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Erschienen am 19.08.2000
&#gekürzt" im
Tagesspiegel, Berlin
.V-Mann im Netz

Ein Geheimdienst, der seine Spione schlecht behandelt, handelt fahrlässig. Spione können sehr nachtragend sein. Das erfährt zur Zeit der Militärische Abschirmdienst (MAD) der Bundeswehr. Ein ehemaliger V-Mann des MAD in der Neonazi-Szene stellt Dokumente des Geheimdienstes, Fotos und die Namen seiner Verbindungsoffiziere ins Internet. Der Ex-Spitzel, Hauptgefreiter Michael P., kündigt an, er werde in den nächsten Wochen auch heimlich aufgenommene Gespräche und interne Akten des MAD publizieren.

Der Konflikt zwischen Michael P. und der Bundeswehr dauert schon fast zehn Jahre. Eingaben, Briefe, Prozessakten füllen Dutzende von Ordnern. Beide Seiten sind beharren hartnäckig auf ihrer Position. Der Soldat P. denkt konservativ. Begriffe wie "Vaterland" und "Pflicht" sind ihm heilig. Deswegen will ihm nicht in den Kopf, warum das Vaterland nichts für ihn tut, obwohl er unter hohem Risiko seinem Vaterland treue Dienste geleistet hat. Der Preis war hoch: er musste seine Heimat verlassen und sich im Ausland eine neue Existenz aufbauen. Er will die Bundeswehr zwingen, sich seiner und seiner Familie anzunehmen.

Im Februar 1989 wurde Michael P. zwei Offizieren des Militärischen Abschirmdienstes vorgestellt. Der damalige Fallschirmjäger sollte die Neonazi-Organisation "Nationalistische Front" infiltrieren und Informationen über Infrastruktur, Mitglieder, Sympathisanten und geplante Aktinen beschaffen. P. nahm die Aufgabe an, „auf Grund meiner soldatischen Überzeugung und Pflichtauffassung." Der V-Mann erledigte seine Aufgabe exzellent. Binnen kurzer Zeit zog ihn der NF-Chef Meinolf Schönborn ins Vertrauen. Michael P. wurde in die Pläme der Neonazis eingeweiht, ein „Nationales Einsatzkommando" (NEK) zu organisieren, eine Art rechte RAF. Der Führungsstab der NEK plante Anschläge auf Politiker und alliierte Einrichtungen, ausgeführt von "linientreuen Kameraden", die zeitgleich Anschäge in ganz Deutschland verüben sollten. Der V-Mann sollte in Syrien militärisch ausgebildet werden. In einem Dossier für den MAD beschrieb P. die Pläne Schönborns, andere Mitglieder der "Obersten Leitung" der "Nationalistischen Front" in einer "Nacht der langen Messer" beseitigen zu lassen. Dem Spitzel kam auch zu Ohren, dass die Neonazis seine Vergangenheit ausforschten. Seine Legende hielt stand, obwohl eine Sekretärin im Vorzimmer des Brigadekommandeurs der Bundeswehr in Augustdorf engen Kontakt zur NF pflegte und Zugang zu sensiblen Daten hatte. Man stellte fest, dass die Sekretärin auch Schreibarbeiten für die Neonazis erledigte. Ihr Kontakt zum Neonazi-Führer Schönborn sei, so schätze der MAD die Situation ein, jedoch nicht politisch, sondern nur "freundschaftlich motiviert gewesen". Dennoch fürchtete man um die Sicherheit des V-Manns. Aus "übergeordneter Fürsorgepflicht" versetzte ihn die Bundeswehr nach Kanada, später in die USA.

Dank der Informationen des V-Manns wurde die NF 1992 vom damaligen Innenminister Seiters verboten. Michael P. analysierte die Situation: Es sei falsch zu glauben, dass von "menschenverachtenden Personen" wie Meinolf Schönborn keine Gefahr ausgehe. Diese "fanatischen Extremisten" liessen sich auch nicht durch Haftstrafen von ihren ideologischen Zielen abbringen.

