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Erschienen in Wort, Bild & Ton -
Mitgliederzeitung des DJV Berlin

31.03.2003

.Online-Journalismus: der Patient lebt

Der Online-Journalismus als eigenständiges Genre ist tot. Man muss in der Grabrede über den Leichnam zu dessen Entschuldigung sagen, dass er nie gelebt hat. Eine Zeit lang hing er noch als Untoter am Tropf der New Economy, bis er sang- und klanglos verschied. Vor drei Jahren richtete die Fachhochschule Darmstadt zum Beispiel sogar einen eigenen Studiengang mit acht Semestern ein. Professor Peter Seeger, der Leiter des Studiengangs Online-Journalismus prophezeite wohlgemut: "Die Internetnutzung ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Für unsere 40 Experten pro Jahr wird es einen Markt geben."

Den kann man jetzt mit der Lupe suchen. Die meisten Zeitungsverlage kehren zur Praxis zurück, ihre Webseite mit abgespeckten Versionen der Printversion auszustatten. "Content"-Management-Systeme ersetzen die Online-Redaktion. Was das bedeutet, steht auf der Website von N-TV in typischem Werbe-Neusprech: "Ein Mehrwert für den Benutzer besteht u.a. aus Community-Elementen und Service-Angeboten von Kooperationspartnern. Durch Exportverfahren werden Inhalte anderen Anbietern...zur Verfügung gestellt." Übersetzt heisst das.: wer in Online-Foren soziale Geräusche produziert, wird mit Werbung überschüttet. Und wer auf die verschrobene Idee käme, journalistische Inhalte verkaufen zu wollen, muss sich damit abfinden, dass der an andere weiterverhökert wird, selbstredend ohne Honorar. Eine Gewerkschaft, die womöglich auf so antiquierte Themen hinweist, dass Journalisten alias "Content"-Produzenten eventuell vom Verkauf ihre Produkte leben müssen, wirkte in diesem Ambiente so deplaziert wie eine Neonröhre vor einem Albrecht-Dürer-Gemälde.

"Nur wenige werden überleben", meint Mathias Müller von Blumencron, Chefredakteur von Spiegel online in einem Interview mit onlinejournalismus.de. Selbst das ist strittig, da die Gretchenfrage des Online-Journalismus, wie mit dem Internet Geld zu verdienen sei, weiterhin ungelöst ist. Sicher ist, dass das WWW-Angebot des "Spiegel" den klassischen journalistischen Standards entspricht, aber dennoch keine schwarze Zahlen schreibt. Das gilt auch für die wenigen anderen ernst zu nehmenden Konkurrenten: die "Netzeitung" (Bertelsmann/Springer), das Online-Magazin "Telepolis" des Heise-Verlags und - mit Abstrichen - die Online-Auftritte der "Bild"-Zeitung und des Magazins "Focus". Man munkelt über bezahlte Inhalte, die einen Weg aus der Misere böten. Aber niemand hat das mit journalistischen Inhalten bisher erfolgreich versucht. Das Angebot der FAZ hat immerhin 15000 Abonennten. Für eine Jahresgebühr von 15 Euro können die monatlich fünf Artikel abrufen. Die anderen Verlage halten sich ihre Websites wie ein zugelaufenes Haustier, das durchgefüttert wird, weil man sich daran gewöhnt hat.

Online-Journalismus hat sich nie vom "normalen" Journalismus unterschieden, auch wenn das mit großer Inbrunst immer wieder behauptet wurde. Sprache und Stil gleichen den Maximen der Boulevard-Zeitung: kurz und prägnant soll es sein, und ein Satz mit mehr als zwei Kommata muss schriftlich beim Chefredakteur begründet werden. Für "Multimedia"-Elemente auf einer Website braucht man nicht mehr den menschlichen Faktor, das regelt heute die Software. Das Internet verlangt Aktualität rund um die Uhr. Aber dieses Kriterium gilt auch für Nachrichtenagenturen. Im redaktionellen Kodex der Netzeitung heisst es, die Produktion einer Zeitung im Internet verlange besondere Sorgfalt, "da angesichts der Geschwindigkeit des Mediums neben den klassischen journalistischen Qualitäten erhöhte Genauigkeit gefordert ist." Es verwundert angesichts dieses hehren Anspruchs dann doch, dass die journalistischen Enten gerade beim Thema Internet so zahlreich auf dem virtuellen Medienteich schwimmen.

Die Zunft weigert sich immer noch, das zu nutzen, was das Internet an zusätzlichen Recherchemöglichkeiten bieten könnte. Und weil diejenigen, die Gelder für Software und Redaktionssystem ausgeben, in der Regel nur wenig Ahnung haben, worüber sie entscheiden. Zudem herrschen in vielen Redaktionen haarsträubende Sitten und Gebräuche, was die Online-Recherche angeht: Netzwerk-Techniker und "EDV-Spezialisten" schreiben Journalisten vor, was und wie sie zu recherchieren haben. Wer etwa mit gefährdeten Informanten im Ausland online Interviews per Internet Relay Chat machen will oder wer investigativ recherchieren und digital verschlüsselte Briefe schreiben will, wer Informanten-Profile im Usenet per Newsreader bequem verwalten will, der stößt durchweg auf den Protest, Widerwillen und auf ungläubiges Erstaunen der Techniker: Das hat es ja noch nie gegeben. Recherche über internationalen Terrorismus per Postkarte alias E-Mail - das ist das Niveau des deutschen Online-Journalismus, soweit es ihn noch gibt.

Wir befinden uns im 21. Jahrhundert. In ganz Deutschland liegt der Online-Journalismus darnieder. In ganz Deutschland? Nein! Eine von unbeugsamen freien Journalistinnen und Journalisten getragene Gruppe der Deutschen Journalisten Verbands Berlin hält das Banner der investigativen Online-Recherche weiterhin hoch. Wer in die Mailingliste des Fachausschusses Multimedia eingetragen werden und über die regelmäßigen Treffen informiert werden will, schreibt bitte eine (für den Anfang) unverschlüsselte E-Mail an burks@burks.de.

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