Blick in die Holzmedien: Brauche ich das?

Gestern musste ich kreuz und quer mit der UBahn durch Berlin fahren und hatte Zeit, mir nach langer Zeit wieder ein Holzmedium zu kaufen – den Berliner Tagesspiegel. Es galt auch die Frage zu beantworten, ob ich das brauche oder ob ich mich hinreichend informiert fühle. Die Antwort ist ganz klar in beiden Fällen: nein.

Der Mailänder Dom gegen Berlusconi – mehr als eine Viertel Seite darüber? Das schau ich mir lieber bei Spam an: „Nieder mit den Dömen?“ Dort wird auch die einzig interessante Frage gestellt: Muss der Dom jetzt abgerissen werden? „Das Gebäude rege zu Gewalttaten an und mache wahnsinnig, so Experten.“ Ja, diese These ist genauso falsch oder wahr wie die der schmallippigen Jugendschutzwarte, Computerspiele regten zu Gewalt an.

„Autonome in Berlin bauen Gasbomben.“ Wo haben sie die Anleitung her? Etwa von burks.de? „Bei dem Brandsatz handelte es sich offenbar um eine Bombe aus Gaskartuschen. Im Autonomen-Szenemagazin Interim veröffentlichten die Täter jetzt eine detaillierte Beschreibung ihrer Brandbombe und rufen dazu auf, sie nachzubauen.“ Audiatur et altera pars? Nein, der Tagesspiegel verzichtet auf eigene Recherche und macht sich zum Sprachrohr der „Sicherheitskreise“ (warum nicht „Sicherheitsvierecke“ oder Ellipsen?), die wie gewohnt ungenannt bleiben – vermutlich irgendein Schlapphut, der weiß, wie man Lobbyarbeit mit Hilfe von Journalisten macht.

Was lesen wir bei Wikipedia? „Das deutsche Bundeskriminalamt (BKA) beteiligte sich 2005 und 2006 mit zwei in der Interim veröffentlichten Schreiben unter dem Pseudonym „Die zwei aus der Muppetshow“ an der Militanzdebatte in der Interim.[9] Mit der geheimen Operation sollten Leser der Zeitschrift auf die Website des BKA geführt werden, um Erkenntnisse über die militante Gruppe zu gewinnen. Dort wurden 417 IP-Adressen der Besucher gespeichert und daraus 120 Nutzerdaten ermittelt, die bis 2009 zu keinen relevanten Ermittlungsergebnissen führten.“

Ach ja. Das erinnert mich an den Verfassungsschutz-Spitzel Peter Urbach:
„Rechtsanwalt Schily: ‚Haben Sie persönlich im Kreis der Linken Waffen angeboten, Pistolen, Maschinenpistolen, ja sogar Mörser mit Phosphorgranaten?‘
Urbach: ‚Ich darf die Frage nicht beantworten.‘
Schily: ‚Haben Sie eine Bombe bei der Kommune I hinterlegt?‘
Urbach: ‚Ich darf die Frage nicht beantworten.‘
Schily: ‚Kamen die Bomben vom Verfassungsschutz?“‘
Urbach: ‚Darüber darf ich nichts sagen.'“
Ich gehe einfach von der wahrscheinlichsten Version aus, dass alle diejenigen in der Autonomen-Szene, die diese Bömbchen bauen, Agent provocateur des Verfassungsschutzes sind. Die historische Erfahrung und zahlreiche Beispiele sprechen dafür. Kein Holzmedium verschwendet auch nur einen Gedanken daran.

„Karlsruhe verhandelt über Datengesetz“ steht, warum auch immer, auf der Meinungsseite, obwohl der Artikel eine Meldung der Nachrichtenagentur ddp ist. Liefern die jetzt nicht nur die Fakten, sondern die Meinung gleich mit? Es würde mich nicht wundern.

Sehr schön der Artikel: „Kriege, Kriecher, Kontrolleure“, wie britische Medien den Lügner Tony Blair in die Mangel nehmen. „Neue Kontroversen löste ein BBC-Interview Blairs am Sonntag aus. Während Blair beim Klimagipfel in Kopenhagen eine Rede hielt, strahlte die BBC ein Porträt über seinen Glauben an Gott aus.“ (ja, das kann man verlinken, Tagesspiegel! Das würde den Lesern gut tun!)

Was kann schon dabei herauskommen, wenn jemand höhere Wesen verehrt! Das Thema ist übrigens nicht neu, es hat sogar etwas mit der Firma Kleinweich zu tun.. Schon vor vier Jahren titelte BBC übrigens: „Blair ‚prayed to God‘ over Iraq“. Auch die Daily Mail geht nicht zimperlich mit Blair um. (Hinweis für die Holzmedien: Mit solche Links kann man einen Artikel, der wahrhaftiger „Online“-Journalismus genannt werden dürfte, interessant machen. Aber das kapiert ihr nicht.)

Einen Artikel habe ich mit Begeisterung gelesen: „Streitbar für die Freiheit. Heinz Brandt kämpfte gegen Nazis und Stalinisten. In diesem Jahr wäre der Widerstandkämpfer und Mitgründer der Grünen 100 Jahre alt geworden.

„Heinz Brandt blieb auch im Westen ein streitbarer Beobachter. Als die Proteste gegen das geplante Atomendlager Gorleben begannen, beteiligte er sich – inzwischen als älterer Herr mit weißem Haarkranz – an Sitzblockaden und ließ sich von der Polizei wegtragen. Weil er den Filz zwischen Atomlobby und Gewerkschaften kritisierte, überlegte auch die IG Metall, ob man ihn nicht besser ausschließen sollte, aber wegen seiner Popularität traute man sich nicht an ihn heran. (…) Für den Nonkonformisten Brandt blieben die üblichen Ehrungen für große Zeitgenossen aus.“

Nonkonformist und deutsch – das passt im Normalfall nicht zusammen. Heinz Brandt war eine Ausnahme und ist für mich ein Vorbild. Jetzt ehrt ihn eine Schule.“ Ein Link zur Schule? Fehlanzeige.

Sehr interessant auch: „Am Anfang war der Zeigefinger„. Daraus könnte man einen hervorragenden Artikel machen, mit interessanten Links, die auch die kontroversen Standpunkt beleuchten. Vielleicht lasse ich das den nächsten Kursus meiner Journalisten-Schüler machen. Vom Tagesspiegel jedenfalls kann man keinen Online-Journalismus lernen.

jetzt muss ich aber noch etwas Anderes tun. Ich wünsche einen angenehmen Abend.

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