Ärger war vorprogrammiert, als der Hauptgefreite Michael P. das Dienstzimmer seiner Vorgesetzen betrat: Oberstleutnant Günther Guderian, Verbindungsoffizier der Bundeswehr in kalifornischen Fort Bragg. Dort hing ein Bild von Guderians Grossvater, dem NS-Panzergenerals Heinz Guderian, samt Hakenkreuz. Der Bundeswehr-Offiziert hatte schon 1995 der US-amerkanischen Zeitung Fayettville Observer-Times ein Interview gegeben und gesagt, er sei stolz auf seinen Grossvater. Für amerikanische Ohren eine irritierende Einschätzung: Der hitlertreue General Guderian war Mitglied eines "Ehrengerichts" der Wehrmacht, das alle am Widerstand des 20. Juli verdächtigen Offiziere aus der Wehrmacht ausstiess und so dem Volksgerichtshof auslieferte. Auch in der Nachkriegszeit erwies sich Guderian als unbelehrbar, er publizierte in einem rechtsextremen Verlag.

Der Soldat Michael P. wandte sich mit einer Eingabe an den Wehrbeauftragten in Bonn, ob das Porträt eines Wehrmachtsgenerals die Bundeswehr im Ausland adäquat repräsentiere? Die Bundeswehr sah kein Problem in der Traditionspflege ihre Offiziers: Bild und Hakenkreuz seien nicht zu beanstanden. Das Interview des Guderian-Enkels bewerte nicht und befasse sich nicht mit "ideologischenVorstellungen des Nationalsozialismus". Es gebe "keine Notwendigkeit zu politischen oder dienstrechtlichen Konsequenzen." Die zog der Offizier selbst: er überklebte das Hakenkreuz notdürftig mit einem Stück Pappe.

Die Bundeswehr vergisst Soldaten nicht, die hartnäckig unbequeme Fragen stellen. Ein Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestags beschäftigte sich im April 1998 mit rechtsradikalen Vorfällen in der Armee. Der Ausschuss weigerte sich, den Hauptgefreiten Michael P. anzuhören, obwohl der von den Grünen als interessanter Zeuge benannt wurde. Der Kommandant des Stabquartiers, Kapitänleutnant Lohre, wies vorab den Soldaten schriftlich an, dass er über "Angelegenheiten, die ihm in seiner dienstlichen Tätigkeit bekannt geworden sind, Verschwiegenheit zu wahren habe."

Der Hauptgefreite versuchte alles, um bei der Bundeswehr weiterbeschäftigt zu werden. Er fürchtete sich, nach Deutschland zurückzukehren. Auch um die Sicherheit seiner Frau und seiner zwei Kinder sorgte er sich. Der MAD jedoch hielt die Neonazis um die verbotene NF für harmlos. Vizeadmiral Hans Frank teilt dem Soldaten am 19. Dezember 1997 mit, dass "nach menschlichem Ermessen eine Gefährdung ihrer Person und ihrer Familie heute nicht mehr gegeben ist." Die Bundeswehr könne nichts für ihn tun. Seine Eingaben, weiter der Armee und dem Vaterland zu dienen, blieben monatelang liegen. Offizielle Auskunft: "hausinterne Abstimmungsfehler." Selbst Annelie Buntenbach, Bundestagsabgeordente der Grünen, setzt sich für ihn ein - vergeblich. 1998 wurde der Hauptgefreite entlassen - mit Lob.

Michael P.. 36, lebt zur Zeit in den USA vom Überbrückungsgeld, das ehemaligen Angehörigen der Bundeswehr für drei Jahre zusteht. Er macht eine Computer-Ausbildung. "Zum Militärischen Abschirmdienst geben wir grundsätzlich keine Auskunft", heisst es in der Pressestelle des Bundesministers für Verteidigung. Daher gibt es auch keine Stellungnahme, ob der MAD die Neonazis der ehemaligen NF immer noch für ungefährlich hält und Michael P. nach Deutschland zurückkehren könnte. Meinolf Schönborn, Anführer der NF, bekam 1995 zwei Jahre und drei Monate Haft und ist heute wieder auf freiem Fuß. Der damalige Chefideologe der NF, Steffen Hupka, arbeitet heute als Führungskader der NPD in Sachsen-Anhalt.

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