Warum die Kalifornier Kiffen verbieten

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Was der Gesellschaft gerade an der [Sucht] so aufstößt, hat wenig mit der Droge selbst, um so mehr mit der damit zusammenhängenden Subkultur zu tun. Kompliziert formuliert: „Die strukturelle Anfälligkeit westlicher Gesellschaften für Konflikte über die moralische und rechtliche Bewertung des Drogenkonsums ergibt sich aus der delikat ausbalancierten Stellung des Drogenkonsums in einer sowohl am Leistungs- wie auch am hedonistischen Prinzip orientierten Gesellschaft.“ 1 Einfacher: Wer etwas leistet, erfreut sich in Gesellschaften, die im weitesten Sinne auf den moralischen Prinzipien der protestantischen Arbeitsethik fußen, eines hohen Ansehens – und darf sich dann auch mal was Schönes gönnen. Wer freiwillig faul ist, gilt, je nach Rigidität der Norm, als sozialer Abweichler. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen, hieß es im alten Preußen. Wer dem Rausch frönt und süchtig ist, genauer: nach oder von illegalen Drogen süchtig ist, sei arbeitsunfähig und damit auch moralisch verwerflich – so jedenfalls das Klischee der öffentlichen Meinung. Man darf dem individuellen Lustprinzip huldigen, wenn man vorher etwas geleistet hat, nur dann. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.

Die Frage ist nur: Wie viele Arbeitsunwillige kann unsere Gesellschaft vertragen? Nicht ihre reale Zahl ist wichtig, sondern ihre symbolische Ausstrahlungskraft, die Faszination einer Drogen-Subkultur, die den normal arbeitenden Bürger zutiefst verunsichert. Die „Sucht“, die gleichzeitig das Lustprinzip auf die Spitze treibt, ist ein Angriff auf die Moral. Sucht ist nur in der Freizeit gestattet, als Ausgleich zum Streß des Arbeitslebens, als verschämt genossenes Privatvergnügen oder im Rahmen akzeptierter Rituale wie beim Fußball oder im Vereinswesen.

Das Klischee der „Sucht“ als Verweigerung der Leistung ist so in den Köpfen etabliert, daß die Realität kaum eine Chance hat: Heroinabhängige, die problemlos mit ihrer Droge versorgt würden oder werden – was wegen der Illegalisierung des Heroins kaum der Fall ist -, sind genauso arbeitswillig und -fähig wie jemand, der jeden Tag drei Schachteln Zigaretten raucht. Ihre Leistungsfähigkeit ist nicht wesentlich beeinträchtigt, noch nicht einmal, im Gegensatz zu Alkoholikern, die Fahrtüchtigkeit. 2 Sie richten also keinen Schaden an, jedenfalls nicht mehr als diejenigen, die ohne Drogen auskommen. Warum sollte also die Heroin-Sucht überhaupt behandelt oder gar therapiert werden? (…)

Selbstkontrolle und -disziplin gelten als unabdingbar für die Stabilität der sozialen Ordnung. Wer sich gehenläßt und dem Rausch frönt, kann seine Arbeitskraft nicht mehr eigenverantwortlich auf dem Arbeitsmarkt verkaufen. Der französische Philosoph Michel Foucault hat die These aufgestellt, die Irrenanstalten – Vorläufer der heutigen psychiatrischen und Nervenkliniken -, die es erst in der modernen Gesellschaft gibt, hätten zur Wiederherstellung der „kollektiven Selbstdisziplin“ gedient. Die Gesellschaft erklärt einige Verhaltensweisen für „normal“ und „nützlich“, andere für verwerflich und krank. Vor diesen muß man sich schützen, indem man die Betreffenden, die sich uneinsichtig verweigern, wegsperrt.

Diese Ideen waren doppelt sinnvoll: Zum einen entlasteten sie die „Süchtigen“. Die Alkohol- und später die Morphin-Konsumenten konnten ihr von der etablierten Norm abweichendes Verhalten als „Zwang“ erklären, der irgendwo in ihrem Inneren hauste und den sie nicht ohne fremde Hilfe zu bekämpfen in der Lage waren. Der Ausschluß aus der Gesellschaft als „Süchtiger“ bedeutete gleichzeitig die Wiedereingliederung „als Kranker“, um den man sich zu kümmern und den man zu rehabilitieren hatte. Zum anderen war die Idee einer „Sucht“ eine Erklärung für diejenigen Schichten der Bevölkerung, die ihr abweichendes und unerwünschtes Begehren ständig in Schach halten mußten: Wenn man die soziale Sicherung nicht schaffte, lag das an „dunklen Trieben“, die man noch nicht unter Kontrolle gebracht hatte, am „krankhaften“ Verlangen, das soziale Elend mit Drogen zu betäuben.

