in Unna an : Burks' Blog am Juli 24th, 2013 12:15 am

    […] und Gottheit “Der freie Markt(TM” wir alle lieben und verehren, so etwas wie die Ciompi (14. Jahrhundert, Italien) für den Kapitalismus – dessen embryonale Form, ein zartes […]

  11. Miscellaneous distracting : Burks' Blog am Mai 6th, 2015 1:16 pm

    […] doch. Geht doch. Das Himmelreich Der Kommunismus ist nahe herbeigekommen. Ich ahne so etwas wie die Ciompi, nur eine Epoche weiter. (O je, ich habe den Geburtstag Karl Marxens vergessen!) Dazu passt […]

  12. Was ist drin in Griechenland? (Teil 2) : Burks' Blog am Juli 25th, 2015 2:57 pm

    […] Aufstand der Ciompi und die Forderungen der Mansfelder Bergknappen im Bauernkrieg sind nur ein winziger Ausschnitt der […]

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