Tugendpolizei gegen Anstössiges

Penis

Ja, ich gebe zu: Ich suchte nach einem Penis-Bild. Nein, ich weiß, was das ist. Der Anlass: die Überschrift eines Heise-Artikels: „Wikimedia engagiert Tugendwächter“, von der ich nicht wirklich weiß, ob sie ironisch gemeint ist.

„Gleichwohl hätten zu freizügige Inhalte zur Folge, dass viele Menschen nicht von Projekten wie der Wikipedia profitieren könnten. So wird Wikipedia beispielsweise in vielen Bildungseinrichtungen gesperrt. Wo genau die Grenze zwischen Weltwissen und vorwiegend anstößigem Material zu ziehen ist, darüber gehen die Meinungen auseinander.“

Man muss sich nur die Wortwahl ansehen: „freizügig“ und „anstößig“. Was könnte das sein – das kleinste gemeinsame Vielfache aller moralischen Vorstellungen zwischen Afghanistan, Kalifornien, Nord-Korea und Guinea-Bissau?

Tugend bedeutet laut Wikipedia „eine Fähigkeit und innere Haltung, das Gute mit innerer Neigung (das heißt: leicht und mit Freude) zu tun. Im allgemeineren Kontext bezeichnet man mit Tugend den Besitz einer positiven Eigenschaft.“ Worüber wacht also ein Tugendwächter?

Ich stelle sie mir vor, unsere Jugendschutzwarte, wie sie mit zusammengekniffenen Lippen und der Moral der 50-er Jahre in ihrer vertrockneten Seele „Anstößiges“ suchen, also etwas, was einer puritanischen Evangelikalen oder selbst ernannten „Jugendschützern“, die vor einem Jahrhundert Heime für „gefallene Mädchen“ gegründet hätten, die Schamrote ins Gesicht treiben könnte. Igitt, ein Penis! Das beeinträchtigt doch die Jugend in ihrer Entwicklung!

Die US-Amerikaner wissen zwar im Gegensatz zu den Deutschen, was Meinungsfreiheit ist, bei nackter Haut jedoch hört der Spaß auf. Was will man von einer Kultur halten, die die Prohibition und den Exorzismus der McCarthy-Ära erfunden hat. Da sind wir Deutschen ihnen dicht auf den Version.

Ich empfinde es als anstößig, wenn geistig Minderbemittelte, die an höhere Wesen glauben, mir etwas von Tugend erzählen wollen. Das ist genau so beleidigend, als wollte mir Zensursula erzählen, wie das Internet funktionere. Ja, ich bin „freizügig“, und das ist auch gut so.

Der Screenshot zeigt einen „Markt“ in Second Life, auf dem für virtuelle Penisse geworben wird.

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Kommentare

4 Kommentare zu “Tugendpolizei gegen Anstössiges”

  1. Carsten Thumulla am Juni 25th, 2010 11:17 am

    Wenn der nicht angewachsen wäre könnte man ihn auch verbieten.

    Carsten

    http://ruthe.de/cartoons/strip_0296.jpg

  2. blu_frisbee am Juni 26th, 2010 12:45 am

    1) „das kleinste gemeinsame Vielfache“ ist was anderes als „der größte gemeinsame Teiler“, bzw. „der größte gemeinsame Denominator“.

    2) Zu den angeblich so prüden Amis lies dies:
    http://usaerklaert.wordpress.com/2007/08/23/free-speech-teil-5-schweinkram/
    http://usaerklaert.wordpress.com/2009/05/19/wie-das-internet-das-vorurteil-vom-pruden-amerikaner-totete/
    besonders den Hinweis auf die Fotos von der Folsom Street Fair auf http://www.zombietime.com/ !
    http://usaerklaert.wordpress.com/2008/02/18/einige-bemerkungen-zu-den-anti-und-pro-millitar-demonstrationen-in-berkeley/

    Von wegen Amis prüde.

  3. admin am Juni 26th, 2010 2:38 am

    Danke für die super Links!

  4. Georg Kraus am Juni 26th, 2010 4:57 pm

    Ich glaube nicht daran, daß die Amerikaner sich geändert haben. Ich habe in den unterschiedlichsten Landesteilen fast sieben Jahre lang immer wieder für Wochen oder Monate am Stück gearbeiter und konnte mir, meine ich, eine Meinung bilden.

    Amerikaner — und damit meine ich die WASP, denken traditionell puritanisch. Ich habe dort kein weibliches Wesen zwischen 8 Jahren und 80 Jahren ohne Büstenhalter gesehen. Nie eine Frau, die ohne Bikini-Oberteil am Strand lag oder schwimmen ging. Wir haben eine ganze Gruppe Amerikaner, die uns in Frankfurt besuchten, in die Sauna eingeladen. Kein Amerikaner kam ohne Badehose.

    Gleichzeitig habe ich — das war vor Giuliani, der Manhattan mit Eisernem Besen fegte und allen menschlichen Müll in die Außenbezirke drückte — nirgends so offen härteste Pornographie und Prositution gesehen wie in den VSvA. Die Polizei darf (und macht das auch) als Nutten verkleidete Beamtinnen Freier aufreißen und sie dann verhaften. Sie werden dann regelrecht öffentlich niedergemacht wegen ihrer „Unmoral“. Gleichzeitig kann man in jedem Boulevard-Blatt über dort abgedruckte Anzeigen Nutten ins Hotel bestellen.

    Es ist schlicht absurde Doppelmoral.

    Ich persönlich glaube, daß das mit der „political correctness“ zusammenhängt. Sie reißen die Hoheitsdeutung der Wahrheit und der Moral an sich und überziehen alles, was sich dem nicht unterwirft, einer Hexenjagd. Im gesellschaftspolitischen Bereich hat die BRD dieses Prinzip längst übernommen. Auch, wenn es sich nicht auf das Sexualleben bezieht.

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