Philanthropen und bürgerliche Abstinenzapostel erklären Kriminalität und Verelendung als Folge der moralischen Zerrüttung durch den Rauschgiftkonsum und die „Sucht“. Nicht der kontrollierte Umgang wird gefordert, sondern der Verzicht. Gerade in Deutschland und in den puritanisch geprägten USA fällt diese Idee auf fruchtbaren Boden. Da das Leben ohnehin ein Jammertal ist, wäre der Rausch, der zumindest zeitweilig „Abhilfe“ schafft, geradezu eine Verhöhnung der sittlichen Grundlagen. Jegliche Erinnerung an mögliche mentale Erfahrungen, die den mühsam erarbeiteten eigenen Verhaltenskodex in Frage stellen, soll getilgt werden. Nicht zufällig wettern heute ehemalige Theologen, die durch politische Wirrungen in verantwortliche Posten in der Drogenpolitik katapultiert wurden, gegen den „Hedonismus“, der drohe, wenn man im Krieg gegen die Drogen nur ein wenig nachlasse.

Diese Vorstellung von Sucht hat fatale Folgen. Ihre Definition beruht letztlich auf ethischen und moralischen Leitsätzen, die in einer bestimmten Gesellschaft — und nur in einer — relativ sinnvoll sind. Niemand weiß, warum Wasserbüffel manchmal Mohnkapseln schlucken und danach orientierungslos herumtorkeln, warum Elefanten alkoholisch vergorene Früchte verzehren und regelrecht „ausflippen“, warum Katzen wild auf Katzenminze sind, Schafe sich vorsätzlich mit Narrenkraut bedröhnen oder Rhesusaffen, wenn sie die Auswahl haben, Kokain bevorzugen und Heroin verschmähen. Die Sucht, der exzessive Konsum von Rauschdrogen, soll beim Menschen jedoch eine Krankheit sein. Man verweigert ihm die Droge, und ist das nicht konsequent möglich, wird er selbst so isoliert, daß er nicht an sie herankommt. Nicht der mögliche Schaden für das Individuum ist relevant, sondern der „Schaden“ für die Gesellschaft. Der besteht darin, daß die zwar nie reale, aber dafür um so mehr befürchtete massenhafte Verweigerung der „nützlichen“ Tätigkeiten, eben der Arbeit, das System als solches in Frage stellen könnte. Das ist aber ein politisches, kein medizinisches Problem.

„Sucht“ als Phänomen, das sowohl repressive staatliche Maßnahmen nach sich ziehen muß als auch nach therapeutischem Bemühen verlangt, taucht erst dann auf, wenn sich die Süchtigen als soziale Randgruppe und/oder als subversive Subkultur im Bild der Öffentlichkeit etabliert haben. Das hat mit der Realität wenig zu tun, sondern dient den jeweiligen Interessen, das Verhältnis des Bürgers zum Staat zu definieren. Die Vorstellung von „Sucht“ als Krankheit ist untrennbar verbunden mit der Unterdrückung von unerwünschtem Verhalten und von Minderheiten.

1. Scheerer, S.: Die Genese der Betäubungsmittelgesetze in der Bundesrepublik Deutschland und in den Niederlanden. Göttingen 1982
2. Bei Tests zur Fahrtüchtigkeit von Heroinabhängigen, die das Medikament Polamidon erhielten, hat sich herausgestellt, daß die Substitution die Leistungsfähigkeit der Testpersonen nicht beeinträchtigte. Das jedenfalls teilten Verkehrsmediziner der Heidelberger Universität auf dem Jahreskongreß der Rechtsmediziner im September 1992 mit.

Diese Passagen stammen aus meinem Buch Heroin – Sucht ohne Ausweg?, erschienen 1993. Sie erklären auch, warum ich zum Thema Drogen nichts mehr in deutschen Medien veröffentliche – es hat schlicht keinen Sinn. Es ist seit 30 Jahren alles gesagt, die „Diskussion“ dreht sich im Kreis. Gegen moraltheologische Diskurse – um um einen solchen handelt es sich bei „Drogen“ – hat die Vernunft nicht die geringste Chance.

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Kommentare

6 Kommentare zu “Warum die Kalifornier Kiffen verbieten”

  1. Enno am November 3rd, 2010 2:47 pm

    Alles schön und gut und sehr einleuchtend – wer aber die *Persönlichkeitsveränderung* mal erlebt hat, die zum Beispiel bei einem Alkoholiker auftritt, sieht das ganze weniger tralala – und ich glaube auch, jenseits von sozialen Normen, jedenfalls was die protestantische Arbeitsethik betrifft.

  2. admin am November 3rd, 2010 3:24 pm

    Was geht den Staat eine Persönlichkeitsveränderung an? Der Staat ist doch der größte Dealer…

  3. Dominic am November 3rd, 2010 4:35 pm

    Ich hab den Artikel mal ins Usenet gepostet (de.soc.drogen). Sehr gut auf den Punkt gebracht btw.

  4. admin am November 3rd, 2010 4:41 pm
  5. Seitenhiebe » Blog Archive » Protestantische Arbeitsethik versus Vernunft am November 3rd, 2010 6:23 pm

    […] burks. Und er hat recht, denn mit Argumenten kommt man in dem Falle einfach nicht weiter. Ich erinnere […]

  6. Serdar am November 4th, 2010 12:51 am

    Neben „Heroin – Sucht ohne Ausweg“ von Burks empfehle ich auch No Drugs. No Future: Drogen im Zeitalter der Globalisierung von Günter Amendt. Das hat mir eine ganz andere Perspektive geliefert.

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