Piraten und fahrendes Volk: Elend und selbstbewusst

vagabundenIch empfehle heute ein Buch zu lesen, das hier in meinem Bücherschrank steht, das aber schon vor 30 Jahren erschienen und daher vergriffen und nur noch antiquarisch erhältlich ist.

Die Vaganten, die Fahrenden haben kaum Spuren hinterlassen: ihre Kultur ist der offiziellen Geschichtsschreibung kein Thema – nur Steckbriefe und Polizei-Akten berichten von ihrem Leben. Doch der herrschende Schein trügt: Lieder, Traktate, Räubergeschichten, und Moritaten erzählen vom Leben der Fahrenden, das elend und doch selbstbewusst war.


Das Buch zeigt: es gibt eine Geschichte der Nicht-Seßhaften. Sie hatten – über Jahrhunderte – eine eigene Kultur, eigene Kommunikations- und Verbindungswege, sie waren lange Zeit nicht isolierte Tippelbrüder, sondern lebendiges Gegenmilieu: die List der Schwachen gegen die Macht der Starken.

Der Anlass waren einige dämlichen dämliche Kommentare zu meinem taz-Artikel. Schon klar, dass die geistig Armen nicht alles verstanden haben (ja, ich finde nichts dabei, LeserInnen zu beschimpfen.) Ich schrieb: „Daher stehen die Filesharer – auch wenn es sich heute um zum Teil schmierige oder schillernde Gestalten wie Kimble Dotcom handelt – in der historischen Tradition der Linken, ob sie es wollen oder nicht.“

Was ist mit „in der historischen Tradition stehen“ gemeint? Natürlich steht der Aufrührer Thomas Müntzer ebenso in dieser Tradition oder auch Spartakus. Diese Leute haben gegen die Herrschaft rebelliert, aus damals guten Gründen. Die herrschende Klasse sah das natürlich anders.

Wer für mehr Gerechtigkeit ist, wer sich auf die Seite der kleinen Leute stellt, wer gegen die Obrigkeit rebelliert, steht in der „linken“ Tradition.

vagabunden

Die Büttel und Schmarotzer, die am Urheberrecht im Kapitalismus kleben wie eine Schmeißfliege am Aas, und Dateiteiler („Filesharer“) verfolgen wie die Inquisition eine vermeintliche Hexe, sind nicht besser als die gedungenen Landknechte, die 5000 aufrührerische Bauern in der Schlacht von Frankenhausen niedermetzelten.

Abmahnwälte sind die Söldner das Kapitals und des Privateigentums und genau so moralisch verkommen wie Landsknechte im Mittelalter.

Aber ich schweife ab. Es ist interessant, sich mit den Traditionen derjenigen zu beschäftigen, die sich zu anderen Zeiten der Ethik der Arbeit, dem normalen Spießer-Dasein und dem Mainstream verweigerten. Das Leben als Vagabund war meistens nicht freiwillig, sondern ein Zeichen des Elends. Dennoch war das fahrende Volk stolz auf die eigenen Traditionen und sogar die gemeinsamen geheimen Zeichen.

Piraten sind nicht anderes als „fahrendes Volk“, nur schwimmen sie auf Schiffen.

vagabunden

By the way: Bei Thomas Müntzer finden wir den Aufruf zum christlichen Jihad – das ist nichts dem Islam Eigentümliches: „Ein gottloser Mensch hat kein Recht zu leben, wo er die Frommen behindert […] wie uns essen und trinken ein Lebensmittel ist, so ist es auch das Schwert, um die Gottlosen zu vertilgen.“

image_pdfimage_print

Kommentare

3 Kommentare zu “Piraten und fahrendes Volk: Elend und selbstbewusst”

  1. cloud am März 23rd, 2012 10:40 pm

    – „erschienen und daher vergriffen und nur noch antiquarisch erhältlich ist.“ kann man verlinken

    http://www.amazon.de/Fahrende-Vagabunden-Geschichte-%C3%9Cberlebensk%C3%BCnste-Stra%C3%9Fen/dp/3803120683/ref=sr_1_3?s=books&ie=UTF8&qid=1332538331&sr=1-3

    -„Der Anlass waren einige dämlichen Kommentar zu meinem taz-Artikel. Schon klar, dass die geistig Armen nicht alles verstanden haben (ja, ich finde nichts dabei, LeserInnen zu beschimpfen.)

    richtig wäre: einige dämliche Kommentare … na ja, zu „dämlich“ käme ich nach Lektüre zu anderen Ergebnissen. Den geistig Armen sehe ich.. Treffer!!!
    aber sowas richtet sich eh selbst . die Kritiker vernichten ihre Kritiker.. einige Blogs werden stürzen… Bestens!

  2. Maxim am März 24th, 2012 11:15 am

    Also nett fand ich ja den der Nuhr zitierte.
    Aber er sollte nochmal die Unterstufe in Deutsch besuchen: Behauptung, ja ist vorhanden, Begründung, die fehlt, und Beispiel, fehlt auch.
    Und ist schön zu sehen, dass es Autoren gibt die auch direkte, also nicht nett umschriebene, Aussagen über Leser treffen.

  3. ninjaturkey am März 24th, 2012 12:47 pm

    Leicht OT aber aus gegebenem Anlass: Nach fast 30 Jahren ist das Buch allenfalls noch mit Glück antiquarisch oder gebraucht von privat zu bekommen. Die Autorin macht jedenfalls keine müder Mark mehr damit. Was spricht dagegen, das Werk in die PublikDomain zu geben und als PDF frei zu geben? Nach 20 – 30 Jahren. Bei Netzpolitik.org laufen derzeit wieder Diskussionen zum Urheberrecht. Ich frage mich, warum ein Künstler mit einem Frühwerk auch noch für seine Rente und Nachkommen vorsorgen muss. Er kann Altersvorsorge betreiben wie jeder andere Mensch auch. Und wenns nur für einen Gassenhauer oder Bestseller reicht, dann muss man sich das eben eingestehen und wie jeder andere seinen Lebensunterhalt verdienen. Oder partizipiert ein Arbeiter bei Opel – na die sowieso nicht mehr – oder bei VW noch nach Jahrzenten an seinen zusammengeschraubten Fahrzeugen oder ein Handwerker an den Häusern, Möbeln, Elektroinstallation, etc.?
    20-30 Jahre be Kreativen wären o.k. Alles andere ist nur noch anstrengungslose Verlags- und Rechteabzocke.

    Sind die Abbildungen aus dem Buch eigentlich lizenzfrei? (oder sind die von woanders?)

    Die 6 Euro bei Amazon werde ich wohl dennoch investieren. Vielen Danke für den Hinweis!

Schreibe einen Kommentar