Extrem rationale Finanzjongleure

Der Bundespräsident hat auf seine Art dem Volk erklärt, wie der Kapitalismus funktioniere. Heute ist der Begriff „Finanzkapital“ aus der Mode gekommen, weil die Antisemiten ihn benutzt haben. Daher ist jetzt „Finanzjongleure“ angesagt, die angeblich an der der Krise schuld sein sollen.

Gemeint ist etwas Ähnliches – die suggestive und affirmative These, einige Leute würden zu sehr „spekulieren“. Dahinter verbirgt sich der angebliche Unterschied zwischen den bösen Kapitalisten, dem „raffendem Kapital“ und den guten Kapitalisten, dem „schaffenden Kapital“. Die Diskussion kennen wir schon aus der „Heuschrecken“-Debatte.

Das Handelsblatt macht den Sachverhalt wohl eher unfreiwillig klar: „Die Finanzkrise glich einem Dschungelkrieg. Sie ist durch extremes Rationalverhalten der Banken und der Finanzjongleure im Zusammenhang mit fehlerhaften staatlichen Spielregeln voll und ganz zu erklären.“ Extremes Rationalverhalten? Wenn man das ins Deutsche übersetzt, heißt das: Die Kapitalisten verhalten sich sehr vernünftig.

Das ist richtig. Und staatliche „Spielregeln“? Da lachen ja die Hühner: Das wäre doch wieder Sozialismus, oder?

Spiegel Offline käut die Köhlersche Agitprop gewohnt unkritisch wider: „Die Praxis des heute vorherrschenden Finanzkapitalismus kann nach seinen Worten kein Leitbild sein.“ („könne wäre die korrekte Form für die indirekte Rede). „Finanzkapitalismus“ gibt es nicht, es gibt nur Kapitalismus, der in seinen Grundzügen immer noch so funktioniert, wie er im Marxschen „Kapital“ beschrieben worden ist

Man könnte Project Syndicate lesen: „The Marx Renaissance“: „The implication of Marx’s renewed popularity is that capitalism is now universally accepted as being fundamentally broken, with the financial system at the heart of the problem. Marx’s description of ‚the fetishism of commodities‘ – the translation of goods into tradable assets, disembodied from either the process of creation or their usefulness – seems entirely relevant to the complex process of securitization, in which values seem to be hidden by obscure transactions.“

Der Warenfetisch ist genau das, auf das auch Köhler hereingefallen ist: „Marx bezeichnet den Warenfetisch deshalb auch als scheinbare Vertauschung von Subjekt und Objekt, als ‚Quid pro quo‘. Durch die weiteren Entwicklungsstufen der Warenform, das Geld und das Kapital, wird diese Verkehrung noch verstärkt. Das Kapital erscheint beispielsweise als ‚Geld heckendes Geld‘ und ‚automatisches Subjekt‘, das sich in der Form des Zinses scheinbar wie von selbst vermehrt.“

Der auf die „Finanzjongleure“ einprügeln will, will unterschlagen, dass es sich um eine ganz normale Krise des Kapitalismus handelt, mit den üblichen Risiken und Nebenwirkungen, die auch nichts Neues sind. Der emeritierte Bremer Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel hat im Hinblick auf die Finanzmarktkrise die Aktualität des ökonomischen Standardwerkes von Karl Marx hervorgehoben.

Und was faselt Köhler? „Er steigert seine eigenen Renditen ohne Rücksicht darauf, ob das dem Wohlergehen der Nationen nutzt.“ Der pöhse Kapitalismus. Das pöhse raffende Kapital. Es kümmert sich nicht um das Schöne, Gute und Wahre und dass wir alle in unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung reich und glücklich werden, wie es uns versprochen wurde, sondern denkt nur an den Profit. Extremes Rationalverhalten eben. Quod erat demonstrandum.

Was wirklich ist, ist auch vernünftig, sagte schon Hegel. Vielleicht sollte Köhler wenigstens den mal lesen, anstatt das Volk zu verdummen.

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