Unter Finanzführern und Kommissaren

Kommissar

Ich habe aufgehört zu hoffen, dass ich von den Mainstream-Medien über die so genannte „Finanzkrise“ ausreichend oder tiefschürfend informiert werde. Was man liest, ist affirmatives marktsradikales Neusprech oder schlicht Propaganda des Kapitals. Also muss ich versuchen, mich selbst zu informieren.

„Einen Bankrott Griechenlands hat der Finanzminister bereits ausgeschlossen“, schreibt Spiegel online. Ach. Das lässt immerhin erahnen, dass der deutsche Finanzminister sich anmaßt darüber entscheiden zu wollen, ob Griechenland den Staatsbankrott erklärt oder nicht. So weit ich mich erinnere, ist Griechenland ein souveräner Staat und hätte, wenn die herrschende Klasse in Hellas nicht so korrupt und erpressbar wäre, auch andere Optionen als sich freiwillig zu einer deutschen Kolonie zu erklären.

Nur zur Erinnerung – was geschah nach dem Staatsbankrott Argentiniens? „Das Wachstum in Argentinien blieb seit Mitte des Jahres 2003 stetig hoch. Dieses Wirtschaftswachstum kann vor allem durch die positiven Erfolge der Abwertung begründet werden. Die argentinische Industrie wurde durch die Exporte und Importsubstitution gestärkt.“ Wie ich schon schrieb:

Wenn Griechenland den Staatsbankrott erklärte, würde der Kurs des Euro gegenüber der wieder eingeführten Drachme extrem ansteigen – wie damals der Kurs des Dollar gegenüber dem argentinischen Peso. (…) Nach einem Austritt Griechenlands oder dem Zerfall der Union würde das deutsche Kapital weit weniger Profite machen, da die Landeswährungen abgewertet würden. Es wäre genauso wie das Verhältnis zwischen Dollar und Euro. Ein schwacher Euro ist gut für den Export. Das heißt: Die deutschen Kapitalisten müssen alles dafür tun, dass Exporte des Ausland nach Deutschland nicht billiger werden. Das, was ich hier schreibe, kommt zwar so nicht in den Mainstream-Medien vor, die Kapitalisten wissen das aber. So doof sind die nicht, dass sie nicht kapiert hätten, wie das alles endet.

Spiegel online gibt gar nicht erst vor, sachlich informieren zu wollen, sondern macht Schäuble zum „leidenschaftliche Europäer“, bevor dessen Ideen kritiklos publiziert werden. Dass soll suggerieren, es handele sich darum, eine Idee von „Europa“ zu verwirklichen, obwohl es Schäuble und Konsorten ausschließlich darum geht, die Interessen des deutschen Kapitals durchzusetezn. Man nennt Schäubles Tun interessegeleitetes Handeln: Das dient in der Politik dazu, die Macht der Herrschenden zu stablisieren.

Der Kommissar für Finanzplanung und Haushalt soll also mehr Macht bekommen? Dieser Kommissar ist eine Art Finanzminister der Europäischen Kommission. „Die Mitglieder der Kommission (umgangssprachlich als EU-Kommissare bezeichnet) werden von den Regierungen der Mitgliedstaaten nominiert und vom Europäischen Parlament bestätigt. Sie sind in ihren Entscheidungen unabhängig und sollen nur die gemeinsamen Interessen der Union, nicht jedoch die ihrer jeweiligen Herkunftsstaaten vertreten.“

Warum braucht dieser Kommissar also noch mehr Macht? Im EU-Vertrag lesen wir: „Die Kommission übt ihre Tätigkeit in voller Unabhängigkeit aus. Die Mitglieder der Kommission dürfen unbeschadet des Artikels 18 Absatz 2 Weisungen von einer Regierung, einem Organ, einer Einrichtung oder jeder anderen Stelle weder einholen noch entgegennehmen.“

Die Mitglieder dieser Kommission, also auch der Finanzkommissar, sind nicht demokratisch gewählt, obwohl sie Gesetze erlassen können. Die EU-Kommission wird immer als Beispiel für das Demokratiedefizit der Europäischen Union angeführt. Schäuble will also noch weniger Demokratie in Europa – das wäre die richtige Schlagzeile, liebe Mainstream-Medien. Zeit online schreibt genau das Gegenteil:

Zu den wichtigsten Maßnahmen gehört für Schäuble die institutionelle Stärkung des Wettbewerbskommissars. „Er muss weltweit so anerkannt sein wie der Wettbewerbskommissar, der respektiert und gefürchtet wird.“ Dazu sollte er allein in den Fragen zu den Defiziten entscheiden können. (…) „Im Europa-Parlament sollen immer nur die Abgeordneten der Länder abstimmen, die von einer Entscheidung betroffen sind, zum Beispiel die Eurozone oder der Schengen-Raum.“

Interessant. Das wird dann ein Zwei-Klassen-Europa. Unwichtige Kleinstaaten wie Griechenland sollen gefälligst das Maul halten, wenn die Großen miteinander reden und über ihre Finanzen entscheiden.

Was Schäuble wirklich ändern will, kann man in einem kleinen Satz im Wikipedia-Artikel über die EU-Kommission nachlesen: „Entschlüsse werden aber grundsätzlich nach dem Kollegialprinzip gefasst, bei dem alle Mitglieder der Kommission gleichberechtigt sind.“ Das will er aufheben. Zeit online übermimmt sogar den bürokratischen Nominalstil der Apparatschiks im Original: „Stärkung der Durchgriffsrechte des Währungskommissars“.

Durchgriffsrechte – das Wort lässt das Herz eines jeden Deutschen gleich höher schlagen. Härter durchgreifen und durchführen: Diese Textbausteine quellen permanent aus der obrigkeitshörigen doitschen Seele empor und stinken nach altbekannter brauner Brühe: „Reform“ durchgeführt und Krise verboten, Herr Kommissar Finanzführer!

Übrigens: Die Handlanger des Kapitals wissen, was kommen wird und bereiten sich dementsprechend vor.

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Kommentare

11 Kommentare zu “Unter Finanzführern und Kommissaren”

  1. albatros am Oktober 16th, 2012 1:38 pm

    Schäuble hat seit das nicht ganz gelungene Attentat auf ihn ein gewaltiges Ding an der Klatsche. Das größenwahnsinnige Geseier von dem nehme ich daher nicht ganz so für voll.

  2. Tom am Oktober 16th, 2012 2:34 pm

    Für korrupte reiche Griechen ist es doch sehr schön, wenn sie die Durchgriffsrechte gegen die Mehrheit der Griechen quasi nach Brüssel auslagern.
    Besser lässt sich Volkszorn kaum umleiten.

  3. der Herr Karl am Oktober 16th, 2012 3:19 pm

    wem kann man noch trauen?

  4. ClaudiaBerlin am Oktober 16th, 2012 3:37 pm

    Kannst du mal in einfachen Worten sagen, was FALSCH daran wäre, wenn alle EU-Staaten künftig ihre Haushalte ausgleichen MÜSSTEN, bzw. die Verschuldungsgrenze von 3% einhalten MÜSSTEN?

    Mit der Freiwilligkeit hat es doch nicht geklappt, das wird wohl niemand bestreiten. Deutschland war sogar das erste Land, das auf dieses Vereinbarung im EU-Vertrag geschissen hat – ein Dammbruch, wie man heute weiß.

    Einfach nur sagen: in Zukunft halten wir uns dran – wer glaubt denn das noch?

    Jetzt gerät dieses Thema in den Hintergund gegenüber dem Geläster über die „Abgabe von Souveränität nach Brüssel“. Ja wohin hat denn die Haushaltssouveränität geführt? Zu Schuldenbergen, die irgendwelche Nachkommen mal abzahlen müssen, bzw. deren Zinsschwankungen im Ernstfall jedem Staat die Finanzierung unterm Hintern wegziehen kann.

    Ist das etwa gut? Soll das so bleiben, Hauptsache, wir sind nationalstaatlich souverän?

  5. Alter Nihilist am Oktober 16th, 2012 3:37 pm
  6. Memorandum an mich: Mensch, kannst du dich mal entscheiden, was du glauben will… › Netzexil am Oktober 16th, 2012 4:16 pm

    […] Unter Finanzführern und Kommissaren : Burks' Blog Unter Finanzführern und Kommissaren. Kommissar. Ich habe aufgehört zu hoffen, dass ich von den Mainstream-Medien über die so genannte “Finanzkrise” ausreichend oder tiefschürfend informiert werde. Was… […]

  7. admin am Oktober 16th, 2012 6:41 pm

    Ich habe mich nicht dazu geässert, ob ein gemeinsamer Finanzhaushalt der EU gut oder schlecht ist. Er wird eh kommen. Es geht nur darum, unter welchen Vorzeichen…

  8. Mullenpene am Oktober 17th, 2012 12:09 am

    Wenn mich nicht alles täuscht, war alles, was hier angesprochen wurde, n den Debatten der vergangenen Monate so auch einzelnen Kommentaren der überregionalen Zeitungen wie FAZ und SZ zu entnehmen. Insbesondere auch die Folgen eines Staatsbankrotts, warum der in Argentinien den Leuten wieder auf die Füße half und warum Deutschland auf dieser Option aus den angesprochenen Gründen den Finger drauf hat. Dies allerdings in Artikeln, die blöderweise nur im Print, aber nicht online standen. Alle Medien doof, nur Burks erklärt die Welt stimmt in dieser Zuspitzung also nicht.

  9. admin am Oktober 17th, 2012 8:10 am

    Den letzten Satz habe ich so nicht gesagt :)

  10. der Herr Karl am Oktober 17th, 2012 9:54 am

    Es geht um Politik. Ergo sind es Politkommissare.

  11. Carsten Thumulla am Oktober 18th, 2012 8:58 am

    Hi Burks,
    Du solltest den ganzen Marxismuskrempel auf den Müll werfen. Er hat noch nie was getaugt. Es gibt nur die Möglichkeit, unsere Entwicklung zu verstehen, daran geht nichts vorbei.

    Wenn der Wolfgang Griechenland nicht rauslassen will, dann muß er es durchfüttern. Dabei vergiftet er die Volkswirtschaft nur noch mehr. Es geht nur über Geldmengenausweitung, über Kaynes Theorie.
    Lies mal den ersten Artikel:
    http://ef-magazin.de/2012/10/16/3764-presseschau-16102012-nachrichten-aus-dem-netz
    „Nikolaus Jilch auf DiePresse.com“

    Vor die Therapie haben die Götter die Diagnose gesetzt. Verstehen ist Voraussetzung. Es ist auch nicht alles änderbar oder „heilbar“. Wir müssen erstmal verstehen, womit wir uns abfinden müssen.

    Carsten

    „Warum das Nobel-Komitee den Preis ausgerechnet jetzt an die EU verliehen hat, gibt Rätsel auf. Angesichts der bedrohlichen Euro-Krise erscheint die Aktion wie eine Verzweiflungstat.“
    Prof. Dr. Hans-Olaf Henkel

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